Die gepunktete Tasse

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sera
Veröffentlicht: 05.08.2019 12:35
Aktualisiert: 05.08.2019 13:29
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Kurzbeschrieb:
Eine Kurzgeschichte um den Tag aufzuheitern.

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Der Himmel war grau und fad. Nebelschwaden schwebten tief über dem Tal. Vereinzelte gelb und rot verfärbte Blätter hingen schwach an knorrigen Ästen. Braun gefärbte Blätter, welche den Kampf gegen die Schwerkraft aufgegeben haben, klebten nass und kalt auf dem feuchten Boden. Das Gras verlor langsam die grüne saftige Farbe und die Köpfe der restlichen Blumen neigten sich dem Boden zu. Ich starrte gelangweilt zum Fenster hinaus und beobachtete, wie der Wind sanft über die Bäume strich. Ich fühlte mich schwer und lustlos. Meine Großmutter pflegte zu sagen “Mit einer Tasse Tee bist du sofort wieder munter und fröhlich”. Sie war eine echte Teetante. Bei jedem Besuch gab es Tee. Einmal gab es einfachen Pfefferminztee, dann wiederum Orangen-Ingwer Tee. Ich mochte sie so wie sie war, aber wie es kommen musste, schlief sie letzten Sommer ein und wachte nicht wieder auf. Mit einer halbvollen Tasse Tee auf ihrem Nachttisch. 

Ich schleppte mich in die Küche mit dem Gedanken, einen schönen Kräutertee zu kochen, nach einem Rezept meiner Großmutter. Ich nahm einen silbernen Topf mit braunem Henkel aus der Schublade und setzte ihn auf die Herdplatte. Nach einiger Zeit und verschwendetem Strom fiel mir auf, ich habe das Wasser vergessen. Seufzend drehte ich den Wasserhahn auf und liess kühles Nass in die Pfanne laufen. Plötzlich hörte ich eine Stimme. Ein Wispern. Dann wurde es wieder lauter. Ich drehte mich um mich selbst, was wenig brachte. Auch draußen vor dem Küchenfenster befand sich niemand. Trotzdem hörte ich noch eine leise Stimme. Drehte ich vollkommen durch? Jetzt klopfte es auch noch. Nochmals. Das Klopfen kam aus dem Geschirrschrank?! Diese graue, kleine Schranktür, die sich zwischen dem grossen Kühlschrank und dem grossen Fenster dezent und unauffällig zurückzieht, klopfte einfach. Sollte ich die Tür öffnen? Das erinnerte mich an die Adventskalenderzeit, da überlegte man am Tag vorher, ob das Türchen von morgen schon aufgemacht werden soll. Ich streckte langsam meine zitternde Hand der klopfenden Tür entgegen. Meine Kinnlade klappte buchstäblich nach unten, auf einer Ablage stand frisch und fröhlich meine Lieblingstasse und winkte mir zu. “Guck doch nicht so doof. Noch nie eine Teetasse gesehen?” Ich knallte die Tür zu. Da schreite sie empört: ”He! Geht’s dir noch?” Ich öffnete den Schrank erneut. Die Tasse schaute mich immer noch an. “Nimm mich raus, und stell mich auf den Tisch”, sagte sie bestimmt. Vorsichtig nahm ich die mit Punkten verzierte Tasse in beide Hände und setzte sie ebenso vorsichtig auf den Tisch. ”Musst mich nicht mit Samthandschuhen behandeln. Bin doch nicht aus Porzellan.” “Wieso kannst du sprechen?” Redete ich wirklich gerade mit einer Teetasse? “Ich kann sprechen, weil ich einen Mund habe im Gegensatz zu meinen langweiligen Artgenossen. Wieso stellst du mich nicht ans Fenster, so hätte ich mal etwas zu sehen.” So redete ich mit einer Tasse den ganzen Nachmittag lang. Wir diskutierten über das Abwaschen von Geschirr und wieso der Henkel an der Tasse gleichzeitig rechts und links sein kann. So ging es weiter, bis der Mond durch den dichten Nebel zu sehen war.

Der Wecker klingelte gemein auf meinem kleinen Nachttisch. Ich streckte müde die Hand aus, und versuchte den Wecker zu fassen. Er entwischte mir jedesmal, wenn ich kurz davor war, dieses grässliche Klingeln zu beenden. Schlussendlich warf ich ihn zu Boden. Ich gähnte lautstark, wie ein Walross sagt Mutter, und dachte über den Traum mit der sprechenden Tasse nach. Schon eigenartig, was ein Mensch alles träumt. Als ich langsam in die Küche schlurfte, schaute ich mit grossen Augen die gepunktete Tasse an, welche fröhlich auf mich zu hüpfte.

 
 

Kommentare

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Am 10.08.2019, sera
Hallo Starlight

Danke vielmals. Ich hoffe, sie konnte deinen Tag verschönern. ;-)
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Am 07.08.2019, Starlight
Hi Sera

Eine tolle und witzige Geschichte, bei der mir besonders der Schluss gefällt. :)

LG
Starlight