Himbeereis und Meeresrauschen - Ein Tagtraum

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Amanda_8
Veröffentlicht: 20.09.2021 20:55
Aktualisiert: 20.09.2021 20:55
Kategorie: Dies & Das
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Text

„Wer bist du?“, fragte ich den Mann, der neben mir im Sand auf der Insel saß. 

„Ist das denn wichtig?“ Sein Gesicht war jung und alt zugleich. Seine Augen strahlten keck und waren trotzdem tief und Weise, als würden sie schon lange in die Welt schauen. 

Ich überlegte. „Eigentlich nicht“, gab ich zu. Er nickte zufrieden. Wir schwiegen eine Weile.

„Wo sind wir eigentlich?“, wollte ich dennoch wissen. 

„Was denkst du denn?“ 

„Ich weiß nicht. Es sieht nach einer Insel aus“ Er gluckste und aus irgendeinem Grund ärgerte mich das.

„Was denkst du denn, wo wir sind?“, blaffte ich ihn an. Er blickte nachdenklich in den Horizont. 

„Irgendwo in deiner Fantasie, würde ich sagen. Momentan anscheinend wirklich auf einer Insel“ Er klang amüsiert. 

„Und warum ausgerechnet eine Insel?“ 

„Das Gleiche könnte ich dich fragen. Es ist deine Fantasie. Vielleicht magst du Inseln?“ Fragend schaute er mich an. Eigentlich hatte ich darüber nie nachgedacht. 

„Keine Ahnung... Aber auf jedem Fall kommt man von einer Insel nicht weg, ob man´s will oder nicht.“ 

„Willst du denn weg?“ Seine Augen leuchteten schelmisch auf. 

„Ich… ich weiß nicht. Du?“ 

„Ich finde du hast dir einen recht schönen Ort ausgedacht. Warum sollte ich?“ Ich zuckte mit den Schultern. 

„Warum bist du eigentlich hier? In meiner Fantasie?“ 

Er lächelte. „Ahh, das ist eine sehr gute Frage.“ 

„Heißt das, du weißt es auch nicht?“ 

„Noch nicht“ korrigierte er mich. 

„Was machst du denn sonst so?“ 

„Ich? Ich helfe Leuten weiter, die feststecken“ 

„Worin?“ 

„In ihrem Denken, weißt du?“ Ich schüttelte ratlos den Kopf. „Man kann im eigenen Denken gefangen sein. Sosehr, dass man nicht mehr vor oder zurück kommt. Kein angenehmes Gefühl, sage ich dir“ Er verzog kurz das Gesicht. „Man ist ziemlich hilflos. Und dann helfe ich“ 

„Und wie?“, fragte ich neugierig. 

„Indem ich da bin.“ Das verwirrte mich. 

„Indem du da bist?“ 

Er nickte feierlich. „Genau“ 

Wir schwiegen eine Weile. Dann hielt ich es nicht mehr an mich. 

„Stecke ich auch fest?“, platze es aus mir heraus.

Er betrachtete mich eine Weile von der Seite. „Das weißt du am besten.“ 

Ich überlegte. „Und was, wenn ich mir nicht sicher bin?“ 

„Dann musst du dich entscheiden.“ 

„Wofür?“ 

„Ob du feststecken willst.“ 

„Natürlich nicht!“ 

„Na dann,“ meinte er lachend „tust du es auch nicht.“ 

Ich muss ziemlich überfordert ausgesehen haben. „Aber warum bist du dann hier, wenn ich nicht feststecke?“ 

„Vielleicht, damit du erkennst, dass du es nicht tust.“ Er betrachtete mich forschend. „Aber vielleicht auch wegen etwas anderem. Wahrscheinlich liegt es an dir, dass zu entscheiden.“ 

Ich sah ihn verblüfft an. „Es ist an mir, auszusuchen, warum DU hier bist?“ 

Ein Nicken. „Wie gesagt: Deine Fantasie.“ 

Ich ließ die Aussage sacken und ließ den feinen Sand durch meine Hand rieseln. Er war angenehm weich. 

„Was würdest du denn gerne machen?“, fragte ich schließlich. Er sah mich erstaunt an. 

„Spielt das eine Rolle?“ 

„Warum nicht?“ 

Er zuckte mit den Schultern. Auf einmal wirkte er wie ein kleiner, schüchterner Schuljunge. 

„Darüber habe ich nie nachgedacht…“, murmelte er. Dann strahlte sein Gesicht und ich hatte das Gefühl, er wäre wieder um zwanzig Zentimeter gewachsen und ein großer, kräftiger Kerl. „Ich hätte jetzt Lust auf ein Himbeereis.“ 

Ratlos blickte ich ihn an. „Wie bekomme ich das hin?“ 

Er schmunzelte. „Stell es dir vor.“ 

Ich schloss artig die Augen und versuchte, nur an Himbeereis zu denken. 

„Passiert schon etwas?“, fragte ich mit noch immer geschlossenen Augen. 

„Du kannst wieder schauen“, meinte der Mann vergnügt. Ich spürte wie mir fröstelte und öffnete hastig meine Augen. Sie fielen mir fast aus dem Kopf, als ich mich umsah. 

„Was ist denn das hier alles?!“ Ich deutete auf die pinke Masse, die sich unter unseren Füßen bis zum Horizont ausbreitete. „Doch nicht etwa…?“ 

„Himbeereis“ meinte der Mann und lachte. Ich sah ihn entgeistert an. „Vielleicht solltest du in Zukunft etwas auf die Menge achten“, meinte er unbekümmert. 

„Wie jetzt, dass soll meine Schuld sein?!“, fauchte ich. Er zuckte gleichgültig die Schultern und begann dann etwas vom Eis zu essen. 

„Schmeckt gut, solltest du auch probieren“, befand er, doch ich schüttelte den Kopf. 

„Nein danke.“ Mir wurde immer kälter. „Und wie kommen wir jetzt hier weg? Ich friere.“ 

Er schaute mich ungläubig an. „Hast du es immer noch nicht begriffen? Du musst es dir vorstellen.“ 

„Das ging das letzte Mal mächtig schief…“, murmelte ich leise, startete aber einen zweiten Versuch. Ängstlich, was mich erwarten würde, öffnete ich ein Auge. Doch diesmal schien es besser geklappt zu haben, jedenfalls standen wir nicht auf einem Berg Eiscreme. Anscheinend befanden wir uns in einem Wald, neben einem vor sich hin gluckernden Bächlein. 

„Kennst du diesen Ort?“, fragte ich. 

„Nein“

„Ich auch nicht“ Ich sah ihm zu, wie er sich ins Laub fläzte. „Und jetzt?“ 

„Jetzt sind wie hier.“ 

Ich verdrehte die Augen. „Ach nee. Und was machen wir jetzt?“ 

Er schien angestrengt zu überlegen. „Leben?“, fragte er versuchsweise. „Leben ist immer eine gute Idee“, bekräftigte er sich. 

Ich musste lachen. „Also leben wir jetzt bis an unser Lebensende glücklich vor uns hin und tun nichts anderes mehr?“ 

„Du kannst gern einen besseren Vorschlag machen.“ 

Ich zögerte und dachte eine Weile nach, dann lächelte ich. 

„Du hast recht, Leben ist eine gute Idee.“ Ich ließ mich neben ihm ins Laub fallen. „Lass uns leben. Aber richtig! Mit allem, was das Leben zu bieten hat.“ 

Er lächelte. 

„Ich glaube, deshalb bin ich hier.“ 

„Weshalb?“ Ich sah ihn verständnislos an. 

„Damit du das begreifst.“ 

Nach einer Weile nickte ich. 

„Ja, das ergibt Sinn“

 

Kommentare

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Am 29.09.2021, Travelgirl
Wow, echt cooler Text! Er ist sehr flüssig zu lesen, amüsant, unterhaltsam, natürlich fantasievoll :) und regt zum Nachdenken an. Wirklich toll geschrieben! :)