Wer bist du?

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Amanda_8
Veröffentlicht: 01.09.2021 16:50
Aktualisiert: 01.09.2021 16:50
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Kurzbeschrieb:
Text zu der Frage, was dich zu dich macht

Text

„Wer bist Du?“ Die Frage lag schwer in der Luft und sorgte für eine gespenstige Stille. 

Die Frau am Tisch räusperte sich verdattert, bevor sie antwortete „Ich bin Annemarie…“ 

„Ich meine, wer bist du wirklich? Was macht dich zu dich?“ unterbrach das Mädchen sie. Wieder ein Moment Stille. Die Angesprochene stierte auf die Tischplatte, bevor sie anfing zu sprechen. 

„Ich bin eine Frau mittleren Alters, die 2 Kinder hat und verheiratet ist. Ich liebe es mit meiner Familie Zeit zu verbringen und arbeite im Büro. Ich bin Optimist und denke, dass in jeden Menschen etwas Gutes steckt. Ich wurde 1977 geboren und bin ältere Schwester von zwei Brüdern. Ich…“ Die Frau stockte und schaute verwirrt das Mädchen an. „Das meinst du gar nicht, oder?“ Das Mädchen lächelte nur und schwieg. Nachdenklich schaute die Frau in die Luft und sagte einige Minuten lang gar nichts mehr. 

„Ich glaube, ich kann diese Frage nicht beantworten“. Beschämt huschte der Blick der Frau zu der Fragenden und schien erleichtert, als sie sah, das diese abermals freundlich lächelte. 

„Das sagen viele“ kam die Antwort.

 

„Wer ich bin?“ fragte der Junge nachdenklich nach, ohne eine Antwort zu erwarten. Er schien für eine Weile zu überlegen, dann leuchteten seine Augen auf. „Ich bin…“ Seine Stimme erstarb wieder. Verbissen starrte er seine Hände an, als stände dort die Antwort geschrieben. „Naja“, meinte er schließlich „Irgendwie gibt es mich ja nur einmal. Meinen ganzen Körper, alles ist einmalig. Es gibt niemanden anderen, der genau ist wie ich. Nicht nur vom Körper her, auch meinen Charakter, meine Erfahrungen und Erinnerungen gibt es nur einmal. Ich schätze mal, diese Dinge machen mich zu mich?“ Verunsichert schaute er das Mädchen an. Es lächelte fröhlich vor sich hin, in ihren Augen blitzte es. 

„Und wer genau bist du jetzt? Du bist einmalig, und weiter?“ Versuchte es, ihm eine Antwort zu entlocken. 

„Ich bin dieser Mensch, der mein DNA besitzt, der sich z.B. genau an meinen fünften Geburtstag erinnert, der schnell für etwas zu begeistern ist, Ich… bin Ich“ schloss der Junge. Das Mädchen nickte nachdenklich.  

 

Gedankenverloren schaute der alte Mann in die Ferne, bevor er antwortete. 

„Ich bin ein Mensch. Eine Person. Ein Wesen. Ein Irgendwer auf diesem Planeten. Ein Individuum. Ein alter Mann. Ein Opa. Ein Vater. Ich bin…“ Wachsam sah er das Mädchen an. Es schwieg, also machte er weiter. „Ich bin ein Staatsangehöriger, ein Rentner, ein Angler, ein Leser…“ Er unterbrach sich. „Ich habe bestimmte Vorlieben, Interessen, Wünsche… Diese Dinge machen mich aus, wegen ihnen bin ich, ich“ 

Das Mädchen schaute ihn interessiert an. „Und was war mit deinen Wünschen, Interessen und Vorlieben, als du zehn warst? Waren sie die Gleichen?“ 

Der Mann antwortete gedehnt „Nein, das waren sie wohl nicht…“ Stille. 

Nach einer Weile hub der Mann wieder an zu sprechen. „Ich glaube, dass man trotzdem sagen kann, dass der zehnjährige Junge von damals und der alte Mann, der jetzt hier sitzt, die ein und dieselbe Person sind. Die Interessen haben sich vielleicht verändert, aber nach und nach, das ist wie… mhmm…“ Er schien angestrengt zu grübeln. „Ich hab’s!“ rief er freudig aus. „Das ist wie ein Fluss! Genau genommen sind es immer wieder andere Wassertropfen, die dahinfließen, es können auch mal Äste im Fluss schwimmen, oder Blätter, und mit der Zeit wird sich der Fluss immer tiefer ins Flussbett graben oder vielleicht sogar den Flusslauf durch z.B. eine Überschwemmung etwas ändern. Er wird immer etwas anders sein, und trotzdem ist es der gleiche Fluss und wird es auch bleiben, egal wie viele Zweige im Wasser schwimmen oder Ähnliches! Beim Menschen ist es auch so. Ich bin immer noch ich, egal ob sich meine Interessen mit dem Alter ändern, ob ich mir einen Bart wachsen lasse, ob ich anfange HipHop zu lernen oder was auch immer. Es ist immer der gleiche Fluss, es bleibt immer der gleiche Mensch!“ 

Triumphierend schaute er das Mädchen an. Lächelnd blickte es vor sich hin. 

 

Die Frau schaute dem Mädchen fest in die Augen, bevor sie antwortete „Was willst du denn hören?“. 

„Was denkst du denn?“ kam die Gegenfrage. Die Frau atmete tief ein und schloss die Augen. Regungslos verharrend saß sie dem Mädchen gegenüber. Dann öffnete sie ein Auge und betrachtete die Fragende forsch. 

„Ich frage mich, warum du fragst. Ich bin ich. Aber das weißt du wohl auch, das sagt wahrscheinlich jeder. Ist wohl zu einfach…“ schloss sie murmelnd. „Ich denke, dass es bestimmte Sachen gibt, mit denen man einen Menschen eindeutig definieren kann, die jemanden von allen anderen unterscheiden… Die mich zu mich machen.“ Sie verstummte und schien nichts mehr sagen zu wollen. 

„Und die wären?“ hakte das Mädchen nach. Die Frau betrachtete lange ihre Gesprächspartnerin. „Ich denke unser Charakter, unsere Motivation etwas zu tun, unsere Erinnerungen, unsere Macken und Eigenschaften. Irgendwie auch unser Körper…“ Sie zuckte die Schultern. 

„Danke für deine Antwort“ lächelte das Mädchen.

 
 
 

Was denkt ihr? Was macht einen Menschen aus, was macht ihn zu einem "Ich"?

 

 

Kommentare

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Am 01.09.2021, ~Onades~
Guter Text. Bringt zum nachdenken. Ich persönlich denke, dass Erinnerungen und Erfahrungen einen zu dem machen, was man ist. Wäre ich irgendwo bei einer ganz anderen Familie unter ganz anderen Umständen aufgewachsen, dann wäre ich ein ganz anderer Mensch.