Ich töte dich nicht

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Wolf16
Veröffentlicht: 03.08.2021 20:33
Aktualisiert: 03.08.2021 20:33
Kategorie: Dies & Das
Tags: Horror, Grusel, Tod, Austauschjahr
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Kurzbeschrieb:
Der Tod kommt nur einmal, und doch macht er sich in allen Augenblicken des Lebens fühlbar. Es ist herber, ihn zu fürchten, als ihn zu erleiden.
- Jean de La Bruyère

Text

Ich töte dich nicht:

Als Fritz Benjamin Hauser an jenem 23. August den Bocksberg (der in Wahrheit kein Berg, sondern ein kleiner Hügel war) hinunterfuhr, sah er einige Meter weiter unten etwas Seltsames.

Da lag ein etwa menschengrosses, schwarzes Bündel auf der Strasse.

Als er näherkam, sah er, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelte. Dieser lag in eine schwarze Kutte gehüllt am Strassenrand, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Neben der Person lag eine Sense am Boden.

Da die Person, wer immer sie auch war, den Weg, der vom Bocksberg (der wie schon erwähnt kein Berg, sondern ein kleiner Hügel war) hinunterführte gerade so weit versperrte, dass Fritz ihn nicht passieren konnte ohne den Füssen des Fremden irreparable Schäden zuzufügen, beschloss er auszusteigen und den Fremden zu bitten den Weg freizumachen. Son konnte er ausserdem überprüfen, ob es der Person gutging.

Fritz stoppte also seinen roten Traktor einige Meter weit von der Person entfernt, öffnete die Tür, stieg aus und ging zu der am Boden liegenden Gestalt.

«Guten Morgen.», sagte Fritz als er vor der Gestalt stand, die immer noch mit verschränkten Armen hinter dem Kopf dalag. Ihr dunkles Gewand besass eine Kapuze, die die Gestalt trotz der sommerlichen Temperaturen hochgezogen hatte, so dass Fritz kein Gesicht sondern lediglich einen dunklen Schattenwurf erkennen konnte, aus welchem ein Grashalm ragte, der auf und ab wippte, so als würde jemand darauf herumkauen.

«Danke gleichfalls.», antwortete eine dunkle, samtene Stimme.

«Entschuldigen Sie,», fuhr Fritz fort, erleichtert, dass der Person offenbar nichts fehlte und sie wohlauf war, «dass ich Sie störe, aber könnten Sie kurz den Weg freimachen, so dass ich vorbeifahren kann?»

Die Gestalt schwieg. Die Vögel pfiffen. Die Sonne schien. Der Wind strich als kühle Brise übers Land und Fritz wartete, während der Grashalm, dessen Ende im Schatten der Kapuze verschwand wippte.

Als Fritz sich schon überlegte, ob der Fremde vielleicht eingeschlafen sei, sagte dieser: «Weisst du nicht wer ich bin?»

Fritz, erstaunt über die Frage, guckte sich die Gestalt noch einmal genauer an und antwortete wahrheitsgemäss: «Nein. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind, obwohl ich natürlich Ihr Gesicht nicht erkennen kann, wegen der Kapuze.»

«Oh, glaub mir, das Gesicht unter der Kapuze willst du gar nicht sehen.», antwortete die Gestalt und Fritz war sich nicht sicher, ob in der Stimme ein leicht belustigter oder ein von Ironie, Sarkasmus und Galgenhumor triefender Unterton mitschwang. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem.

«Auf jeden Fall,», fuhr die Gestalt fort, «sind wir uns tatsächlich noch nie begegnet, aber vielleicht hast du schon einmal eine Abbildung von mir gesehen.»

Bei diesen Worten stand die Gestalt urplötzlich auf den Füssen. Alles Licht und alle Wärme schien vor dieser Urgewalt zu fliehen, die da düster und drohend vor Fritz aufragte, die Sense in der knöchernen Hand und einer Ausstrahlung, die den Eindruck entstehen liess die Gestalt sei in dunkle Schatten gehüllt.

Das alles dauerte nur einen kurzen Augenblick, gerade lange genug, dass Fritz sich nicht einreden konnte, sich das alles eingebildet zu haben.

Nachdem der Moment vorbei war, lag die Gestalt wieder am Strassenrand, die Arme hinter dem Kopf, die Sense neben sich am Boden.

Die Vögel pfiffen. Die Sonne schien. Der Wind strich als kühle Brise übers Land und Fritz zitterte, während der Grashalm, dessen Ende im Schatten der Kapuze verschwand wippte.

«Du bist der Tod?», fragte Fritz nach einem Moment der Stille ängstlich.

«Jep.», antwortete die Gestalt.

«Bist du gekommen, um mich zu töten?», fragte Fritz furchtsam weiter.

«Ich töte dich nicht.», antwortete der Tod ganz ruhig, so als gehe es bei diesem Gespräch nicht um Leben und Tod.

«Also werde ich jetzt nicht gleich sterben?», fragte Fritz hoffnungsvoll.

«Jetzt gleich nicht.», bestätigte der Tod, setzte sich auf und kramte in seiner Kutte herum. Nach kurzem Suchen holte er ein Stundenglas hervor, in dessen oberen Teil sich nur noch ein kleiner Rest befand und warf einen Blick darauf

«Ein paar wenige Minuten hast du noch, bevor du stirbst.», sagte er dann und verstaute die Sanduhr wieder in seiner Kutte.

Fritz lief der Angstschweiss über die Stirn, während er fieberhaft nach einem Ausweg aus seiner auswegslosen Situation suchte. Da hatte es doch letzten einige Gerüchte über Menschen gegeben, die dem Tod ein Schnippchen geschlagen hätten. Sie hätten einen Spruch aufgesagt, hiess es und der Tod hätte sie noch einmal ziehen gelassen. Wie ging der Spruch gleich nochmal?

Fritz war eigentlich weder abergläubisch noch glaubte er an irgendeinen Hokuspokus, doch wenn man dem Tod am helllichten Tag auf der Strasse begegnet, ist noch so mancher bereit seine Weltanschauung zu überdenken.

«Du lieber Tod.», setzte Fritz feierlich an, als ihm der Spruch wieder eingefallen war, «Wie gerne würde ich mit dir gehen, aber wenn ich jetzt sterbe, ist mein Tod unehrenhaft und würde meiner Familie Schande machen. Lasse mich für dieses Mal noch einmal ziehen, so dass ich meinem Land dienen und in Ehre sterben kann.»

«Sehr schön aufgesagt.», antwortete der Tod in heiterem Tonfall, «Leider funktioniert das seit vorgestern nicht mehr.»

Fritz sah den Ausweg schmaler werden und verschwinden.

«Und warum hätte es vorgestern noch funktioniert?», fragte er ohne, dass es ihn wirklich interessierte.

«Tja, vorgestern hätte dich der japanische Tod geholt und der gibt den Menschen eben oft die Gelegenheit weiterzuleben und Dinge abzuschliessen oder die ‘’Ehre’’ wieder herzustellen. Irgendein Schlaumeier, der von seiner japanisch-stämmigen Grossmutter irgendwelche Legenden gehört hatte, erinnerte sich offenbar an dieses Sprüchlein, das auch du gerade aufgesagt hast, als ihn Shi (so heisst der japanische Tod) holen sollte. Shi ist natürlich prompt reingefallen und der Dreckskerl, der ihn hereingelegt hat, hat die Geschichte überall herumerzählt und erstaunlich viele Leute erinnerten sich im Angesicht des Todes and diesen Spruch. Weisst du wie viel Zeit es gekostet hat all diese Drückeberger einzusammeln. Ich weiss es jedenfalls nicht, nur dass es zu viel war. Und als wäre das alles nicht genug, dachten diese Idioten auch noch sie seien im Recht und jammerten und schimpften noch ärger als die Leute, die ich auf regulärem Weg holen komme.», erklärte der Tod und geriet gegen Ende der Erklärung immer mehr in Rage.

«Wa… Warum hätte mich denn vorgestern der japanische Tod geholt?», fragte Fritz stammelnd.

Jede Antwort des Todes auf eine seiner Fragen schien eine neue hervorzurufen.

«Ach weisst du», setzte der Tod nun wieder ruhig und im Plauderton an, «Am letzten internationalen Kongress amtlich geprüfter Sensenmänner (obwohl natürlich nicht alle Sensen haben (der Amerikaner hat zum Beispiel inzwischen einen Rasenmäher)) hat mich mein Freund der englische Tod mit einigen seiner asiatischen Freunden bekannt gemacht. Er wurde in der Kolonialzeit mit ihnen bekannt, als sie klären musste, wie man das Sterben der eigenen Landsleute in den Ländern der Anderen handhabte oder wen wen holt, wenn ein Europäer einen Asiaten umbringt oder umgekehrt (obwohl ersteres natürlich öfter vorkam als letzteres). Auf jeden Fall lernte ich so Shi kennen und wir erzählten einander von unseren Ländern und uns interessierte beide das Land des jeweils anderen. So beantragten wir kurz darauf ein Austauschjahr, dass einem Tod laut Geschäftsordnung alle 100 Jahre zusteht.»

«Und dann bist du tatsächlich nach Japan gegangen?», fragte Fritz ungläubig. Er rechnete langsam aber sicher damit, dass gleich jemand aus dem Gebüsch springen würde und ‘’Versteckte Kamera’’ rufen würde. Natürlich geschah nichts dergleichen.

Stattdessen begann der Tod von Japan zu schwärmen.

«Wunderschöne Landschaften gibt es da.», sagte er und in seiner Stimme lag ein leicht verträumter Unterton, «Es ist eine ganz andere Kultur. Eine ganz andere Einstellung zum Tod. Was es hierzulande für ein Geschrei, Gejammer und Geklage gibt, wenn ich an der Tür läute. Wenn ich hingegen in Japan an einer Tür klopfte, begrüsste man mich freundlich, bat mich herein und bot mir etwas zu trinken an. Die Leute sehnen der Tod zwar nicht herbei, können ihn aber besser akzeptieren, wenn er da ist. Sie mal meinen Mantel. Das ist eine Art Kimono. Den habe ich von einer alten Frau bekommen, die ich holte. Und weisst du, warum sie mir diesen Mantel geschenkt hat? Weil sie mich freundlich stimmen und ihrem Schicksal entgehen wollte? Weit gefehlt, sie hat es getan, weil sie Mitleid mit mir hatte, als sie meine alte, verschliessen Kutte gesehen hatte.»

Nachdem der Tod seine Ausführung beendet hatte, schwieg er eine Weile und auch Fritz sagte nichts, da ihm nichts einfiel, das er noch hätte sagen sollen.

«So», sagte der Tod schliesslich, erhob sich und hob die Sense auf.

«Tötest du mich jetzt?», frage Fritz, während er sich auf der Schwelle zur blanken Panik befand.

«Wie schon gesagt töte ich dich nicht. In gewissem Sinn könnte man sagen, dass du dich selbst getötet hast», antwortete der Tod und deutete mit seinem knöchernen Zeigefinger den Hügel hinauf.

Fritz folgte dem Zeigefinger mit seinem Blick. Das letzte was er sah, war die Stossstange seines Traktors, als dieser über ihn hinwegbretterte. Das letzte was er hörte war die Stimme des Todes die sagte: «Und deswegen sollte man immer die Handbremse anziehen, bevor man ein Fahrzeug verlässt.»

 

Fritz rappelte sich mühsam auf und sah seinen Traktor weiter den Hügel hinuntersausen. Zum Glück befand sich kein weiterer Mensch auf der Strasse.

Da bemerkte Fritz, dass er noch da war.

«Ich lebe.», rief er freudig. Er wusste nicht wie er überlebt hatte und es war ihm in diesem Moment auch gleichgültig, wie dieses Wunder zustandegekommen war.

Da sagte die Stimme des Todes sanft: «Nein du hast nicht überlebt. Sieh.»

Fritzes Freude fiel in sich zusammen, wie auch der Ausdruck wilder Freude auf seinem Gesicht zusammenfiel.

Langsam drehte er sich um und schaute auf das, worauf die Knochenhand des Todes deutete.

Es war Fritzes Körper, der da auf der Strasse lag.

Er war grausam entstellt, denn die Körperpartien, über die die Räder des Traktors gebrettert waren, waren in eine blutige, breiige Masse verwandelt worden und da mindestens ein Rad über den Kopf gerollt war, hatte es eine noch grössere Sauerei gegeben. Der Schädel war aufgebrochen und Hirnmasse und Hirnflüssigkeit kroch zähflüssig und langsam den Hügel hinunter.

Hätte Fritz in diesem Moment noch über einen Körper verfügt, hätte er den Mageninhalt desselbigen ebenfalls über die Strasse verteilt, wo er dann der Hirnmasse hügelabwärts gefolgt wäre.

Der Tod war neben Fritz getreten und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

«Es wird Zeit.», sagte er sanft.

«Wofür?», schluchzte Fritz.

«Ich bring dich zur Grenze.», antwortete der Tod.

«Was für eine Grenze?», fragte Fritz.

«Die Grenze zwischen dem Diesseits und dem Jenseits.», antwortete der Tod geduldig.

«Und was befindet sich hinter der Grenze?», fragte Fritz und in seiner Stimme schwang schon wieder ein Hauch von Neugier.

«Das weiss ich nicht. Kein Tod weiss das. Wir bringen die Seelen nur bis zur Grenze. Überschreiten können wir sie nicht. Aber DU wirst es herausfinden. Das hat bisher noch jeder getan, aber bis heute ist noch niemand zurückgekommen, der uns Toden hätte sagen können was sich auf der anderen Seite befindet.», antwortete der Tod und streckte Fritz seine Knochenhand entgegen.

In diesem Moment akzeptierte Fritz seinen Tod.

Er ergriff die ausgestreckte Hand und folgte ohne Gram der Gestalt mit dem Kapuzenmantel und der Sense, die ihn fortführte in eine Gegend, wo die Welt verblasste und schliesslich verschwand.

Und dann sah Fritz in der Ferne ein grosses Tor, dass sich langsam öffnete.

 

Bildquelle:[[File:Leipziger liederszene hubertus schmidt der sensenmann foto christoph bigalke.jpg|Leipziger_liederszene_hubertus_schmidt_der_sensenmann_foto_christoph_bigalke]]

Kommentare

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Am 11.08.2021, Travelgirl
Hallo Wolf16, phu, Tipps geben finde ich echt schwierig. Aber ich versuch's mal.. ;)
Zum Beispiel schreibst du einmal: «Also werde ich jetzt nicht gleich sterben?», fragte Fritz hoffnungsvoll. Da würde für mich eher ängstlich oder so anstatt hoffnungsvoll passen. Auf mich wirkt es, als wäre Fritz im einen Moment total eingeschüchtert und im nächsten unterhält er sich ganz locker mit dem Tod.
Oder bei "«Ich lebe.», rief er freudig." würde ich anstatt freudig eher ungläubig oder ganz verwirrt passen, es ist für mich wieder ein zu harter Stimmungwechsel.
Aber das ist natürlich auch immer Ansichtssache. ;)

Ich hoffe, es hat dir ein bisschen geholfen...
Lg Travelgirl
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Am 08.08.2021, Wolf16
Hallo Travelgirl
Vielen Dank für deine positive Rückmeldung. Es freut mich immer sehr, wenn ich sehe, dass Leuten meine Texte gefallen.
Mit den Emotionen von Fritz hast du recht. Emotionen krieg ich leider allgemein nicht sehr gut hin.
Hättest du da vielleicht irgendwelche Tipps für mich?
Freundliche Grüsse
Wolf16
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Am 08.08.2021, Travelgirl
Hey Wolf16, vielen Dank für deine Geschichte. Du baust eine gute Spannung auf, man möchte beim Lesen unbedingt wissen, wie es ausgeht. Du lockerst den Text mit witzigen Stellen auf und schreibst flüssig. Gegen Ende wurde es für meinen Geschmack etwas zu viel des Guten (die Emotionen von Fritz finde ich nicht immer ganz passend), alles in allem aber eine fantasievolle, gute Geschichte. :)
Lg Travelgirl