Eisige Kälte

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clueless
Veröffentlicht: 10.11.2019 18:00
Aktualisiert: 10.11.2019 18:03
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Eisige Kälte

«Es ist kalt», stellte Laurel fest. Die Bemerkung war überflüssig. Wir schlotterten beide. Allerdings wollte sie das unangenehme Schweigen brechen, also konnte ich es ihr kaum übelnehmen, das Offensichtlichste auszusprechen. Leider wusste ich nicht, was ich darauf entgegnen sollte. Ich hatte ihr nichts zu sagen. Die eisige Meeresluft windete in den sonst schon kalten Oktoberwochen stark. «Darum habe ich ja auch Kaffee mitgebracht», erklärte Jamie, die in diesem Moment über die kleine Brücke auf uns zuschritt. Sie streckte uns je einen Pappbecher mit brühend heissem Inhalt hin, welche wir gern und dankend annahmen um unsere Hände daran zu wärmen. Das Sausen des Windes war das einzige Geräusch, das für einen Augenblick herrschte. Ich war froh den Kaffee umklammern zu können, so hatten wenigstens meine Hände etwas zu tun. Niemand wollte das Unausweichliche ansprechen und so nippten wir drei einige Augenblicke an unseren heissen Kaffeebechern und ich bin mir sicher, dass wir uns alle die Zunge dabei verbrannten. Doch ich für meinen Teil verbrannte mir lieber die Zunge, als etwas zu sagen.

Zu meiner Überraschung war Laurel dann wieder die, die das Schweigen zwischen uns brach. Demzufolge hatte sich noch mehr geändert, als ich dachte. Laurel war früher immer die Ruhigste von uns dreien.

«Bringen wir es hinter uns.»

Jamie und ich, den Blick auf den Boden gerichtet, nickten stumm.

«Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll.»

«Es tut mir leid.»

«Mir auch.»

«Es tut uns allen leid.»

«Ich wünschte, er würde uns jetzt hören.»

«Das tut er bestimmt.»

Stille.

«Er ist tot, Laurel.»

«Das bedeutet aber nicht, dass er nicht hier sein kann.»

Meine Zähne klapperten aneinander, aber ich wagte mich nicht zu rühren, wagte es nicht einmal, einen Schluck warmen Kaffee zu trinken.

«Ich habe ein solch schlechtes Gewissen.»

«Das haben wir alle.»

«Das sollten wir auch.»

«Aber es ist zu spät.»

«Wir können die Zeit nicht zurückdrehen.»

«Auch wenn wir das gerne würden.»

Ich hörte ein Schniefen und blickte auf. Jamie wischte sich eine Träne, die über ihre Wange kullerte, weg.

«Ich kann es nicht fassen, dass Papa nun einfach...», sie hielt inne, «.. weg ist.»

«Wir haben uns so falsch verhalten.»

«Könnt ihr euch überhaupt noch an die Ursache des Streits erinnern?»

Wir schüttelten den Kopf.

«Mama starb und ich fürchte...»

«Wir waren alle durcheinander.»

«Wir hätten uns besser geholfen, statt zu streiten.»

«Im Nachhinein ist man immer schlauer.»

«Als ich den Anruf erhalten habe...»

Der Rest des Satzes blieb ihr in der Kehle stecken.

«Wir wussten nicht einmal, dass ...»

«Dass er krank war.»

«Ich hätte das nicht für möglich gehalten.»

«So schnell...»

«Ein solcher Anfall, das war nicht vorhersehbar.»

Wir schwiegen erneut.

«Wisst ihr noch, wie wir hier das erste Mal im Meer schwimmen waren? Papa war es so wichtig, dass wir es schnell lernten.»

Ich lächelte und erinnerte mich gern zurück.

«Klar. Es war eiskalt.»

«Es ist aber auch unmöglich, hier in Dänemark das richtige Badewetter zu treffen.»

Jamie strahlte nun auch.

«Seine Taktik war gut. Wir wollten schnell zurück ins Trockene.»

«Ja, deshalb haben wir uns nicht schwer getan.»

Erneutes Schweigen.

«Wisst ihr was», begann ich. «Wir haben uns unmöglich angestellt. Ich wünschte, er würde zu uns stossen.»

Meine Schwestern nickten. Ich war den Tränen nah. Wir hatten die letzten Lebensjahre unseres Vaters verpasst. Das schlechte Gewissen war unbeschreiblich gross. Jamie bemerkte, wie ich mich fühlte, nahm mir den Kaffeebecher aus der Hand und stellte ihn mit ihrem auf das Geländer vor uns. Dann legte sie ihre Arme um mich und wir fanden uns wieder in einer innigen Umarmung. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und wurde durch einen zusätzlichen Druck auf meinem Rücken überrascht. Laurel schloss sich unserer Umarmung an. Wie die Pinguine, die sich wärmten, standen wir zu dritt in der eisigen Kälte und waren uns so nah wie schon lange nicht mehr.

Kommentare

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Am 19.11.2019, Pferdegirl
Hi clueless
Deine Geschichte hat mich total traurig gemacht.Ich habe sie auch bis am Ende durchgelesen. Die geschichte war toll!
Hier noch fragen zu deinem Text:
Sind die drei Geschwister?
Wie heisst die Person die es erzählt?
Wie hiessen die Eltern?
Lg Pferdegirl
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Am 12.11.2019, welcome home
Hoi Clueless
Deine Geschichte hat mich gepackt und ich habe sie gebannt bis zum Ende gelesen. Es hat mir super gefallen, wie du die Infos nach und nach in den Text eingebaut hast. Super!
Lieber Gruss
welcome home :)