Es war Dezember als ich starb

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Lorrain
Veröffentlicht: 18.06.2012 22:30
Aktualisiert: 21.06.2012 23:25
Kategorie: Dies & Das
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Text

Der weiße Schnee knisterte unter meinen hochhackigen Lederschuhen, als ich durch den sonnendurchfluteten Park lief. Vor mir ging ein Paar eng umschlungen den Pfad entlang. Rafael und Gabrielle. Die Liebe meines Lebens und meine beste Freundin seit Kindertagen. Es schmerzte sie so glücklich zusehen­. Zusammen.

Wie sie das Glück teilten, das eigentlich mir zustand. Ich sollte dort am Arm von Rafael gehen. Ich sollte mit Gabrielle lachen. Nicht sie. Nicht sie. Es fühlte sich alles so falsch an, seit sie letzte Woche vor unserem Herrenhaus standen und mir ihre Verlobung verkündeten. Ich war mit Rafael verlobt gewesen, bis vor kurzem. Ich, nicht Sie. Mein Herz brannte im Höllenfeuer und schrie nach Rache. Vergeltung für den Vertrauensbruch.

Gabrielle wusste, was ich für Rafael fühlt. Wusste, wie meine Haut in Flammen stand, wen er mich nur ansah. Wusste dass alles, was ich je für mich wollte, er war. Und dennoch hatte sie ihn mir genommen­. Sie meine Vertraute, meine Schwester.

 

Ich beobachtete sie, wie sie immer wieder stehen blieben, um sich zu küssen, einander süße Worte ins Ohr zu raunten. Sie bemerkten nichts. Nicht wie ich wie ein düsterer Schatten hinter ihnen herlief, mühsam darauf bedacht nicht wild knurrend auf sie zu stürzen und ihre Herzen in tausend Stücke zu zerfetzen, wie sie es mit meinem Taten und auch nicht wie der Mann langsam die Waffe hob.

Ich erkannte ihn. Er hieß Gideon und war einer von Gabrieles früheren Liebhabern. Ich sah, wie das Metall der Pistole hell im Sonnenlicht aufleuchtete. Doch Gideon stand im Schatten. Nein, er war ein Schatten. Ich sah was er tun würde, bevor er abdrückte.
Ohne darüber Nachzudenken stürzte ich auf Gabrielle zu und schützte sie mit meinem Körper. Mein ganzes Inneres erbebte, als sich der Schuss in mein Herz bohrte.

Brutal stieß mich Gabrielle von sich weg und ich fiel in den unberührten Schnee: „Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen. Was fällt dir ein mich anzugreifen?“ zischte Gabrielle wütend und ihr schönes Gesicht lief rot an. Ich beachtete sie gar nicht. Ich spürte nur noch doppelter Schmerz, beide in meinem Herzen vereint um meine Quallen in einen dunklen Wirbelsturm zu verwandeln. Ich spürte, wie das Lebenselixier aus meinem Körper sprudelte und mein hellblaues Kleid, den weißen Mantel und schließlich den Schnee durchtränkte.

Merkwürdig gedämpft hörte ich den unverkennbaren Schrei von Gabrielle. So würde ich also sterben. Gabrielle nahm mich in den Arm und Tränen tropften auf mein Gesicht. Am liebsten hätte ich sie weggeschoben, doch ich hatte keine Kraft dazu. Ich hatte ihr nicht verziehen. Nein, das könnte ich nicht, noch nicht.

„April, April, bleib ihr. Du darfst mich nicht verlassen. Nicht jetzt. April komm schon, ich verzeihe dir. April bitte. Ich hab dich doch so lieb. Ich brauche dich. Bitte Süße, verlass mich nicht …“ flüsterte Gabrielle unter Schluchzern und wiegte mich wie eine Mutter ihr Baby. In diesem Moment erinnerte ich mich an einen längst vergangenen Tag. Gabrielle und ich als Kinder, lachend in einem Labyrinth aus Rosen.

Mein Herz verkrampfte sich im Versuch weiters Blut durch die zerfetzten Gänge fließen zulassen. Ich spürte, wie sich langsam eisige Kälte auf mich legte, wie ein seidenweiches Tuch. Ich sah in den Himmel. Eine einzelne schwarze Wolke zog über den blauen Himmel. Ich versuchte mich an ihr festzuhalten. Doch mein Blick verschwamm, bis alles zu einer blauen Suppe wurde.

 Angst packte mich, ich wollte doch noch gar nicht sterben. Nicht bevor ich die Welt gesehen hatte, nicht bevor ich wirklich gelebt hatte.

Meine Familie kam mir in den Sinn. Mein Vater mit dem schütteren mausbraunen Haar und den warmen grünen Augen, wie er in seinem Sessel saß mir Geschichten erzählend, meine sanfte Mutter mit dem honigfarbigen Haar und den seelenvollen blauen Augen, die auf mich wartete um mir bevor ich in mein Bett schlüpfte meine Haare bürstete und mein kleiner Bruder, der einmal alles Erben würde, gerade einmal vier Jahre alt geworden.  Würde er sich an mich erinnern?

Liebe und Verzweiflung durchströmten mich, wie früher mein Blut. Ich konnte nicht gehen ohne ihnen gesagt zu haben das ich sie Liebe. Mit letzter Anstrengung sammelte ich all meine verbliebene Kraft. „Gabrielle, bitte … bitte sag ihnen das ich sie liebe … meiner Familie …Bitte …“ meine Stimme versagte. Ich würde ihr alles verzeihen, wen sie es ihnen nur sagte. Verschwommen sah ich noch wie sie nickte dann wurde alles schwarz. Bilder von Tag und Nacht flimmerten vor meinen Augen. Mein Geist löste sich von meinem erschlafften Körper. Ich sah ihn. Wie er da in Gabrielles Armen lag, das helle Gewand dunkel vom roten Blut. Ich drehte mich um und schwebte davon, ohne mich noch einmal umzublicken auf das Licht zu. In ein neues Leben.

 

Kommentare

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Am 20.06.2012, Bellmauselefant
Ja, jetzt gefällt es mir schon viel besser.
Im Allgemeinen sind Erinnerungen sehr gut in Texten, glaube ich, da der Leser dann etwas mit heute 'vergleichen' kann. Toll!
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Am 20.06.2012, Lorrain
@ Bellmauselefant
Habe den Teil der dir nicht gefallen hat umgeändert.
Ich hoffe er gefällt dir jetzt...
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Am 20.06.2012, Bellmauselefant
Ich weiss nicht, wie ich dich das sonst fragen kann (Keine Nachrichten, kein Chat) Aber, was hältst du von meinem Text 'Leere, Verzweiflung, Loch, Tod?' Bin bisher begeistert von deinen Kommentaren, in Lob und Kritik ausgedrückt. Dann mach ich hoffentlich Fortschritte !:)
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Am 20.06.2012, Lorrain
@Webmaster
Vielen Dank für deinen Kommentar. Er war wie Regen nach einer langen Dürre. Er erfrischt mein Geist und gibt mir Mut weiter zuschreiben ...

@Bellmauselefant
So sehr ich mich auch über dein Lob gefreut habe, noch mehr Freude hat mir deine Kritik gebracht, denn ohne Kritik kann ich nicht wachsen und das ist es, was ich will.
Vielen Dank.
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Am 20.06.2012, Bellmauselefant
Dein Text ist nicht gut, er ist schön. Er ist wunderschön. Du schaffst eine 'Atmospäre'. Du bewegst etwas in mir.
Einzig etwas hat mir, ehrlich, gar nicht gefallen. 'Ich meine ich sterbe gerade, da kann man doch wenigstens verlangen, dass man das ohne nervige Heulerei tat.' Das macht alles kaputt! Es war so poetisch und schön, dass erinnert an Humor, und es war traurig. Das gefiel mir sehr.
Der Text im Allgemeinen ist wirklich toll. Einzig dieser Zeit, dieser eine Satz, mag ich nicht. Aber durch den Schluss rettest du das wieder!!!