"aber"
Text
«…aber…», flüstert sie mir ins Ohr. Und da reisst sich der eine tiefe Kerbe in mein Innerstes.
Wie durch eine dichte Schicht Sand rieseln langsam ihre Worte zu mir durch. Ich verschlinge sie, werfe sie mit in den Abgrund, der sich in mir öffnet, diese grosse Leere, bekannt und doch verhasst. Ich versuche, nicht in ihn hineingerissen zu werden, werfe alles hinein, was ich die letzten Tage und Wochen und Jahre angesammelt habe, alles, was mich herunterziehen kann, was schon längst kaputt und am Faulen ist.
Während alles in mir schreit und sich auf die Kälte vorbereitet, halte ich meine Front intakt, lasse nur so viel nach draussen durchdringen, wie mir vielleicht helfen kann. Doch ich glaube, nein ich weiss, dass ich niemals alles herausfliessen lassen könnte. Denn es ist zu viel, zu schwer, zu kompliziert.
Es ist alt und neu, es ist ein Klumpen, der wächst seit ich zum ersten Mal diesen dumpfen Schmerz verspürte, diese ablehnende Wand. Tag um Tag, Woche um Woche, Jahr um Jahr habe ich mehr dazu gegeben, stets darauf bedacht, es nicht nach aussen zu tragen, sondern es da drin zu halten, da drin, wo nur ich ihn zu ertragen hatte. Die Magnete, die ich mit mir trage, sind zu stark; sie sammeln mehr an, als ich aushalte, mehr als irgendjemand aushalten könnte.
Und nun, inmitten dieses Abgrunds, der Leere, spüre ich ihn deutlicher als üblich. Ich packe meine Sachen zusammen. Ich verabschiede mich von ihr. Grosse Augen. Sie weiss es. Sie spürt es. Wir wissen aber beide, dass ich diese Leere alleine zu ertragen habe. Der Klumpen windet sich, als sei er lebendig, als hätte ich etwas gezüchtet, das nun einmal mehr zu Kräften kommt. Eine Kreatur, die all das für mich aufbewahrt, was schon immer geschmerzt hat. Nun bin ich wieder alleine, alleine mit dem Klumpen, mit dem Produkt meiner Albträume, meiner Sorgen, Herzensbrüche und der Inbegriff der Einsamkeit, die sich nie wirklich bannen lässt. Alleine, weinend im Zug, stürze ich mich in die Tiefe. Die Leere, sie ist mein zu Hause, doch heute fühlt sie sich nicht beruhigend an; es stürmt und zerrt an mir, reisst mich auseinander und schlägt mich durch die haltlose Kälte. Krächzende Stimmen heulen im Wind.
Wie konntest du denken, es sei dieses Mal anders?
Heisse Tränen jagen über meine Wangen.
Du hast nichts Gutes verdient.
Meine Augen brennen.
Du bist und bleibst einsam.
Ich schreie.
Ich werde um den Klumpen geschleudert, der bleierne Trauer und stechende Enttäuschung ausstrahlt, ich ziehe mich zusammen, kann nicht mehr, es ist zu viel aufs Mal. Ich gebe mich ihm hin, brenne. Kurz. Dann kommt die Leere, doch noch immer nicht meine altbekannte Leere. Diese Leere ist der Brunnen der Hinterfragenden, die Quelle aller Zweifel. Die Leere umschliesst mich sanft, streicht mir die Tränen von den Wangen und die Haare aus dem Gesicht. Sorgfältig, fast liebevoll, drückt sie mich, bevor sie mich einer neuen Tiefe übergibt, einem Abgrund, den ich hinunterrase. Ich höre meinen Puls pochen, doch so wirklich spüre ich meinen Körper nicht. Meine Gedanken beginnen zu rasen.
Vielleicht, vielleicht hat sie es nicht so gemeint.
Vielleicht habe ich bloss das «aber» in ihrem Satz gehört; das «aber», das nach der Bestätigung kam, dass ich ihr etwas bedeute, das «aber», das nichts anderes ausdrückt als die Mitteilung, dass es nicht ausreicht, dass ich ihr etwas bedeute. Vielleicht war das aber nicht das, was sie mir zu verstehen geben wollte. Viel mehr hat sie vielleicht ihre eigene Verunsicherung ausgedrückt, ihre eigene Ungewissheit darüber, was die Zukunft bringt.
Und ich Idiotin wollte Sicherheit und Gewissheit in einer Situation, in der es keine Gewissheit über die kommenden Entwicklungen gibt. Ich Idiotin hatte mir erhofft, dass ich eine Antwort von ihr erhalten könnte, die mir diesen Halt geben kann. Doch je länger ich falle, desto weniger fühle ich mich ausgeliefert. Vielleicht gehört es dazu. Und vielleicht darf ich diesem Klumpen in mir nicht diese Macht geben. Diese Macht, mich wegen eines einzelnen Wortes in die Tiefe zu reissen, in die Tiefen der gekränkten Teile meiner selbst. Jene, die ich über Tage, Wochen, Jahre genährt hatte. Vor denen ich mich gerne in die gefühllose Leere stürzte, die gleich daneben angesiedelt ist. Der Klumpen, der bloss ein «aber» gehört hat. Und vielleicht, ja vielleicht, war die schwierige Antwort schlussendlich doch einfacher als eine simple, leicht verdauliche.
Ich bin unendlich erschöpft. Wird es jemals einfach sein? Nein. Nein, das wird es nicht. Und heute ist einer der Tage, an denen ich mich frage, ob all dieser Schmerz, all die Energie und die daraus folgende Erschöpfung, ob sie es wert ist. Ob ich mich nicht wieder in Leere hüllen kann und mich in die Tiefe stürzen, wann immer Ungewissheit aufkommt. Ob ich mich nicht einfach verkriechen kann, in dieser dunklen Ecke in meinem Innersten, in der ich vor mich hin brennen kann. Oder ob es in dieser Sphäre überhaupt je Ruhe für mich gibt.
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