Mami

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Tiley
Veröffentlicht: 27.08.2020 15:00
Aktualisiert: 27.08.2020 15:00
Kategorie: Dies & Das
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Text

Hey Mami

 

Es gibt Sachen, die wurden nie gesagt. Und Sachen, die wurden zu oft gesagt.

Wie zum Beispiel, als du angefangen hast Wein zu trinken, weil du dann besser schlafen konntest. Weil es dir dann besserging. Und du hast gesprochen. In so vielen Dingen. In Worten und in Gesten. Doch deine Kinder hörten dich zum Teil nicht richtig. Weil sie zu jung waren. Oder weil es zu schwer war, anzunehmen, was unsere Realität war.

Ich konnte und wollte nicht glauben, dass dir und uns wirklich diese Gewalt wiederfährt. Ich wollte glauben, dass ich mir das alles nur einbilde. Das ich mir einbilde, dass du geschubst wurdest. Das ich mir einbilde, dass er dir drohte. Und dass ich mir einbilde, dass er uns schlägt.

Doch nun habe ich erkannt, dass diese Sache echt ist. Dass sie existiert. Und plötzlich fühlt man sich schuldig, weil man mehr hätte tun können.

Es tat mir im innersten weh, dich so zu sehen. Es tat weh, dich leiden zu sehen. Und es machte mich traurig, wenn du darüber geredet hast, was er wieder getan hat. Und so distanzierte ich mich von dir, ohne, dass ich es gemerkt hatte. Auf einmal fühlte ich mich unwohl in deiner Gegenwahrt, weil ich immer dein Trauriges Gesicht in mir getragen habe. Und wenn du längst wieder fröhlich warst, sah ich dich in mir immer noch verletzt und niedergeschmettert. Ich habe versucht diese Distanz, die ich in mir hatte, zu ignorieren. Doch heute kenne ich den Grund. Und ich weiss, dass du mir einfach unendlich leidgetan hast. Und ich mich unbewusst, verantwortlich gefühlt habe, dir zu helfen. Aber ich wusste nicht wie.

   Und du tust mir leid. Und es tut weh, dich leiden zu sehen. Deine Emotionen wurden zu meinen. Ich habe mich dafür verantwortlich gemacht, dir zu helfen. Weil es mir dann auch kurzfristig besserging.

Ich hatte das Bild in mir, dass du zu schwach bist, gegen ihn. Gegen den, der dich schlägt. Und somit nicht stark genug für uns alle. Deshalb gab ich mir die Verantwortung, auf meine Geschwister aufzupassen. Und sie zu hüten.

Heute weiss ich, dass du nach Hilfe gerufen hast und nicht wusstest wie. Und zu wem. Ich wusste nicht warum du so reagierst, wie du es getan hast. Vermutlich hast du selbst nicht mal gemerkt, dass du nach Hilfe fragst. Doch ich habe es gesehen.

    Ich wollte dir sagen, dass ich sehe, was du machst. Das ich sehe, wer du bist. Das ich sehe, was du kannst und was du leistest. Und ich sehe auch, dass du viel ... zu viel Liebe in dir trägst. Und dein Herz verlangt nach mehr.

 Und dass du so verzweifelt versuchst, den Sturm zu beenden, dass du dich darin verlierst. Und das macht mir Angst. Ich will dich nicht in dem Sturm suchen müssen. Ich will mit dir den Sturm überleben.

    Du musst nicht nach liebe suchen. Sie ist schon da. Sie ist um dich. Und du bist nie allein. Und du kannst das schaffen. Für uns und für dich.

Du denkst, niemand sieht dich? Ich sehe dich! Und hoffe, dass du mich auch siehst. Und dass du meine innere schmerzen so ernst nimmst, wie ich deine.

Wir können uns alles sagen. Und jedes noch so kleine Echte Gefühl ist in Ordnung. Kein Schauspielern mehr. Weder für mich noch für dich. So wird es uns bessergehen. Das weiss ich.

 

Es gibt Sachen, die wurden nie gesagt. Und Sachen, die wurden zu oft gesagt. Doch ich glaube, jetzt wurde genau das richtige gesagt. Und ich hoffe, es ist genug.

 

 

In Liebe

 

Deine Tochter

 

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