Wenn die Blüten des Lebens fallen

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ann
Veröffentlicht: 19.03.2020 15:28
Aktualisiert: 28.05.2020 14:10
Kategorie: Liebe
Tags: Liebe, Tod
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Kurzbeschrieb:
In der neuen Schule verliebt sich Madita in den sensiblen Junge Niki. Doch die Vergangenheit holt Niki ein, somit verliert er seine Lebenskraft. Gewinnt die Liebe oder die Vergangenheit?

Text

Wenn die Blüten des Lebens fallen

 

Die Erkenntnis über die Absichten des Schicksals

2013 fing mein Leben an zu blühen. Ich wechselte die Schule, der ganze Albtraum hatte ein Ende. Was mir das Schicksal noch alles für grausame Taten antun würde, wusste ich noch nicht. Die Sonne strahlte, ich lernte ganz viele Personen mit einer schwierigen Vergangenheit kennen. Ja all diese vom Schicksal getroffenen Kinder, waren von der Gesellschaft unberührbar. Alle Kinder lebten in einer anderen Interpretation des Lebens, die kleinen Wesen verstanden um einiges mehr was das schonungslose Schicksal betraf. Doch eines taten alle, sie akzeptierten und respektierten jeden einzelnen. Doch ich war etwas enttäuscht, ich sah keinen hübschen Jungen. Auf dem Nachhauseweg quatschte mich ein Junge von der Seite an und fragte mich ob er meine Handynummer haben darf. Ich war etwas verlegen und gab ihm meine Nummer. Dass es der Junge meines grössten Glückes und meiner grössten Trauer sein würde, wusste wohl zu diesem Zeitpunkt keiner. Es war Niki der Junge der anderen Schulseite. Niki hatte blaue Augen, ein rundes Gesicht, seine Stimme war sanft und dramatisch klingend. Er war in der Klasse für schwererziehbare Kinder. Er war nicht schwererziehbar, er war sensibel. Niemand hatte die leiseste Ahnung wie der Junge unter dramatischen Verlusten litt. Dieses Verhalten von ihm zu hinterfragen, kostete sehr wahrscheinlich der Schule und den Staat zu viel Geld. Doch sein Schicksal wird im Nachhinein vielen die Augen öffnen. Niki war ein Junge der Gerechtigkeit wollte, doch dies blieb ihm sein Leben lang verwehrt.

 

Der Anfang meiner ersten tiefen Gefühle

 

Ich kam in die Sonderschule aufgrund meines Autismus, ich galt als unzugänglich und verhaltensauffällig. Doch mein seelischer Schmerz hat hinter diesem Verhalten von mir auch niemand erahnen können. Die kurze und schöne Geschichte mit mir und Niki fing im Bus an. Es ging nicht lange als er meine Handynummer bekam, so dass er mir schrieb. Wir liefen ab diesem Zeitpunkt sehr oft gemeinsam zum Bahnhof, wir redeten über Gott und die Welt. Doch eins war immer ein Thema, nämlich der Verlust über seinen Bruder. Er wiederholte immer wieder die Geschichte seines verstorbenen Bruders und seiner toten Mutter. «Mein Bruder stand hinter der weissen Linie am Bahnsteig. Ich sah auf die grosse Informationstafel des Bahnhofs, ein ICN fuhr neben uns in hoher Geschwindigkeit durch, mein Bruder machte einen Misstritt, die Luft des Zuges riss in einfach mit unter den Zug. Er war weg, sein Körper, sein Körper wurde auf grausame Art zerstört und das Schlimmste ist, ich bin schuld, ich bin schuld für alle Ewigkeit». So schilderte mir Niki sein grösstes Leid. Als wir nach einem langen Gespräch am Bahnhof ankamen, lud er mich zu sich nach Hause ein. Auf der Reise zu ihm fragte ich ihn nach seiner Mutter. Er erzählte mit traurigen Worten, dass sie, als er acht Jahre alt war, an einer Krankheit starb. «Weisst du, ich stand jeden Tag bei ihr am Krankenbett. Ich betete, ich hoffte. Sie wurde von Tag zu Tag schwächer. Sie verfiel in ihrem eigenen Körper. Doch sie kämpfte jeden Tag für mich, aber nach einem harten Jahr verlor sie gegen das Vorbestimmte. Meine geliebte Mama wollte mir noch was sagen als sie ihre letzten schweren Atemzüge nahm, jedoch war ihre Stimme so schwach, dass ich nur noch erahnen konnte, was sie mir sagen wollte. Meine Mutter trat im Beisein von mir aus ihrem wundervollen Körper». Mir kamen die Tränen, ich erwähnte wie stolz ich auf ihn sei und wie tapfer er sei. In Bern angekommen zeigte er mir das Haus in dem er lebte. Sein Zuhause war bei seiner Tante. Wir schauten den bekloppten Film „Ice Age“. Er amüsierte sich köstlich, sein Schmerz konnte er zur Seite legen. Nicki war in diesen Momenten ein normales Kind mit einer reinen Seele. Als er aufstand und für uns etwas zum Knabbern holte, platzierte er sich sehr nahe neben mich. Sein Körper kam immer näher, sein Kopf neigte sich zu meinem. Ich spürte seinen Atem auf meinem Hals, der warme Hauch seines Atems wanderte über meinen Hals hoch und plötzlich hörten wir die Klingel der Haustür. Er sprang auf und ging die Türe öffnen. Kurze Zeit später begleitete er mich nach Hause. Auf einer schönen Wiese machten wir einen kleinen Stopp. Dabei  betrachteten wir den unendlichen blauen Himmel. Niki befahl mir, dass ich meine Hände ausstrecken  und meine Augen schliessen solle. Natürlich vertraute ich ihm blind. Er nahm langsam meine Hände und näherte sich mit einem grossen Schritt an. Er flüsterte mir, dass ich sein Stern sei und küsste mich mit seinen vollen Lippen. Es war als ob ich Zeit und Raum vergass. Es war so, als liesse ich mein Leben neben mir stehen. Nach diesem Tag war mir klar, wenn ich den Junge verliere, verliere ich mehr als ihn und mich.

 

Was ist eine Depression, was will ich?

 

Als ich von der Schule nachhause kam fand ich meine Mutter, wie fast jeden Tag, weinend am Boden sitzend. Sie sagte mir, dass das Leben keinen Sinn ergibt, dass sie von niemanden gemocht wurde, dass ihr Tod das Beste wäre. Für mich war es der Alltag, diese Wörter gingen an mir vorbei. Es war so, als schalteten meine Emotionen mit einem Knopfdruck aus. Es gab keine andere Wahl als schlichtweg zu funktionieren, so dass man dies alles ertragen konnte. Meine Mutter befahl mir das ganze Haus zu putzen, zu kochen und meiner Schwester bei den Hausaufgaben zu helfen. Das erledigte ich auch, doch natürlich erschien das Haus nicht blitzeblank, was für Ärger sorgte. Es war nie gut genug. Immer wieder hatte ich Angst nachhause zu gehen, da ich wusste, dass meine Pflichten auf mich warten. Diese ganzen Umstände liessen mich für jeden Tag immer etwas mehr verstummen. In der Schule fand ich immer wieder meine innere Ruhe. Mit Niki an der Seite fühlte ich mich stark, doch er kämpfte mit sich. Er fing an zu trinken. Jeden Tag roch er schon am Morgen nach Alkohol. Sukzessiv verlor er seine Freunde, kam eine Zeitlang morgens nicht mehr zur Schule, da er die Kraft zum Aufstehen und Leben nicht mehr hatte. Meist kam er nur noch mit einem schwarzen Trainer in die Schule. Natürlich war das nicht erlaubt, aber es war ihm egal. Eines Tages kam ich später am Bahnhof an als er. Er sass fast regungslos auf einer Bank mit drei anderen zusammen. Ich sprach ihn an, doch er ignorierte mich. Ich war mir nicht sicher, ob er mich erkannte. Es zerriss mein zerbrechliches Herz in tausend Stücke. Ich machte mich niedergeschlagen auf den Heimweg. Als die Hälfte des Schulweges gemeistert war, bekam ich einen Anruf. Die Frau am anderen Ende Leitung war meine Bezugsperson der Schule. Sie teilte mir mit, dass meine Mutter während eines Gesprächs in der Schule einen Nervenzusammenbruch erlitt, und dass es zur Sprache kam, ob ich in das Kinderheim eingewiesen werden sollte. Es war einen riesen Schock, das Leben liess mich schon das zweite Mal hängen und das an einem einzigen Tag! Ich fühlte mich einsam. Es war der Beginn eines Albtraums. Mein Halt, meine starke Schulter brauchte mich mehr denn je. Am nächsten Morgen in der Schule war Niki nicht da, seine Tante wusste auch nicht wo er steckte. Die Angst, dass es ihm nicht gut gehe war berechtigt. Doch ich konnte nicht einfach die Schule schwänzen. Da war noch das Gespräch wegen dem Kinderheim. Meine Lehrerin, Psychologin, Bezugsperson und eine Frau aus der Verwaltung erklärten mir in Ruhe, dass es besser für mich wäre, eine Zeitlang ins Heim zugehen, da ich nicht all diese Last bei mir zuhause selbst tragen könnte. Bei mir stellte sich eine sichtliche Erlösung fest. Im ersten Moment war ich froh, konnte ich endlich einmal für eine Weile Luft holen. Nach dieser Tortur des Tages war die Schule auch endlich um. Natürlich ging ich Niki gleich suchen. Zuerst war ich am Bahnhof und fragte diese Leute. Nachdem ich feststellte, dass er nicht dort war, nahm ich den nächsten Zug zum Friedehof, wo seine Mutter begraben war. Von weitem sah ich wie Niki neben dem Grab lag. Ich kam näher, sein ganzer Körper zitterte. Er war kreidebleich und völlig zerstört. Er sagte mit vertränten Augen, dass er keine Kraft mehr habe, und dass er seine Mama vermisse. Langsam zog ich ihn auf, nahm ihn in den Arm und schwieg für eine Weile. Beide weinten. Es waren Tränen der Trauer, Tränen der Verzweiflung. Zwei noch so junge Menschen die beide vom Leben schon auf Herz und Nieren geprüft worden sind. So schwer das Leben teilweise auch seien kann, umso schöner ist es, wenn es wieder den Berg hochgeht. Wir wussten beide was das Leben von uns abverlangte. Es war schon 23 Uhr, der Himmel war so klar, man sah jeden einzelnen Stern. Die Kerze vor dem Grab liess es hell erleuchten. Wir sassen vor dem Grab. Ich schwor Niki, dass ich immer zu ihm stehe, komme was wolle. Von hinten hörten wir leise Tritte. Niki drehte seinen Kopf, der Pastor stand hinter uns. Er nahm uns mit in den Kirchenraum und er versicherte uns, dass wir hier immer einen Platz für unsere Sorgen und Ängste haben. Tränen sind auch erlaubt. Kurz darauf gingen wir nachhause. Am nächsten Morgen war Niki zu meinem Erstaunen in der Schule, er war wie ausgewechselt. Wir trafen uns nach der Schule, es war ein Tag wie kein anderer, das Leben stellte uns keine Grenzen und wir waren für einen Tag frei, frei von dieser dunklen Seite des Lebens. So entschieden wir uns, dass wir ein Ausflug auf den Berg machen. Es war ein warmer Tag. Gemeinsam spazierten wir über die verlassenen Kuhwiesen, der herrlich Wind sauste uns sanft um die Nasen. Der Geruch vom Herbst. Auf unserem Weg begleitete uns der Sonnenuntergang. Wir lachten, wir schätzten das Leben. Wir lebten in diesem Moment. Ganz oben auf der Spitze angekommen schrien wir mit viel Euphorie, dass wir die Könige der Welt seien. Wir breiteten unsere Schlafsäcke aus und legten uns auf sie. Zusammen betrachteten wir das Meer der Lichter. «Mit dir ist mein Leben vollkommener denn je. Dein Atem ist mein Herzschlag, dein Lachen lässt mich Atmen» sagte ich. Er sah mich mit seinen schimmernden Augen an und hatte ein kleines zärtliches Lachen auf den Lippen. Sanft gab er mir einen Kuss auf die Stirn. Gemeinsam schliefen wir unter dem klaren Mond ein. Niki ohne Sorgen und einfach nur glücklich. Ich wusste, dass dies das betrügerische Gesicht der Depression war. Es ist die unberechenbare Krankheit. Die gar manchmal über unseren letzten Tag entscheidet.

 

 

Meine Zeit im Heim

 

Ein Betreuer stellte mich mit wenigen Worten den anderen Heimkindern vor. Prompt war ich eine von ihnen. Ein Kind vom Rande der Gesellschaft. Am ersten Tag wurde mir mein Ämtli zugeteilt. Mein Zimmer war im Vergleich den andern eine Suite (da ich das einzige Mädchen war). Im Zimmer hatte es einen mittelgrossen Holztisch, einen Schrank, ein Bett und einen Nachttisch. Dazu gab es im Zimmer grässliche blaue Vorhänge. Eines hatte ja dieser Raum, er hatte eine grosse Pintafel. Dies gab uns die Möglichkeit unsere Fotos aufzuhängen und somit in diese reizfreien Zimmer etwas Farbe zu bringen. Ich hatte auch das Glück mit diesem Zimmer, dass es eine eigene Dusche hatte. Die Zeit lebte sich gut, dennoch wurden mir die Freiheiten entzogen. Ich empfand dies als überaus unfair. Ich war ja nicht der Grund, meine Eltern waren der Grund, wieso ich ins Heim musste. Mit der Zeit hängte mir dieses langweilige Heimleben aus. Ich schmiss meine Möbel durch das ganze Zimmer. Ich schrie mit der Botschaft herum, dass ich hier wegen meinen Eltern sei, die nicht für mich sorgen konnten! Nach ein paar Monaten erfuhr ich nebenbei, dass sich meine Mutter in der vergangenen Nacht das Leben nehmen wollte. Sie lag anscheinend bewusstlos in ihrem Auto, unter dem Einfluss von 50 starken Schlaftabletten und ein paar Magenblocker. Gefunden wurde sie dazumal von einem Fussgänger im Wald. Als ich diese Nachricht mitbekam, riss es mir im ersten Moment den Boden unter den Füssen weg. Der Gedanke daran, dass sie mich und meine Schwester einfach so sitzen liess, es lief mir frostig über den Körper. Einige Tage vergingen und meine Mutter kam aus der Intensivstation. Sie behauptete vor mir und meiner Schwester, dass dieser Versuch sehr schön war, und dass das Sterben auf diese Weise wie das Einschlafen sei. Seit diesem Vorfall musste ich mir etwas selbst eingestehen: es wäre vielleicht sehr traurig gewesen, wäre sie tatsächlich „eingeschlafen“, aber es wäre auch eine Erleichterung gewesen. Ich musste ständig mit einem Anruf und der Mitteilung rechnen, dass meine Mutter tot sei. Mit einer Distanzierung von ihr schaffte ich es, einen Teil Belastung von mir zu schieben. Die Zeit im Heim war auch schon wieder um und ich musste mir ein neues zuhause suchen. Dieses fand ich bei einem nah gelegenen Verwandten.

 

 

 

 

Der letzte Herzschlag

 

Es war der 1. November 2018. Es war ein kalter Donnerstag, eine etwas dickere Schicht Schnee schimmerte über ganz Bern. Die Hauptstadt der Schweiz schlief noch tief, ausser Niki. Er stand aussergewöhnlich früh auf, sass an seinem Schreibtisch und machte fünf Briefe fertig. Er frankierte sie und legte sie in den Schulsack. Ich traf Niki noch kurz vor der Schule, was eigentlich sehr ungewöhnlich war. In der Mittagspause machte er sich auf den Weg zur Post. Dach kam er auch wieder zurück. Nach Schule führte er mich zu einer Brücke. Dort schauten wir träumend auf die Aare. Mit einer Träne nahm er etwas Kleines aus der Tasche. Es war ein Schloss. Das Schloss war mit einem Herz graviert und mit unseren Namen. Er sagte, so wären wir immer verbunden egal was passiert. Kurz darauf machten wir das Schloss am Gitter der Brücke fest. Er nahm zärtlich meine Hand, ich spürte die Energie die durch ihn Floss. Er wirkte auf mich sehr zufrieden. Es war wieder einmal ein Tag an dem er entspannt war. Wir verabschiedeten uns mit einem Kuss, wortlos ging er. Niki drehte sich noch einmal zu mir um und formte mit seinen Händen ein Herz. Es sind Stunden, die ich niemals mehr vergessen werde. Ich ging gemütlich nachhause. Er stand am Bahnhof und wartete. Ein Mann ging zu ihm und gab ihm etwas in die Hand. Kurz darauf ging er auch nachhause. Dort räumte er sein Zimmer auf.  Tage zuvor verschenkte er auch schon einige Dinge mit der Erklärung, dass er mehr Ordnung schaffen will. Er stellte sich seine Lieblingsklamotten zusammen und legte sie auf seinen Bürostuhl. Nachdem er sein Zimmer fertig aufgeräumt hatte ging er noch Baden. Weinend kam er aus dem Badezimmer, legte sich in alten Klamotten auf sein Bett und schaute ein Fotoalbum an. Niki legte das Album neben sich und zog die Spritze auf. Auf dem Rücken liegend und mit offenen Augen nahm Niki am 1. November 2018 um 23.30 Uhr seinen letzten Atemzug. Sein Herz bleibt für immer stehen.

 

Die ersten Etappen der Trauer

 

Am 2. November 2018 kam ich in die Schule. Da es Freitag war freute ich mich umso mehr. In der Schule angekommen sprach jeder hinter meinem Rücken, dass etwas Schlimmes passiert sei. Doch niemand wollte mir verraten was geschehen war. Zusammen in der Klasse sassen wir still und gespannt auf den Stühlen. Ich bemerkte, dass Niki nicht hier war, aber das war nicht aussergewöhnlich. Während wir auf die Nachricht warteten schrieb ich Niki, ob es ihm gut gehe und ob er heute noch zur Schule käme da die Lehrer etwas Wichtiges mitteilen wollten. Auf einmal wurde mein ganzer Körper wackelig. Die Lehrer fingen an zu sprechen, ihre Worte kamen mir endlos vor. Und plötzlich kam es:  „Es tut uns leider aber Niki verliess uns in der letzten Nacht“. Ich sass regungslos auf meinem Stuhl, um mich herum wurde es schwarz, mein Körper und meine Seele lösten sich ins Leere. Nach ein paar Minuten fragte ich was sie mit „gegangen“ meinten. Darauf kam nur die Antwort, er werde nicht mehr wiederkommen. Zudem teilten uns die Lehrer mit, dass wir an seine Beerdigung dürften jedoch nur mit einer erwachsenen Aufsichtsperson. Ich konnte es nicht fassen, immer und immer wieder tippte ich seine Nummer ein und rief ihn an - erfolglos. Ich spürte nichts mehr. Keine Wut, keine Trauer, kein Glück.. einfach nichts mehr. Es dauerte nicht lange bis ein Psychiater kam. Doch da ich nichts fühlte und ich es nicht wahrhaben wollte fand ich es auch nicht für nötig mit ihm zu sprechen. Ich wollte einfach nur so wie die Anderen ganz normal weiterarbeiten. Jemand kam mich von der Schule abholen und versuchte mit mir ein Gespräch aufzunehmen, doch dies blockte ich ab und behauptete, dass es mir gut gehe. Es verging eine Woche bis endlich die Todesanzeige erschien und das Beerdigungsdatum. Niki musste zuerst von der Rechtsmedizin freigegeben werden. Als ich die Zeitung aufschlug und seinen Namen und sein Geburtsdatum las, fiel ich das erste Mal in dieser Woche in Tränen aus. Ich fiel zu Boden. Mit einer gekrümmten Haltung und der Zeitung im Arm weinte ich. Ich fiel und fiel immer tiefer in die Trauer. Jede Träne trug eine Erinnerung mit sich. Jedes Schluchzen zeigte die ehrlichsten Gefühle, die mir in meinem Leben jemals begegnet sind. Es wurde mir klar, er ist zu den Engeln gegangen. Er hat unsere Erde verlassen, er hat sein Kleid dieser Erde verlassen. Er gehört ab jetzt der Vergangenheit an.

 

 

 

 

 

 

 

 

<p style='\"text-align:' center;\"=""> Die Überführung seines verlassenen Kleides

Es war soweit. Ich bat den vertrauten Pastor um seine Hilfe. Ich erklärte ihm, dass ich nicht die Kraft habe, Niki allein im Aufbahrungsraum zu besuchen. Natürlich bot er mir sofort seine Unterstützung an. Am Montag, den 12. November 2018 betrat ich den Aufbahrungsraum. Wir näherten uns dem schönen Ebenholzsarg. Meine Knie waren weich, mein Herz schlug bis zum Hals. Da lag er, durch eine Scheibe getrennt von uns. Seine Augen waren mit einem transparenten Klebestreifen verschlossen. Nikis Wangen und Lippen waren eingefallen. Der Bestatter hatte sein Haar extra was zerzaust hingerichtet, so wie er sie immer getragen hat. Sein Gesicht hatte einen weiss-grauen Touch. Doch sein Ausdruck sah wortwörtlich erlöst aus, er hatte sogar ein kleines Lachen auf den Lippen. Man konnte meinen, er sei ganz friedlich eingeschlafen. Sein Brustkorb stand still. Die Hände lagen auf seinem Bauch zusammengefaltet. Er trug ein Armband und auf den Händen lag ein Modellauto. Hinter seinem Sarg brannten auf einem Ständer drei versetzte Kerzen. Ich fragte den Pastor mit Tränen in den Augen, ob er zu Gott kommen würde obwohl er sich das Leben genommen hatte. Er antwortete, dass Niki einer von den guten Menschen war. Der Pastor ermöglichte mir noch die Kerzen in Nikis Raum zu erlöschen. Im Raum war es sehr kühl. Jeder Schritt war schwer, jeder Atemzug tat mir weh. Als ich bei ihm angelangt war, riss ich mir meine geliebte Kette mit dem Kreuzsymbol vom Leib und legte sie unter seine kalten Hände. Langsam strich ich ihm mit meinen zitternden Händen über seine kalten Wangen. Dies war der Tag des Abschieds seines menschlichen Körpers. Ein Tag darauf wurde sein Leichnam vom Bestatter ins Krematorium überführt.

 

 

 

 

Asche zu Asche, Staub zu Staub

 

Es waren eine schwarze Hose, eine schwarze Bluse, schwarze fein geschnittene hohe Schuhe und eine grosse schwarze Vintage Brille die ich am Tag der Beerdigung angezogen hatte. Die langen schokoladebraunen Haare steckte ich hoch. Der neue goldene Kreuzanhänger kam im Ausschnitt der Bluse zum Vorschein. Vor meiner Tür stand schon meine Trauerbegleiterin. Zusammen machten wir uns mit dem Auto auf den Weg zur Reformierten Kirche. Es parkierten schon viele Autos dort. Unzählige Jugendliche standen mit ihren Eltern dort. Unter anderem auch meine Lehrer. Alle begaben sich in die Kirche. Die Sonne strahlte durch all die Kirchenfenster. Meinen Sitzplatz wählte ich etwas weiter hinten aus, bei Schulfreunden die solidarisch erschienen. Der Pfarrer hielt eine Rede. Er erzählte die Geschichte von Niki, wie er gross wurde, was er für ein Wesen hatte und so weiter. Doch all diese berührenden Worte gingen an mir vorbei. Das Betrachten der orangenen Urne mit ein paar Blumen darauf versetzte mich in Gedanken. Ich dachte, dass es unmöglich ist, dass Niki in dieser kleinen Urne sei. Es erschien zu absurd um es wahr zu haben. Nach der Ansprache des Pfarrers verlegte sich die ganze Trauergruppe mit der Urne zum Friedhof. Es war ganz still. Wir standen vor einem Loch. Um das Loch herum waren schon einige Blumen und es stand schon ein Holzkreuz mit einem goldenen Plättchen, welches mit seinem Namen graviert war. Einige hielten noch eine Rede. Dann war es soweit, ich ging nach vorn zu Nikis Überresten und fing mit dem Wort «Liebster» an. Alle Gefühle kamen hoch und viele Anwesende starrten mich an. Ich bekam keine Luft mehr mein Hals war schwer. Nach einer kleinen Pause fing ich nochmals an «Liebster» - mehr brachte ich nicht mehr raus. Alle Leute wurden auf mich aufmerksam... «Liebster, unsere» nach diesen zwei Wörtern kamen mir alle zurückgehaltenen Tränen, meine Beine liessen mich auf meine Knie fallen. Meine Trauerbegleiterin kam und tröstete mich. Ich bat sie meine paar Zeilen vorzulesen. Was sie auch tat. «Liebster dein Wesen liess mich träumen. Dein Atmen lies mein Herz schlagen. Mit dir verlor ich alle Furcht. Du hast mir die schönen Seiten des Lebens gezeigt. Du warst selbst die Blüte des Lebens. Jedoch liess dein Schicksal deine Blüten schon in jungen Jahren fallen. Mein Liebster, du warst zu gutherzig für diese zutiefst kalte Welt. Aufgrund dessen ist es mein grösster Wunsch, dass du deinen Frieden und die Gerechtigkeit jetzt im Jenseits gefunden hast. Du hast unsere Welt ein Stück zum Guten verändert und für dies werden wir dir immer dankbar sein. In tiefster Liebe und Verbundenheit deine Madita». Während meine Zeilen vorgelesen wurden schaute ich in die Sonne. Niki stand vor mir. Es wurde warm, mit einem herzlichen Lachen schaute er zu mir nieder, ohne Worte nahm er meine Hände und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Er wandte sich zur Sonne und schwebte zu dem Licht der Sterne. Illusionen - sie sind mächtig. Unsere Illusionen führen uns oft ins Labyrinth, aber doch sind diese Illusionen der Balsam für die Seele.

 

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