Ever a Moment, die Entscheidung 3.
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3.
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ord Aren stand in seinem Büro im Schloss am Fenster und blickte hinaus. Die Schlacht wurde von Stunde zu Stunde schlimmer und er hatte keine Ideen mehr, um die Kinder zu beschäftigen. Er hatte sie ausruhen lassen, doch die wenigsten von ihnen vermochten zu schlafen. Zu gross war die Angst.
Auch Aren mochte kaum stillsitzen. Er wusste, irgendjemand musste die ganze Geschichte von ausserhalb des Schlachtfelds koordinieren, doch es brachte ihn schier um, nicht an der Seite seiner Verbündeten kämpfen zu können. Er brauchte irgendetwas, um sich selbst und die Kinder beschäftigen zu können. Also rief er sie zu sich.
Als eine Grosszahl in seinem Büro versammelt war, meinte er.
«Ich hätte gerne Admiral Maurizius, die Seherin Sarah, Salim, Norbert, den Vampirfürsten und eine der Zirkelführerinnen in meinem Büro. Könntet ihr sie finden und hierherbringen?»
Eifriges Nicken, wenn auch ohne Lächeln. Der Lord versuchte ihnen einen aufmunternden Blick zu schenken, als er ihnen die Tür öffnete, jedoch bezweifelte er, dass es ihm sonderlich gelungen war.
Einige Minuten später trafen die ersten ein. Die Seherin wurde von ihrer Freundin Jenna begleitet. Beide hatten Blutspritzer an ihrer Kleidung. Als nächstes betrat Sirane das Büro. Ihr Gang war schwerfälliger als sonst, ihr Köcher, der gemeinsam mit dem Bogen über ihrer Schulter hing war zu dreiviertel leer. Leise wurden Begrüssungsworte ausgetauscht.
Als alle da waren, betrachtete Aren alle der Reihe nach. Abgesehen von Salim und Shisha sah man allen an, wie die Schlacht an ihren Kräften zerrte.
«Könnt ihr mir Bericht erstatten?», bat der Lord die Vertreter der einzelnen Gruppen. Der Admiral zuckte mit den Schultern.
«Bei uns ist es noch nicht sonderlich interessant. Die Flotte des Königs kommt nur langsam voran. Seine Schiffe sind fast zu gross für den Eja-River. Sie sind für das Meer gedacht, nicht für den Fluss. Meine Mannschaft hilft den Soldaten an Land, bis sie andere Befehle kriegen.»
Salim nahm den Faden auf.
«Bei uns ist es ähnlich. Ich habe einige der Unsrigen den Fluss hinuntergeschickt. Sie sollen die Rümpfe der gegnerischen Schiffe nahe des Engpasses zerstören. Dort können sie den Felsen die Schuld geben.»
Aren nickte und wandte sich Sirane zu. Sie meinte:
«Das Erschiessen der Fusssoldaten ist schwierig. Der König kennt seinen Feind und hat seine Soldaten dementsprechend ausgerüstet. Jeder höhere Soldat besitzt einen kleinen magischen Schutzschild, welcher ihn vor Pfeilen schützt. Die niederen Soldaten wiederum sind viel zu viele, um sie spürbar zu dezimieren.
Die Schlangenköpfe bringen wir mithilfe der Elementarmagier zu Fall, die auf den Wehrgängen positioniert sind. Doch ihre Magie verlässt sie langsam aber sicher.»
«Ich schicke euch Hannah und Paul. Beides Erdmagier, die geholfen haben, den Schlangenkopf in der Maroja-Schlucht zu töten. Sie wären heute auf der Ebene eingeteilt», fügte Nor hinzu. Sirane nickte dankbar.
«Bei uns geht’s so ziemlich stetig bergab», meinte Nor. «Das Können der Soldaten ist kein Problem, aber auch wenn die Schatten die Gegner zuhauf dezimiert haben, sind es noch immer viel zu viele.»
Shisha fügte hinzu: «Unsere Magie tötet sie nicht sofort, sondern betäubt sie nur. Man bräuchte Zeit und das Bleiben der Magie, um sie damit zu töten.
Was uns hier nicht allzu oft möglich ist. Im Moment arbeiten meine Vampire je mit einem Krieger zusammen. Wir betäuben die Gegner und die Krieger schlachten sie ab, während wir ihnen den Rücken freihalten.»
Wie zur Bestätigung seiner Worte hörte man das Blut von seinem Schwert tropfen. Der Lord rieb sich die Stirn.
«Was könnt ihr mir über die Verluste sagen?»
Sarah ergriff als erste das Wort.
«Bei den Verletzten konnten wir bisher alle Infektionen auffangen. Anders sah es bei solchen aus, die einen aufgeschlitzten Bauch oder ähnliches haben. Dort gab es einige Tote. Aber ich bitte euch, befiehlt euren Soldaten, dass sie ihre Wunden, egal wie klein sie sein mögen, verbinden zu lassen. Zu schnell infizieren sie sich und zu spät bemerkt man es.»
Salim neigte den Kopf als Dankeschön, ebenso tat es Shisha. Als nächstes sprach Nor, dann Sirane, Maurizius, Salim und zum Schluss Shisha. Als alle ihre momentane Schätzung ausgesprochen hatten, meinte der Lord:
«Fassen wir zusammen. Bei den Kreaturen der Nacht hat es fast keine Toten. Die Mehrzahl dieser Toten sind die Hunde und Teufelstiger. Bei den Hexen ist es unklar, da manche einen Sturz vom Himmel überlebt haben könnten. Jedoch liegt die Schätzung hoch. Bei den Fusssoldaten wiederum viele Verluste, bei den Reitern weniger. Die Seeleute verzeichnen gar keine Tote und die Heiler einige, die ihren Verletzungen erlegen sind.
Heute Abend hätte ich gerne, dass einige rausgehen und die Toten zählen.»
Alle sahen Aren an, warteten, ohne ein Wort zu sagen. Bis er sich die Augen rieb und sich in seinen Sessel fallen liess. Seine mühsam aufgelegte Maske, um zu verbergen, wie sehr ihn den Krieg mitnahm, war zerfallen.
«Kann ich euch irgendwie helfen?», fragte er. Jenna trat zu ihm und legte ihre Hand auf seine.
«Ja. Ihr könnt an uns glauben, den Soldaten ein gutes Gefühl geben und dafür sorgen, dass die Stadtbewohner nicht in den Kampf hineingezogen werden.»
Er blickte den Anwesenden in die Augen, sah auf eine geschlossene Front, die zu ihrer Meinung und ihrem Volk stand.
«Ihr helft uns bereits mit dem Wissen, dass Ihr in diesem Zimmer umhergeht und fast umkommt vor Sorge», meinte Sarah lächelnd. Dann verliessen sie den Raum ohne ein Abschiedswort. Es wäre wie ein schlechtes Omen gewesen, wenn sie sich verabschiedet hätten.
Jenna folgte ihnen, schloss die Tür jedoch nicht, bevor sie Aren ein müdes, aber aufmunterndes Lächeln schenkte. Ihr gelang es besser als dem Lord, wie ihm klar war. Also stand er auf und machte genau das, was die Seherin prophezeit hatte.
Er ging in seinem Büro auf und ab und sorgte sich um seine Verbündeten.
∞
Clare, Sam und Chase ritten in den vorderen Reihen. Ihre Pferde, die sie von der Zucht des Vampirfürsten geschenkt bekommen hatten, schritten weich voran. Seit einigen Tagen waren sie wieder unterwegs. An den ersten beiden Tagen, nach ihrem Abenteuer, war Neron nicht von ihrer Seite gewichen. Mittlerweile lief er wieder bei seinen neuen Freunden. Ein Auge war jedoch immer auf Clare und Sam gerichtet.
Gestern waren sie in den Vorläufern des Gebirges angekommen. Tannenwälder und zerklüfte Felsen bestimmten das Bild. Weiter hinten schnaubte ein Pferd.
Chase ergriff das Wort:
«Habt ihr schon darüber nachgedacht, wie es nach dem Krieg weitergeht?»
«Du bist ja optimistisch», brummte Clare.
«Und du bist pessimistisch!», schoss es sofort zurück.
Sam dachte nach, den Blick in die Ferne gerichtet.
«Ich weiss nicht, wie die Welt vor vierhundert Jahren war. Aber ich glaube, dass es nach dem Krieg eine ähnliche Freiheit geben wird. Dass Gleichberechtigung herrscht, nicht nur zwischen den Ländern, den verschiedenen Personen, sondern auch zwischen den verschiedenen Völkern, die Kreaturen der Nacht inbegriffen.
Ich hoffe, dass nach dem Krieg alle mithelfen, unsere Städte und Dörfer wieder aufzubauen. Alle zusammen. Ohne dass jemand sagt, nein, den mag ich nicht, oder nein, die sassen mal auf der Strasse, mit denen möchte ich nichts zu tun haben.»
Clare fasste nach seiner Hand, strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Der Assassine erwiderte die Geste. Chase Stimme klang belegt, als er erzählte:
«Mein Ausbildner hat mir mal von einer anderen Welt erzählt, in der es keinen Krieg gibt und ein ganz besonderes System herrscht. So wie er erzählt hatte, würden die Könige dort vom Volk gewählt, durch Abstimmungen. Wer dann am meisten Stimmen bekam, wurde König oder Königin. Nur Leute, die schwören, ihrem Volk beizustehen und nichts Schlechtes zu tun, durften sich überhaupt zur Wahl stellen. Sobald das Volk der Meinung war, dass dies nicht der Fall war, wurde der Herrscher degradiert und war von einem Tag auf den anderen nichts weiter als ein normaler Arbeiter.
Was mich aber am meisten berührt hat, ist der Charakter dieser Welt. Es gibt Leute, die auf der Strasse sind, aber die meisten wollen es so. Zigeuner und Freigeister sind das.
Und wo unsere Länder die Leute auf der Strasse als Abschaum betrachten, wird sich dort um sie gekümmert. Man gibt etwas auf ihre Meinung und sorgt für sie. Ich hoffe, diese Welt lebt noch. Sie hat es nicht verdient unterzugehen.»
Ehrfürchtig blickte Clare ihn an.
«Das hört sich an wie ein Traum. Aber wie ein guter Traum.»
«Ja, das tut es», erwiderte Sam darauf. Ein Lächeln im Gesicht, trotz des Schreckens, der noch auf sie zukam.
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