Traum

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Alma
Veröffentlicht: 30.06.2012 22:05
Aktualisiert: 12.07.2012 12:46
Kategorie: Dies & Das
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Text

Liebste De,

Ich weiß nicht mehr weiter. Du musst mir helfen! Wer bin ich? Wo bin ich? Wo befinde ich mich psychisch und wo physisch? Lebt mein Körper in einer Welt, die um ihn herum zusammenzubrechen droht währendem mein Geist Zuflucht in Lügen sucht? Diese Fragen sind berechtigt, wenn man bedenkt in welcher Situation ich mich befinde. Ein Mädchen, das hilflos seine Schwächen mit einer scheinbar glücklichen Fassade zu überdecken versucht, gefangen in einer Umwelt, die seine Vorstellungen nicht akzeptiert, weil es keine hat. Ich weiß nicht mehr wer ich bin. Sie zerreißen mich. Sie packen Teile meiner Haut, meiner Seele, meines Herzens und entfernen sie mir gewaltsam bei lebendigem Leibe. Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, was mit meiner Persönlichkeit geschehen ist, wohin mein Dasein als ein Unikat verschwunden ist. Was soll ich mit dem Geschenk des Lebens anfangen, wenn ich nicht mehr weiß, wer ich bin? Was soll ich mit dieser Großzügigkeit? Mache ich etwas falsch? Diese Fragen binden sich enger und enger um meinen Körper, der eine fremde Seele zu beherbergen scheint. Die Druckstellen schmerzen und meine Ängste werden immer grösser. Das Gefühl gleicht dem, dass man fühlt, wenn man auf einem Kinderspielplatz mit dem Kopf voran in eine röhrenartige Rutschbahn steigt und sich dann jemand von unten nähert. Man sieht etwas auf sich zukommen, kann aber weder nach vorne, noch nach hinten fliehen. Genauso fühle ich mich jetzt. Eingeengt und unwissend. Klaustrophobische Ängste packen mich. Der Raum um mich wird zunehmend enger. Ich habe Angst, doch ich weiß, dass die Wände mich nicht zerdrücken können. Meine Erinnerungen an früher werden meinen Körper retten. Ohne Freiraum und Wissen über die Welt, das Leben und seinen Sinn, stehe ich hier und sage mir: "Fang etwas mit deinem Leben an! Werde eine Persönlichkeit, sei dir selbst treu." Doch wie? Es gibt Personen, die ich von Herzen bewundere. Personen wie dich, meine liebe De. Du lebst dein Leben, du hast deinen Style und stehst zu dir und allem was du tust. In meinen Träumen bin ich ein Original. Ein Unikat, eine limitierte Edition meiner Selbst. Ich stehe zu mir und über allen Lästereien und Klischees. Doch was sind schon Träume? Liebste De, ich flehe dich an. Du musst mir helfen. Schreib so schnell wie möglich zurück!

Hallo meine Liebe

Calm down! Atme ganz tief durch. Lausche deinem Atmen und hör zu, wie er sich beruhigt. Ich kann verstehen, wie du dich fühlst doch du musst nun ganz stark sein. Ich bin im Bilde darüber, das sie dich piesacken und ich weiß auch wie dich jeder ihrer Kommentare mitten ins Herz trifft. Ich kenne dich. Du musst dir eine dickere Haut anschaffen. Unbedingt. Schaffe eine Hülle um dich. Einen Kokon. Spinn dir eine eigene Welt aus dem Stoff, der alle Angriffe unwirksam machen lässt, deinen Träumen. Du darfst Träumen, du musst Träumen. Im Traum kann dir niemand etwas anhaben. In deinem Kokon, entwickelst du dann eine Persönlichkeit, deine Persönlichkeit. Du musst zu dir selbst finden, wieder. Du musst in dein Innerstes blicken und das kannst du nicht tun, mit einer vergifteten Umwelt. Sobald du den Weg zu deiner Seele gefunden hast, bist du bereit die isolierende Barriere zu zerstören und dann wirst du dich entfalten, und deine Seele wird in den schönsten Farben aufweisen. Alle werden sehen wer du bist. Und nun, fange an. Träume und bilde dir ein Schutzschild.

De!

Ich weiß deinen Rat wirklich zu schätzen doch du weißt, dass das nicht einfach ist. Bei dir ist alles einfach. Du hast Freundinnen. Du bist beliebt und frech. Alles was ich wieder sein möchte. Ich liebe dich, dass weißt du. Ich bewundere dich und möchte nichts mehr sein als du. Isoliert zu sein ist nicht schön. Jeder Mensch braucht Freunde und Menschen die ihn lieben. Du kannst mir nicht die Liebe geben, die ich brauche. Ich weiß, dass du mich magst, aber du bist auch enttäuscht von mir, weil ich so geworden bin, wie ich bin. Aber du weißt hoffentlich auch, dass du eine gewisse Mitschuld trägst. Genauer gesagt trägst du den größten Teil der Schuld. So wie ich auch. Ich bin alleine. Und niemand wird mir aus diesem Funkloch heraushelfen. Nicht einmal du kannst das.

Meine liebe Freundin

Du musst träumen. Du musst an das Gute in der Welt glauben. Bau dir Luftschlösser. Bau dir deine eigene Welt. Sobald sie jemand sehen will, werden seine Augen für dich offen stehen.

Ja, du hast Recht. Ich muss träumen. Wach und in schlafendem Zustand.

Genau. Denn nur wenn du träumst werden wir Eins. In deinen Träumen begegnest du mir.

Ich meinen Träumen bin ich wieder du. Wie früher. Ich bin wieder sorglos und freudvoll. Ich bin wieder ich.

Ja du bist wieder ich. Du erlangst wieder eine Persönlichkeit - sei es auch nur für eine Nacht. Und nun schließe die Augen und trete in die Welt der Träume.

 

 

 

Gehorsam schließe ich mein Tagebuch sowie meine Augen. Es hat keinen Sinn mehr, zu schreiben. In meinem Traum werde ich mich wiedersehen, mein altes Leben wiedersehen. So wie es einmal war und nie mehr sein wird.

Kommentare

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Am 12.07.2012, Alma
Danke (:

Tinto, ich habe jetzt im allerletzten Abschnitt den einen Satz gelöscht, der erklärt, dass die beiden Personen Eine sind. Gefällt es dir nun besser?
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Am 04.07.2012, blacklemon
find ich super!!
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Am 03.07.2012, Tinto
Dieses Selbstgespräch in Briefform habe ich sehr gerne gelesen. Viele überraschende Bilder ("wie eine limitierte Edition meiner Selbst"). Der Text ist auch sehr lesefreundlich gelayoutet - da hast du auch optisch die zwei Ebenen sichtbar gemacht.

Bin mir nicht ganz sicher, was deinen Schluss angeht. Ich finde, dass Texte manchmal noch an Stärke gewinnen, wenn man nicht alles erklärt, Dinge offen lässt und so die "Gedankenmaschine" der Leser in Gang setzt. Das Tolle ist ja, dass Figuren aus Texten dann ein Eigenleben erhalten. Die Auflösung/Pointe ist gelungen (ein Selbstgespräch, kein Dialog mit jemand anderem) - aber wäre nicht auch eine Möglichkeit gewesen, dem Träumen ein offenes Ende zu gewähren?