Eine besondere Begegnung

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Veröffentlicht: 23.04.2020 10:27
Aktualisiert: 23.04.2020 10:27
Kategorie: Dies & Das
Tags: Raupe, Leben, begegnung
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Kurzbeschrieb:
Ich habe diese Geschichte schon vor einiger Zeit geschrieben und eigentlich zu einem Schreibwettbewerb geschickt. Da er jedoch seinen Weg nicht gefunden hat, möchte ich ihn nun so mit euch teilen. Viel Spass beim Lesen :)

Text

Heute habe ich das Leben getroffen. Es war nur eine kurze Begegnung, wie eine flüchtige Begrüssung zweier Menschen, die aneinander vorbeigehen. Es war seltsam, schien unbedeutend, gleichzeitig aber wunderschön.

Es war am Abend, kurz vor Feierabend, auf dem Friedhof. Es war schon spät, die Sonne ging unter und beleuchtete die Grabsteine. Ich räumte gerade meine Sachen zusammen, als ich es entdeckte. Es lag mitten im Efeu. Ich hatte grosses Glück, hätte ich nicht genau in diesem Moment hingesehen, hätte ich es gar nicht bemerkt. Dann hätte ich meinen Tag beendet, wie den zuvor.

Ich schob die Blätter beiseite und betrachtete das kleine Wesen. Als ich es mit meinem Zeigefinger anstupste, rollte es sich zusammen und blieb unbewegt liegen. Also nahm ich es auf die Hand und betrachtete es. Es war eine Raupe. Die vielen Härchen standen vom ganzen Körper ab. Das Licht liess die rot-schwarze Färbung der Raupe aufleuchten. Ich bewunderte das kleine Wesen, obwohl ich nicht genau wusste, wieso. Sie war so klein und unscheinbar.

Ich stupste sie noch mal an. Irgendwas in mir trieb mich dazu, sie zum Leben zum Erwecken. Irgendetwas wollte, dass sie über meine Hand bewegt, wie es Ameisen oder Marienkäfer machen. Doch sie blieb in sich zusammengerollt. Ich schaute auf. Was sollte ich bloss mit ihr machen? Ich wollte doch so gern wissen, was mal aus ihr wird. Ein schöner Schmetterling, der im Sommer über Blumenwiesen fliegt, oder ein kleiner Falter?

Die Härchen der Raupe wogen im Wind, der aufgekommen war. Ich lächelte, als sie sich ein bisschen bewegte. Oder war es nur eine Illusion? Vorsichtig legte ich sie auf die Steinplatte, kniete mich daneben hin und betrachtete sie weiterhin. Wird sich die Raupe bewegen, wenn sie nicht mehr die Wärme meiner Hand spürt? Es waren schon ein paar Minuten vergangen. Das Wundervolle an der Raupe war nicht nur, dass sie so klein war oder eine faszinierende Farbe hatte. Nein, es war die Tatsache, dass sie, auch wenn sie sich von ihr aus in grösster Gefahr befand, nicht bewegte. Sie versuchte den, ebenfalls von ihr aus gesehenen Feind zu täuschen. Eine solche Willenskraft und Selbstbeherrschung beeindruckte mich.  An ihrer Stelle hätte ich mich, so schnell ich gekonnt hätte, in Sicherheit gebracht. Auch wenn ich gewusst hätte, dass es das Falsche gewesen wäre.

Mittlerweile war die Sonne weg und es dunkelte ein. Die Raupe bewegte sich immer noch nicht.  Mit meinem Kugelschreiber versuchte ich, sie vorsichtig aufzurollen. Doch umso mehr ich versuchte, sie in ihrem Ganzen zu sehen, umso mehr verbarg sie sich. Enttäuscht liess ich von ihr ab. Es war schon spät. Deswegen legte ich sie zurück in die Freiheit, zurück in ihr Zuhause, zurück ins Efeu. Doch sie blieb weiterhin zusammengerollt liegen. Es war wirklich bewundernswert. Ich wartete noch einige Minuten, in denen ich noch die letzten Dinge erledigte. Immer wieder kam ich zurück, um zu sehen, ob sie noch da lag. Auf einmal war sie weg.

Ich verstaute meine Sachen und lief nach Hause. Ich war müde und nachdenklich. Wie kann so etwas Kleines nur so wunderschön sein? Wieso habe ich diese Schönheit nicht eher gesehen?
Der Mond ging langsam auf und ein paar Wolken verdeckten den Sternenhimmel. Ein leichter Wind strich durch meine Haare. Etwas Seltsames war mit mir passiert. Ich lächelte. Ich lebte. Ich wusste, dass die Raupe mir die Augen geöffnet hat und mir gezeigt hat, dass die Welt sehr viele Wunder bereithält. Ich wusste, dass es noch lange nicht alles war. Es war erst der Anfang.

 

Kommentare

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Am 12.08.2020, welcome home
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Am 23.04.2020, Lissan
Liebe welcome home
Das hast du sehr schön geschrieben :) Mir gefällt dein Anfang und der nachdenkliche Schluss besonders gut.
Viel zu oft sind wir so beschäftigt mit "Wichtigem", so dass wir die Wunder und Schönheit um uns herum verpassen, anstatt sie zu geniessen.
Dankeschön, dass du diesen Text mit uns geteilt hast :)
LG Lissan