Wie das Glück? Vom Glück(lich)sein und dem Gegenteil von Pech

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pianizza
Veröffentlicht: 16.04.2021 14:59
Aktualisiert: 22.04.2021 09:02
Kategorie: Dies & Das
Tags: Glück, Pech
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Kurzbeschrieb:
Was ist Glück? Zwei Mädchen unterhalten sich.

Text

Es war der Tag vor den Weihnachtsferien, als ich den Arbeitsauftrag abgeben musste.

Nach alter Manier hatte ich die finalen Aufgaben bis zum letzten Tag aufgeschoben. Nur noch eine fehlte mir-

aber war doch bloß Religion.

 

„Themeneinheit 2, Glück

Wenn Glück eine Farbe wäre, welche wäre es?

Wenn Glück ein Geschmack wäre, welcher wäre es?

Wenn Glück eine Jahreszeit wäre, welche wäre es?“

Ich hatte erleichtert aufgeatmet. Drei Aufgaben, schnell erledigt.

Farbe: Gelb

Geschmack: Honig

Jahreszeit: Sommer

 

Alles hell, spritzig, fröhlich. Glück eben.

 

Die Bewertung traf noch am selben Tag ein.

Volle Punktzahl.

Das beschriebene Glück blieb jedoch aus.

War doch bloß Religion.

 

An jenem Nachmittag traf ich mich mit einer Freundin. Lang schon war es her, dass ich sie gesehen hatte.

Ich mag meine Freundin. Sie erinnert mich an das vermeintliche Glück -

blondes Haar wie Honig, eine warme Stimme wie ein Sommerabend. Sogar ihre Lieblingsfarbe ist gelb.

An jenem Nachmittag saßen wir in meinem Zimmer beisammen, ich lesend, sie zeichnend, ganz still.

Wir taten das gerne, schweigen.

Schweigen, wie wohl das Glück in letzter Zeit, fiel mir ein.

Es war schließlich nicht Sommer.

 

Meine Lektüre langweilte mich. Ich legte sie beiseite.

„Du erinnerst mich an das Glück“

Meine Freundin ließ von ihrem Kunstwerk ab.

„Das Glück?“

„Ja, Glück. Sieh nur, du malst sogar gelb“, erklärte ich, auf ihren Buntstift deutend, „wenn Glück eine Farbe wäre, wäre es bestimmt gelb“

Meine Freundin lachte.

„Nein, das Gegenteil von Schwarz ist Weiß. Glück ist weiß“

„Weiß? Schwarz?“

„Ja. Schwaz, das Pech. Weiß, das Glück“

„Nein, nein, ich meine nicht dieses Glück. Das andere, Glück eben“

„Das andere Glück also“, stimmte sie mir zu, fragte dann jedoch, „Was ist denn das andere Glück?“

 

Die Frage stellte sich als äußerst kompliziert heraus.

Glück kannte doch jeder. Nur, was war dieses Glück denn nun?

Gefühl? Zustand? Begebenheit?

Wir grübelten beide vor uns hin, lange, bis unsere Gedanken ganz schummrig wurden.

Schließlich war es meine Freundin, die antwortete.

"Glück ist die Ästhetik des Moments", behauptete sie.

"Die Ästhetik des Moments?"

"Du weißt schon, das Gefühl, wenn dein Bauch kribbelt. Als ob kleine Schmetterlinge dort tanzen würden. Wenn alles ganz bunt ist, oder ganz ruhig, ganz friedlich, ganz spannend- einfach ganz"

Ich sah sie nachdenklich an.

Gelb oder Honig war nicht ganz, auch nicht der Sommer. Denn auch wenn ich ihn dem Sommer vorziehe; im Winter gibt es keine Schmetterlinge.

 

"Aber ich bin doch glücklich: mit meiner Familie, mit meinem Aussehen, mit meinem Leben- nicht nur einen Moment lang", sagte ich.

Meine Freundin legte versonnen den Kopf zurück. "Glück-lich ist etwas anderes als Glück, glaube ich. Wenn du mich fragst, ist Glück-lich-sein die Folge des Gegenteils von Pech"

Ich runzelte die Stirn.

 "Wenn jemand dir sagt, ›Ich bin sehr glücklich‹, meint er zumeist, dass er es gut hat", erklärte meine Freundin.

 "Aha. Und gut hat man es, wenn man das Gegenteil von Pech hat?"

"Ja und nein. Gut hat man es, wenn man es erkennt, das Glück. Und ich finde, man muss das Gegenteil von Pech haben, wenn man das Glück erkennen will“

 

„Nein, das glaube ich nicht. Man braucht kein Glück, um Glück zu erkennen. Das kommt ganz von dir allein“, widersprach ich ihr.

„Hmh, ja, das Glück fängt bei jedem selbst an“

Ich nickte zustimmend.

„Ja, so ist das mit dem Glück“

Daraufhin schwiegen wir wieder.

Wir taten das gerne, schweigen.

 

 

 

Nachdem meine Freundin gegangen war, suchte ich den Arbeitsauftrag erneut heraus.

 

„Themeneinheit 2, Glück

Wenn Glück eine Farbe wäre, welche wäre es?

Wenn Glück ein Geschmack wäre, welcher wäre es?

Wenn Glück eine Jahreszeit wäre, welche wäre es?“

Ich löschte meine bisherigen Antworten. Das Glück war nicht hell, spritzig, fröhlich.

 

  1. „Wenn Glück das Gegenteil von Pech ist, dann ist Glück weiß. Es ist das Gegenteil des schwarzen Pechs.

Das andere Glück, das hätte keine Farbe. Denn das andere Glück, das muss erst zusammengerührt werden.  

Manchmal brauche ich Gelb, für eine Person, die ich gernhabe, Grün für die gute Stimmung, Blau für die Musik, Rot für das Lachen und die Freude.

Und dann, ja dann, vielleicht, mischt sich daraus das Glück.

An einem anderen Tag müsste ich hingegen andere Farben vermengen, an anderen ist der Hintergrund zu schwarz, um darauf zu malen.

Glück mischt man, immer anders“

 

Schrieb ich nieder. Dann saß ich da, starrte auf das Blatt, bevor ich die zweite Frage beantwortete.

 

  1. „Wenn Glück das Gegenteil von Pech ist, dann ist Glück geschmacklos. Während des Essens sind dir die Folgen noch nicht bewusst. Doch sobald du es geschluckt hättest, wäre es angenehm, sättigend, wohltuend. Bis du nach mehr hungerst, und das Glück vergeht.

Sprechen wir von dem anderen Glück, dann wäre es eine Beilage zu einer wunderbaren Hauptspeise.  Diese wäre sehr ansehnlich, zart und ein gutes Gefühl auslösend- und dazu gäbe es eben diese Beilage. Und ja in dieser, dort findet man den Geschmack.  Er ist der, der das Erlebnis, den Moment, die Hauptspeise begleitet“

 

Ich hatte noch 5 Minuten, bis die Abgabefrist erreicht war. Noch konnte ich meine zweite Version einsenden. Wenn ich denn Lust dazu hatte.

 

  1. „Wenn Glück das Gegenteil von Pech ist, dann ist Glück der Frühling. Die plötzliche Vielfalt nach dem Winter- bevor er nach einer kurzen Zeit zur Selbstverständlichkeit wird und dann in den Sommer übergeht. Die Erinnerung an den strengen Winter ist vergessen, macht nun neuen Schrecken und Problemen Platz. Glück wirft neues Pech auf.  

Andernfalls ist das Glück keine Jahreszeit. Eher eine Monats- nein Wochen- nein Tages- nein Minuten- vielleicht sogar Sekundenzeit. Ein Moment. Eine Reaktion, die nicht lange weilt, jedoch immer wiederkehrt“

 

Ich sandte meine Antworten Sekunden vor dem Schließen der Aufgabe ab.

 

Glück gehabt.

Aber war doch bloß Religion.

 

Kommentare

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Am 01.05.2021, Wolf16
Hallo Pianizza

Ich finde deinen philosophischen Text sehr spannend und toll geschrieben. Vor allem das Wiederholen von bestimmten Sätzen, Satzteilen oder Wörtern, verlieh dem Text eine gewisse Aura der Philosphie, die dem Inhalt gerecht kam und mir sehr gefallen hat.
Das Thema selbst fand ich ein sehr interessantes, über das man sich viele Gedanken machen kann, von denen einige von deinem Text angestossen werden und nach der Lektüre einem im Kopf herumgehen.

Freundliche Grüsse
Lukas Stegmann
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Am 22.04.2021, pianizza
Danke für deinen lieben Kommentar!
Das wusste ich tatsächlich noch nicht. Zum Glück kann man auf dieser Webseite seine Texte nochmal überarbeiten.

Mich freut es sehr, dass dir mein Text gefallen hat.
Danke dir!
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Am 21.04.2021, welcome home
Hoi pianizza :)

Ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen und fand sie super inspirierend und faszinierend. Tatsächlich habe ich auch noch nie versucht, das Glück zu beschreiben.
Deswegen hat es mich umso mehr gefreut, dass du das Glück so toll in Worte fassen konntest. Von Anfang bis ganz zum Schluss.

Mir ist aber was aufgefallen. In der direkten Rede braucht es keinen Punkt, wenn du danach mit einem Satzteil weitermachst.
Als Beispiel: "Das kommt ganz alleine von dir", widersprach ich.
Dann braucht es nach "dir" keinen Punkt mehr. :)

Ich freue mich sehr darauf, noch mehr von dir zu lesen.

Lieber Gruss
welcome home :)