Die Strasse von hier nach dort

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Wolf16
Veröffentlicht: 23.02.2021 21:07
Aktualisiert: 23.02.2021 21:09
Kategorie: Dies & Das
Tags: strasse, Umwelt, Zukunft, Filter
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Kurzbeschrieb:
Ich weiss, dass sich nichts ändert. Ich veröffentliche den Text trotzdem.

Text

Die Strasse von hier nach dort

 

Die Strasse verlief schnurgerade von hier bis nach dort, wo sie sich hinter dem Horizont verlor.

Ich schritt flott auf ihr voran, denn es war angenehm warm, frische Luft füllte meine Lungen, der Himmel war klar und die Sonne schien auf saftige Blumenwiesen links und rechts neben dem Weg.

Doch dann wurde ich langsamer und hielt schliesslich an.

Neben der Strasse sass ein Mann und starrte mit gerunzelter Stirn sorgenvoll auf den Boden.

Als ich nähertrat, sah ich, dass der Mann eine kleine Schaufel und einen Pinsel dabeihatte und damit offenbar eine kleine Grube in die Wiese gegraben hatte und ein schwarzes Ding freigepinselt hatte.

Ich starrte das Ding eine Weile an, bevor mir aufging, dass ich eine Fernbedienung vor mir sah. Sie war schwarz und gehörte wohl einst zu einem Fernseher, aber jetzt war sie schmutzig und man sah ihr an, dass sie offenbar über längere Zeit den Elementen ausgesetzt gewesen war.

Der Mann drehte sich plötzlich um und sah mich an.

«Was machen Sie da?», fragte er in einem etwas gehetzten Ton. Mein Erscheinen hatte ihn offenbar erschreckt.

«Ich bin von hier und gehe nach dort, immer der Strasse entlang.», sagte ich und machte eine wage Handbewegung nach hier und eine deutlichere nach dort.

«Aha.», sagte er.

«Was machen Sie denn?», fragte ich ihn, nach einem kurzen Moment des Schweigens.

«Ich bin Archäologe. Ich mache Ausgrabungen.», antwortete er.

«Aha.», sagte ich und fragte dann mehr aus Höflichkeit, «Was haben Sie denn da ausgegraben?»

«Ich bin mir nicht sicher.», antwortete er, «Aber ich glaube, dass es ein Relikt einer untergegangenen Zivilisation ist.»

«Aha.», antwortete ich, ungewiss was für eine Reaktion von mir erwartet wurde.

«Meine Theorie ist,», sagte der Mann und stand auf, «dass es eine grosse Zivilisation gab. Der ganze Planet könnte von einer einzigen Rasse dominiert worden sein, die Einfluss auf praktisch alle Vorgänge auf der Welt nahmen.»

Er begann auf und ab zu gehen und kam offenbar langsam richtig in Fahrt: «Doch trotz ihrer grossen Macht und hoch entwickelten Technologie gingen sie unter und hinterliessen der Nachwelt so gut wie nichts. Ich vermute, dass sie ihre Aufzeichnungen auf allzu vergänglichen Materialien festgehalten hatten, so dass heute ihr Vermächtnis verloren ist und wir nur einige wenige Fundstücke, so wie dieses hier haben.»

«Warum sollte diese Zivilisation untergegangen sein, wenn sie doch so mächtig war.», fragte ich.

«Kennen Sie die Theorie des grossen Filters?», fragt mich der Mann.

Verwirrt aufgrund des plötzlichen Themenwechsels sage ich etwas verdattert und zögernd: «Nein?»

«Also hören Sie zu. Um diese Theorie zu verstehen, müssen sie sich die Entwicklung des Lebens wie eine Treppe vorstellen. Auf der untersten Stufe befindet sich unbelebte Materie, dann kommen Einzeller, dann Mehrzeller, dann intelligentes Leben mit Kultur. Die Theorie des grossen Filters besagt, dass sich irgendwo auf dieser Treppe ein grosser Filter befindet. Dieser Filter ist so gefährlich, so unüberwindbar, dass alle Wesen, die es bis dort schaffen unweigerlich an ihm scheitern müssen und zugrunde gehen. Das Problem ist, dass niemand weiss, wo dieser Filter ist. Niemand kann sagen, ob seine Spezies den Filter überwunden hat oder direkt auf ihn zusteuert. Es gibt viele Theorien darüber, worin dieser Filter bestehen könnte. Es muss etwas sein, auf das alle Wesen, die sich weiterentwickeln irgendwann stossen werden. Eine Theorie besagt, dass jede Spezies, die sich ihren Planeten untertan macht, ebenjenen Planeten früher oder später im Kampf um Ressourcen zerstört.»

Wir schwiegen eine Weile und sahen auf die Fernbedienung hinab.

Dann ergriff ich das Wort: «Diese Geschichte mit der untergegangenen Zivilisation, von der diese Fernbedienung stammen soll, das ist doch alles erfunden, oder?»

«Nein.», antwortete er.

Ich ordnete den Mann gedanklich in der Kategorie der verrückten Persönlichkeiten ein.

«Es ist ein Ausblick auf das was sein könnte.», fuhr er fort.

Ich starrte ihn fassungslos an.

Er lächelte und sagte mit Galgenhumor: «Wir werden es sehen. Die Zukunft kommt, egal was wir tun. Alles was wir tun werden ist ihre Gestalt bestimmen. Wir werden sehen, ob ich recht habe oder nicht.»

«Ich muss weiter.», sagte ich verwirrt über sein Lächeln und seine Worte.

«Dann geh.», sagte er und setzte sich langsam wieder hin.

Als ich mich umdrehte und zur Strasse zurückging, hörte ich ihn leise sagen: «Wir dürfen nie unseren Einfluss auf die Zukunft unterschätzen.»

Die Strasse verlief schnurgerade von hier bis nach dort, wo sie sich hinter dem Horizont verlor.

Aber ich quälte mich schleppend auf ihr voran, denn es wurde mit jedem Schritt heisser, russige Abgase füllten meine Lungen, dichte schmutzige Wolken bedeckten den Himmel, die Sonne verströmte ein ungesund wirkendes Zwielicht und links und rechts vom Weg lagen verdorrte Wiesen, tot und ohne Leben.

Und mit jedem Schritt, den ich tat, wurde es dunkler.

Kommentare

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Am 12.04.2021, Wolf16
Hallo Flammenstern2014
Vielen Dank für diene liebe Rückmeldung. Das mit der Umschreibung der Fernbedienung ist ein interessanter Denkansatz.
Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Freundliche Grüsse
Wolf16
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Am 06.03.2021, Flammenstern2014
Es ist ein wirklich schöner Text. Vor allem finde ich das Ende wirklich gelungen. Die Fernbedienung hätte man anfangs vielleicht detaillierter umschreiben können ohne sie direkt als solche preiszugeben, um sie eher wie ein archäologisches Fundstück wirken zu lassen.
Die Interaktion zwischen dem Ich-Erzähler und dem Archäologen ist aber sehr gut gelungen!

Liebe Grüße,
Flammenstern2014
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Am 02.03.2021, welcome home
Das stimmt. Und doch hoffe ich, dass wir einen Weg finden, den alle gehen können und unsere Welt und Natur schützt.
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Am 01.03.2021, Wolf16
Hallo welcome home
Danke für deine positive Rückmeldung. Das mit der direkten Rede werde ich mir merken.
Es freut mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat.
Was den Zustand der Welt angeht, habe ich leider nur noch wenig Hoffnung, da ich mir nicht sicher bin, ob wir bereit sind die drastischen Schritte, die vonnöten sind zu gehen.

Lieber Gruss
Lukas Stegmann
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Am 26.02.2021, welcome home
Hoi Wolf16
Ich fand deine Geschichte und die Überlegungen dazu sehr spannend. Das Zusammentreffen der beiden Charaktere konnte ich mir sehr gut vorstellen und mich gut in die beiden hineinversetzen.
Die Theorie mit dem Filter ist ebenfalls interessant.

Ich persönlich glaube schon, dass sich was ändern kann. Wie du in deiner Erzählung erwähnst, kann jeder Einfluss auf die Zukunft nehmen. Sei es, wenn wir selbst bewusster mit Ressourcen umgehen, möglichst wenig Müll produzieren oder mal mit dem Fahrrad oder Bus wohin fahren, statt mit dem Auto.

Mir ist noch was kleines aufgefallen. In der direkten Rede braucht es keinen Punkt, wenn anschliessend noch der Satz zu Ende gebracht wird. Beispiel: "Nein", sagter er. Dann braucht es nach dem Nein keinen Punkt.

Ich freue mich, noch mehr von dir zu lesen.
Lieber Gruss welcome home