Bäume, die ihre Blätter hängen lassen. Dichte Wolken am Himmel. Donnergrollen in der Ferne. Wind, der durch die Blätter rauscht und an den Fensterläden rüttelt. Ich wickle meine Decke fester um mich, stecke ein Lesezeichen in mein angefangenes Buch und lege es neben mich auf den glatten Boden. Duch die Scheibe, die bis zum Boden reicht, blicke ich nach draussen. Mein zweites Zimmerfenster ist geöffnet. Ich lausche den ersten Tropfen, die schwer auf dem Dachfenster landen. Ich zucke ganz leicht zusammen, als der nächste Donner ertönt und fröstle.

Ich hasse Gewitter. Eigentlich. Oder sagen wir so, ich habe Gewitter gehasst. Noch vor wenigen Wochen wäre ich in diesem Moment aufgesprungen, hätte mir zitternden Händen das Fenster geschlossen, das Licht in meinem Zimmer angemacht und Musik gehört. Vorzugsweise Abba. Ich hätte die Vorhänge gezogen und dreimal überprüft, ob man auch wirklich nicht mehr nach draussen sehen kann. Und so hätte ich gewartet, bis das Gewitter vorbeigezogen wäre.

Doch in diesem Sommer habe ich jemanden kennengelernt. Ich besuchte meine Grossmutter im Krankenhaus, als ich ihn beinahe umgerannt hätte. Ich konnte in meiner Eile gerade noch anhalten, doch der Milchshake, den der Junge gerade von der Cafeteria in sein Zimmer bringen wollte, überlebte unsere erste Begegnung nicht. Gerade als ich mich zerknirscht entschuldigen wollte, begann der Junge zu lachen. Und er konnte gar nicht mehr aufhören damit. Erst blickte ich ihn verdutzt an, doch dann konnte ich nicht mehr an mich halten und stimmte in sein Gelächter ein. Ich lud ihn auf einen Milchshake in der Cafeteria ein und schon nach wenigen Minuten kam es mir so vor, als würde ich Joris schon seit Ewigkeiten kennen. Ich erfuhr von seiner Krankheit, Leukämie. Wir redeten über alles und doch nichts und lachten an jenem Nachmittag, bis uns die Bäuche wehtaten.

Ich blieb lange bei Joris. Wir sassen in seinem Zimmer, als ich den ersten Donner hörte. Wie immer bei Gewittern versteifte sich alles in mir, ich klammerte mich an seinen Schreibtischstuhl und versuchte angestrengt, mir nichts anmerken zu lassen. Doch natürlich gelang mir das nicht. Ich erwartete, dass Joris über mich lachen würde oder so, doch er kam auf mich zu und zog mich stumm in eine Umarmung. So sassen wir in seinem Krankenhauszimmer, bis das Gewitter vorüber war und ich mich verabschiedete. Ich versprach, ihn am nächsten Tag wieder besuchen zu kommen.  

Doch für ihn gab es keinen nächsten Tag. Er hatte den Kampf gegen den Krebs verloren. Und ich hatte meinen besten Freund verloren, den ich gerademal seit einem Tag kannte. 

Jetzt bleibe ich auf dem harten Parkettboden meines Zimmers sitzen. Eingekuschelt in meine Bettdecke lausche ich dem immer heftiger werdenden Gewitter und starre in den Himmel, über den in unregelmässigen Abständen Blitze zucken und unseren Garten erhellen. Ich klammere mich mit meinen Fingern an die Decke und merke, wie sich mein Puls erhöht. Doch ich bleibe sitzen. Ich denke an Joris und an seine Umarmung. Als mir eine Träne über die Wange rollt, schliesse ich die Augen. Und plötzlich fühle ich Joris Hände, wie sie sanft über meinen Rücken streichen. Beim nächsten Donner zucke ich nicht zusammen, stattdessen stiehlt sich ein zartes Lächeln auf mein Gesicht. Ich atme tief durch und bin unendlich dankbar, dass ich Joris - wenn auch nur für einen Nachmittag - kennenlernen durfte.