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Stell dir vor, die Sterne würden fallen

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Cherimoya
Veröffentlicht: 09.06.2022 18:53
Aktualisiert: 09.06.2022 18:54
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Kurzbeschrieb:
Hey! Das ist mein erster kurzgeschichtenähnlicher Text. :) Also bitte nicht allzu streng sein.
Neue Lieblingsworte: Abendschein, Dämmerungsfalter, Dämmerungsstille, dunkelselig, funkengleich, nebelschwer, schneezart, traumstill.

Text

Als ich aus dem Fenster blicke, ist es noch hell, aber die Sonne geht bald unter. Ich nehme mir eine Decke, eine Flasche Tee und eine Packung Kekse und setze mich auf das Dach, während ich den Lauf der Sonne beobachte. Glühend rot wie ein sterbender Stern versinkt sie schließlich hinter dem Horizont und die purpurgraue Dämmerung setzt ein.

Ich lege mir die Decke um die Schultern und warte auf sie.

Ich weiß nicht, wie lange ich so sitze, aber endlich kommt sie. Langsam, bedächtig und still. Und dann ist sie da. Sie sitzt neben mir und befindet sich doch zugleich überall in der Luft. Ich atme ein und rieche ihren Duft, ihr Versprechen. Schweigend sitzen wir nebeneinander.

Wir brauchen keine Worte, um uns zu verständigen. Ich rekapituliere den Tag und spüre, wie sich eine bleierne Traurigkeit in mir breitmacht.

Und erst, als ich kurz davor bin, in Tränen auszubrechen, spricht sie. "Erzähl es mir."

Und dann beginne ich zu erzählen. Ich erzähle ihr alles. Jedes einzelne Gefühl, jede Situation, jeden Moment. Und zwischendrin weine ich. Ich erzähle unter schluchzen von den Alpträumen, von der Angst, von der Panik vor dem Referat. 

Ich erzähle ihr, wie Jakob heute zum ersten Mal alleine mit dem Löffel seinen Brei gegessen hat und wie stolz ich bin.

Ich spreche über meine Ängste, über den Schuldruck, meine Sorge, ob ich das Abi überhaupt schaffe.

Aber ich berichte ihr auch von dem wunderschönen Sonnenaufgang, der mich auf dem Weg heute morgen begleitet hat; von dem kleinen Mädchen, das Gänseblumen geplückt hat und sie ihrer großen Schwester gegeben hat, bis beide identische Blümenkränze trugen; von den Wolken, die sich in einer Pfütze spiegelten. 

Als ich eine Pause mache, ist meine Kehle rau und ich bin erschöpft von den Tränen. Aber mein Herz ist leicht, denn jetzt trägt sie meine Last. 

Ich sehe sie an und lächele. Und dann erzählt sie mir und ich schließe die Augen und verliere mich in ihren Worten. 

"Stell dir die Welt aus dem Weltall vor. Auf deinem Kontinent ist gerade Nacht, deswegen liegt er im Schatten. Stell dir die Abermillionen und Trilliarden Sterne vor, die du siehst. Stell dir vor, wie sie vom Weltall aus wirken." 

Ich lächele.

"Und jetzt stell dir vor, sie würden fallen. Stell dir vor, wie du hier liegst, auf diesem Dach. Und über dir fallen die Sterne wie flitterschimmernde Funken, wie ein Wirbel aus Gold, wie ein Tanz aus reinem Licht-Konfetti. Stell dir vor, wie du nach oben blickst, gefangen in einem magischen Schauspiel. Stell dir vor, wie es wäre, wenn der ganze Himmel überfüllt wäre von diesen wunderschönen Funken in der nachtversunkenen Schwärze." ...

Ich weiß nicht, wann ich die Augen aufschlage, doch an der Dämmerung erkenne ich, dass es tagt. 

Ich setze mich auf blicke sie an. Sie streckt die Hand aus und streicht mir übers Haar, bevor sie schwindet. Stück für Stück. Bis die Sonne aufgeht und sie sich langsam im Licht verliert. Ich strecke die Hand aus, wie sie festhalten, doch sie lächelt bloß.. Und dann ist sie weg. Und ich bin ganz allein auf mich gestellt.

Bis zum nächsten Sonnenuntergang bin ich wieder allein. Allein mit dem Licht, bis sie wieder da ist. Ich nenne sie Layla, nach dem, was sie ist - die Dunkelheit. Meine Herzensschwester.

Kommentare

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Am 11.06.2022, Fireheart
So wunderschön!