Die Fabrik

Cover
Knjiga
Veröffentlicht: 12.03.2023 10:46
Aktualisiert: 25.04.2023 12:29
Bewertung:
Deine Stimme wird abgegeben.
Bewertung: 5.0 von 5. 3 Stimme(n).
Klicke auf die Sterne, um den Text zu bewerten.

Text

Amisha

Es ist früh am Morgen. Die meisten in der Metropole Delhi, Indien schlafen noch.

,,Viel Erfolg, Amisha, meine Liebe!" wünscht mir Mutter zum Abschied und küsst mich auf die Wange. 

Ich umarme sie, bedanke mich für das kurze Frühstück und mache mich auf den Weg zur Textilfabrik. Es dauert seine Zeit, bis ich den Slum durchquert habe, in dem ich wohne. Ich blicke nach oben. Dunkle Wolken ziehen auf. Ich lächle. Mutter hat erst gestern gesagt, die Regenzeit sollte bald beginnen. Heute ist es wohl so weit. Ich laufe weiter. Die kleine graue Katze, die ich Amit getauft habe, was Freund bedeutet, schläft unter dem Vordach von dem Haus von Mira, einer meiner besten Freundinnen. Ich habe sie gerettet, vorher lebte sie ganz allein auf der Strasse, doch jetzt kümmern Mira, Madhu und ich uns um sie.  Ich löse meinen Blick der schlafenden Katze und laufe weiter, bis ich ankomme.

 

Paula

Es ist 10 Uhr, es läutet zur grossen Pause. Meine Freundinnen und ich holen unsere Brotdosen und laufen schnatternd nach unten. Meistens sprechen wir über die neusten Filme, irgendwelche Gerüchte der Schule und ganz selten, aber öfter als wir es wahrhaben wollen, über Jungs. Diesmal bin ich etwas schweigsamer. Wir nehmen in der 8. Klasse gerade den Kleiderkonsum und seine Folgen durch, was mich zum Nachdenken bringt. Also versuche ich, das Thema anzuschneiden, doch es kommt nicht wirklich gut an. ,,Jaaaah, es ist richtig nervig" sagt Sheila und verdreht die Augen. ,,Die wollen uns die Lust zum Shoppen komplett verderben" ,,Ich weiss nicht so recht" erwidert Lucie, ,,Es ist ja auch wahr,  was für schreckliche Arbeitsbedingungen in den Fabriken herrscht" ,,Ich glaube", sage ich, ,,ich mache eine Shopping-diät." Sheila verdreht wieder die Augen. ,,Aaaach, du wirst doch jetzt nicht so wie Lilli und versuchst die Welt mit  Fairtrade zu retten, oder? Sie ist echt jämmerlich!" Ich sage nichts dazu, weil manchmal finde ich Lilli ganz okay. Sheila vergsst das Thema auf einmal und starrt mit panischem Audruck auf Luke, der gerade auf Lilli zugeht.

 

Amisha

Ich sitze an meinem Platz, mache die Nähmaschine bereit und schnappe mir das erste T-Shirt. Es würde ein langer Tag werden. Auf einmal donnert es, jeder in diesem Raum schaut kurz nach draussen und sieht wie es regnet. Ich kann sehen, wie sich im ganzen Raum ein Lächeln ausbreitet. Bis jetzt war es sehr trocken, und wir hofften alle auf Regen, doch wissen wir alle, dass wir dann später uns wohl die Sonne wünschen würden. Ich beginne mit der eintönigen Arbeit, doch mit einem Lächeln auf den Lippen. Doch der Fabrikbesitzer, der in diesem Moment die Kontrolle macht, ob alle da sind, runzelt die Stirn. Ich weiss nicht, warum. Stunden später regnet es richtig stark, und der Fabrikbesitzer ist nicht da, weshalb wir es uns erlauben, leise miteinander zu sprechen. Ich habe das Glück, dass mein Arbeitsplatz direkt hinter Madhu's Arbeitsplatz ist. Wir sind beide 14 Jahre alt und beste Freundinnen. Mira, die dritte im Bunde, arbeitet nicht in der Fabrik. Wir sprechen leise über Amit, die Katze, bis ich hinter Madhu einen Riss in der Mauer bemerke. ,,Oh, schau mal!" unterbreche ich Madhu. Sie starrt auf den Riss und schaut mich beklommen an. ,,Der war vorher noch nicht da!" ,,Wir müssen es dem Chef sagen" meine ich und runzele besorgt die Stirn. Schweigend nähen wir weiter. 

 

Paula

Wir sitzen wieder im Unterricht. Frau Moroni erklärt uns, wie gefährlich die Textilfabriken sind. ,,Oft werden die Fabriken nicht kontrolliert, ob sie sicher gebaut sind" sagt sie. Sheila reicht mir einen Zettel von hinten. Frau Moroni hat uns auseinandergesetzt, weil wir zu viel quasseln würden. Ich lese ihn. Seit wann ist Luke mit Lilli zusammen??? Dahinter hat sie ganz viele heulende Smileys gemalt. Ich weiss, dass sie ziemlich heftig in Luke verknallt ist und als sie gesehen hatte, wie er Lillis Hand genommen hatte und ihr in die Augen gesehen hatte, hat sie so gut wie den Verstand verloren. Lilli, die neben mir sitzt, linst mir über die Schulter. Ich verdecke den Zettel mit der Hand, grinse sie an und verdrehe die Augen in Richtung Sheila. Plötzlich räuspert sich jemand hinter mir, unverkennbar Frau Moroni's Stimme. Lilli und ich werden rot. ,,Kann mir jemand sagen, weshalb es in der Regenzeit gefährlich ist?" Lilli rettet uns beide, indem sie sagt: ,,Wenn die trockenen Mauern aufgeweicht werden, könnten sie einstürzen." Frau Moroni nickt. 

 

Amisha

Eine gute halbe Stunde später ist der Fabrikbesitzer immer noch nicht da. Ich weiss, dass die Türen abgeschlossen sind, damit wir nicht flüchten können, auch die Fenster sind vergittert. Auf einmal knackt etwas. Ich schreie auf. Madhu und ich stürzen auf die andere Seite des Saales. Der Riss wird grösser. ,,Durch den Regen wurde die Mauer aufgeweicht" flüstert ein Mädchen neben mir ängstlich. ,,Die Fabrik wird einstürzen!" Ich versuchte, sie zu beruhigen. Sie ist jünger als ich, vielleicht 12. Dann erreicht der Riss die Decke und ein zweiter Riss zweigt sich von dem Grossen ab. Einige schreien auf. Durch das vergitterte Fenster sehe ich, wie der Fabrikbesitzer flüchtet. ,,Dieser elende Eselsohn!" schreit Madhu. Dann stürzt der erste Teil ein. Wir befinden uns im 1. Stock, über uns ist noch ein Stock. Wir sehen nach draussen. Das jüngere Mädchen klammert sich an mich. Ich sehe, wie die Mauer so abgebrochen ist, dass sich eine Art Treppe bildet. ,,Hör zu" sage ich zudem Mädchen und schaue ihm in die Augen. ,,Steige die Mauer hinab und renne dann um dein Leben!" Ich weiss, dass das extrem gefährlich ist, doch der winzige Ausweg. Sie nickt, umarmt mich zum Abschied und rennt los. Die Decke bröckelt. Sie klettert hinab. Neben ihr bricht der Boden ab. Sie sitzt auf einer Art Insel. ,,Du schaffst das!" schreie ich. ,,Schnell!"

 

Paula

Es klingelt, alle packen ihre Sachen und stürmen nach draussen. Es ist Freitag, und alle wollen nach Hause. Sheila sitzt immer noch wie ein Wrack an ihrem Platz. ,,Komm schon, Süsse" versuche ich sie zu überreden, aufzustehen. Sie schafft es tatsächlich. ,,Ich brauche eine Shoppingerholungstour" keucht sie. Ich sehe, wie Frau Moroni ein enttäuschtes Gesicht zieht. Ich drehe mich wieder zu Sheila und sage: ,,Das bringt nicht wirklich viel, du musst dich entspannen und nicht in den Grossstadtstress eintauchen, das hilft weder dir, noch hilft es" ich senke die Stimme und flüstere verschwörerisch, ,,der Liebe" ,,Vielleicht hast du Recht…" Ich grinse. Sheila ist so am Boden zerstört, dass sie sich weigert, nachzudenken. Frau Moroni lächelt. ,,Doch was verstehst du schon von Liebe…" seufzt Sheila theatrealisch. Da könnte sie Recht haben.

 

Amisha

Es ist wie das Ende der Welt. Der Fluchtweg ist jetzt zerstört, die Fabrik stürzt immer wie schneller ein. Es knackt unter uns. Ich schreie wieder. Dann versuchen wir uns, uns auf die andere Seite des Raumes zu wechseln. Der Boden hinter uns bricht ab. Ich drehe mich während dem Stürmen um und sehe, wie jemand von uns abstürzt. ,,NEIN!" schreie ich wieder und meine Tränen gewinnen die Oberhand. Es ist alles so schlimm. Vor uns bricht wieder ein Stück ab. Madhu schreit, sie hält meine Hand. Einige klettern unter die Tische. Wieso machen wir das nicht? Ich achte zu sehr auf den Boden, dass ich die Decke vergesse. Ich sehe nur noch, wie etwas von oben auf mich zurast, dann spüre ich einen schrecklichen Schlag auf den Kopf, es knirscht und ich bin nicht mehr.

 

Paula

Am nächsten Tag sprechen wir eine Lektion lang über die eingestürzte Fabrik in Indien. Es sind 90% der Arbeiter gestorben, einige waren so alt wie wir. Ich bin enttäuscht von der Welt, dass sie so etwas zulässt. Trotzdem sprechen wir in der Pause wieder über Jungs.

 

Leider sind wirklich schon Textilfabriken zusammengestürzt, weil sie in einem schlechten Zustand waren. Und wir haben das genauso ignoriert und so weitergemacht wie vorher! Eigentlich sollten die Gebäude kontrolliert werden, doch nicht immer wird das auch wirklich getan. Unser Konsum hat schlimme Folgen für Menschen, aber auch für das Klima. Der grösste See der Welt ist wegen Fast Fashion, was schnelle Mode bedeutet, beinahe nur noch eine giftige Salzlache. Das ist nur ein Beispiel. Du kannst helfen, indem du deine Kleider brauchst, bis sie kaputtgehen oder dir zu klein werden. Wenn sie danach noch brauchbar sind, verschenkst du sie oder verkaufst sie auf dem Flohmarkt. Kaufe nur noch selten Kleider, und auch nur Bio oder Fairtrade. Achte auch auf die Textilien. Polyester enthält Mikroplastik, dass durch das Waschen in die Grundgewässer gelangt. Wissenschaftler stellten schon einen Plastikgehalt im Schnee fest. Du kannst deine Kleider auch wiederverwerten, zum Beispiel als Tasche, oder spende sie an eine Hilfsorganisation, z.B dem roten Kreuz!

Wenn wir gemeinsam arbeiten, schaffen wir es, Fast Fashion zu stoppen!

Kommentare

Profilbild
Am 22.03.2023, welcome home
Hoi Knijga :)

Deine Geschichte hat mich gepackt und du hast sie richtig fesselnd geschrieben. Mir gefällt es auch sehr gut, dass du zwischen Paula und Amisha hin und her gewechselt hast.
Es ist schlimm, wie schlecht die Arbeitsbedingungen sind und was eigentlich hinter unserer Kleidung steckt. Du hast das schön verpackt und super darauf aufmerksam gemacht!
Ich mag auch den Hinweis am Ende und was man ändern kann.

Was mir aber noch auf dem Herzen liegt: Es ist okay und wichtig, sich auch mit den eigenen Problemen und Themen auseinander zu setzen. Diese nicht mit anderen zu vergleichen, die es schlimmer haben. Es hat es immer jemand schlimmer oder es geht immer jemandem schlechter. Das bedeutet aber nicht, dass es einem selbst nicht auch mal scheisse gehen kann!

Es ist wichtig, dass wir das wertschätzen, was wir haben und wir achtsam mit uns und unserer Umwelt umgehen.

Ganz lieber Gruss
welcome home :)
Profilbild
Am 12.03.2023, Nebula
Hi Knijga!
Du hast einen sehr spannenden Klimatext geschrieben, der einem auch nachdenklich macht… Auch ich hatte das Thema Kleiderproduktion in der Schule- es ist unglaublich, wie viel wir eigentlich rein für die Mode opfern!
Besonders an deiner Geschichte gefiel mir der Wechsel zwischen Amisha und Paula. Es war irgendwie interessant, das Ganze aus zwei Perspektiven zu erleben…
Ich freue mich auf die nächsten Klimatexte!
Nebula