Zugfahrt - Teil 1

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Veröffentlicht: 08.07.2020 11:14
Aktualisiert: 08.07.2020 11:06
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Kurzbeschrieb:
Diese mehrteilige Geschichte aus zwei Perspektiven ist zusammen mit Lissan entstanden. Viel Spass :)

Text

 

Es ist acht Uhr morgens. Viel zu früh stehe ich am Bahnhof und warte auf den Zug. Es ist ein kleiner Bahnhof mit nur einem einzigen Gleis und bald wird eine alte Lokomotive hier ankommen. Da der Zug einmal pro Tag fährt, wollte ich auf keinen Fall zu spät kommen und bin deswegen jetzt schon hier. Das Dorf ist sehr klein, es gibt nur eine Strasse und ein paar kleinere Kieswege. Die einzelnen Häuser wurden locker beieinander gebaut. Im Tal verteilt stehen noch wenige, vereinzelte Hütten. Viele sind jedoch nur im Sommer bewohnt und die Menschen wechseln in eine wärmere Gegend, wenn es kalt wird.

Fröstelnd ziehe ich meinen Schal noch enger um meinen Kopf und verstecke alles, bis auf meine Augen darin, um mich vor dem eisigen Wind zu schützen, der durch das Tal fegt. Dazu fallen schüchterne Schneeflocken, die Sonne scheint leicht durch die Wolken und hellt den frühen Morgen auf.

«Hey, Cristine! Guten Morgen. Hast du Probleme den Zeitplan zu lesen? Du weisst doch, dass der Zug erst in einer halben Stunde ankommen wird!»
«Hi Dave. Natürlich weiss ich das! Aber ich komme nur ungern zu spät!»
«Willst du einen Kaffee?», fragt mich der besorgte Bahnhofswärter, doch ich winke ab. Gedankenversunken reibe ich meine Hände aneinander, um sie zu wärmen und stecke sie dann zurück in die Jackentaschen.
Während ich über meine Reise nachdenke, beobachte ich auf der anderen Seite des Gleises ein junges Pärchen. Sie scheinen glücklich zu sein, auch wenn die Frau einen etwas verärgerten Gesichtsausdruck hat.

«Tuuuuuut, tut!», ertönt es laut aus weiter Ferne. «Ah, der Zug wird bald hier sein», denke ich erfreut, da sich die Kälte langsam in meine Glieder schleicht.

Die junge Frau schubst den Mann leicht und mit einem verstimmten Blick. «Ich kann doch nichts dafür! Es ist einfach so passiert!», kann ich den Mann sagen hören, da der Wind seine Stimme bis zu mir trägt. «Ach was, einfach so? Das hat sich doch schon seit Wochen hingezogen!», schimpft die Frau und fährt fort, «Du wirst gehen und lässt mich in diesem Scherbenhaufen der Gefühle zurück!»
«Es tut mir leid!», versucht der Mann zu beschwichtigen. Das weitere Gespräch trägt der Wind in eine andere Richtung und ich schweife mit meinen Gedanken wieder ab.

Ich möchte unbedingt ans Meer. Es ist egal, wenn es dort regnet, schneit oder stürmt. Ob es kalt ist oder heiss. Ich sehne mich danach, die salzige Luft einzuatmen und die Wellen branden zu hören.
Der Bahnsteig füllt sich immer mehr mit Menschen, die ebenfalls mit dem Zug wohin fahren möchten. Eine junge Familie sticht mir ins Auge, welche sich gerade am Gleis sammelt. Ihre Koffer stehen um sie herum und jedes Kind trägt auch noch einen Rucksack. Es scheint eine Familie zu sein, welche in die südlichere Gegend zieht, ohne Schnee und Eis. Ob wohl etwas dazwischengekommen ist, dass sie so spät dran sind?

«Tuuuuuut!», kündigt sich die Lokomotive nun direkt vor dem Bahnhof an und meine Vorfreude auf die Wärme und den Gedanken ans Meer steigt noch mehr. Es dauert jedoch noch ein wenig, bis alles verladen und abfahrbereit ist.
Das junge Pärchen sieht erschrocken auf. Entschlossen möchte der Mann die junge Frau küssen, doch sie wendet sich schnell ab und stapft davon. Niedergeschlagen sieht er ihr hinterher und sprintet dann zielstrebig auf die richtige Gleisseite, um in den Zug einsteigen zu können.

Er sieht sich um, ob ihn jemand beobachtet hat und unsere Blicke treffen sich einige Sekunden. Er zuckt zusammen und zieht seine Jacke ins Gesicht. Wir kennen uns und ich weiss auch ganz genau Bescheid. Er ist kein unbeschriebenes Blatt und alle jungen Frauen wissen, dass er seine Finger nicht bei sich behalten kann. Und obwohl dies nur ein kleines Dorf ist, findet er wohl ab und zu eine Vergnügung.
Ratternd und dampfend fährt der alte Zug an uns vorbei und bleibt mit einem quietschenden Geräusch stehen. Die Waggons sind fast leer und es steigt auch niemand aus. Zügig verladen die Fahrgäste ihr Gepäck und Dave hilft die Briefe und Pakete zu verstauen.

Froh, mich in die Wärme setzen zu können, steige ich in den zweitletzten Waggon des Zuges ein und lasse mich zufrieden auf einen Sitz fallen.

Kommentare

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Am 21.07.2020, welcome home
Hoi Starlight
Auch von meiner Seite ein liebes Dankeschön :)
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Am 21.07.2020, Lissan
Liebe Starlight
Vielen Dank für deine liebe Rückmeldung :)
LG Lissan
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Am 20.07.2020, Starlight
Liebe welcome home
Liebe Lissan
Eine tolle Geschichte! Ihr habt alles sehr detailreich beschrieben und man möchte sofort wissen, wie es weitergeht. :) Finde ich super gut gelungen.
LG
Starlight