Kann man Betoneier eigentlich aufschlagen?

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wirmüssenreden
Veröffentlicht: 25.01.2019 10:06
Aktualisiert: 25.01.2019 10:06
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Hätte ich gewusst, wie es heute werden würde hätte ich mir das Ticket für den überteuerten ICE gespart und wäre stattdessen irgendwo in meiner Stadt, mit einem dieser hässlichen Coffee To Go Becher auf einer Parkbank versackt.

Wer hat sich eigentlich überlegt, dass es cool und lecker ist, seinen mit viel Liebe von der Kaffemaschiene des Bäckers um die Ecke zubereiteten Cappucino durch dieses winzig kleine Loch des Deckels zu trinken. Ersten kommt der viel zu dicke Milchschaum da gar nicht durch und zweitens schmeckt jeder Schluck als hätte man vergessen beim Nimm2 BonBon den Rest der angegeklebten Folie abzunehmen. Nein. Stattdessen saß ich mit einem überteurerten Coffee To Go Becher im überfüllten ICE ohne das geringste von meiner inneren Stimmung mitzubekommen. Wie lange Euphorie sich hält, hab ich mich oft gefragt. Komischerweise hat es mir den Anschein als wäre die Dauer von Euphorie genauso beständig wie der Jahresfahrplan der Bahn selbst. So unbeständig, dass man sich wundert, wenn der Zustand der regulären Fahrzeiten eingehalten wird. Es waren zwei schöne Tage, dass kann man nicht bestreiten. Die Luft war zu kalt, um sich in der Öffentlichkeit zu küssen. Jeder Schritt vorwärts war ein Schritt zum nächsten warmen Unterschlupf und keiner war bereit, auch nur einen Gedanken daran zu verlieren, dass jeder Kuss diese furchtbare Kälte vielleicht etwas erträglicher gemacht hätte. So gingen wir verloren und doch getrieben durch die Straßen, bis wir die Gallerie erreichten. Abstrakte Kunst kann einen wirklich an die Grenzen des Verstands treiben. Ich glaube es gibt nur zwei Arten von Menschen, die die so tun als würden sie die Kunst verstehen, und die, die zugeben, dass sie sie nicht verstehen. Ich gehöre Letzteren an und mein fehlender Filter machte sich auch hier mit einem lauten Paukenschlag bemerkbar als ich rätselnd vor einem Teller kleiner Betoneier stand und mich fragte, was wohl passieren würde, wenn man die Eier aufschlagen würde. So wie in der Küche eben. Immer noch fixiert von dem Gedanken an Rührei aus Beton, wurde mein wohl sehr fragender Blick von ihm aufgefangen und mit einem Schmunzeln kommentiert. Reden ging nicht, es waren einfach zu wenig Leute da, die sich für die Betoneier interessierten. Ich glaube das ganze sollte eine Art gedeckten Esstisch darstellen. Das war auch mein einziger Gedanke, der mir blitzschnell in den Kopf schoss und so versuchte ich mich durch die Kunst der Konversation bei meiner Begleitung einzuschleimen. Ging schief, denn das hatte er wohl vor mir erkannt und ich hörte innerlich Hände dreimal langsam klatschen. Einen kurzen Treppenabgang später im leeren Treppenhaus versuchte ich dann meine Begleitung mit einer spontanen Kusseinlage von meiner verwegenen Persönlichkeit zu überzeugen, allerdings resultierte das auch nur in müde Küssen, die eine Mischung aus "Was passiert hier?" und "Werd erwachsen!" in seinen Augen widerspiegelten. Cool. 2:0. Mal sehen wie hoch wir noch gewinnen können im Spiel "Wer blammiert sich am Besten?!" und wie hoch der nächste Einsatz aussehen müsste.

Etliche Schritte und Blasen an meinen Füßen später in der Sauna angekommen, wollte ich nun endlich alle Hüllen fallen lassen und mich so zeigen wie ich bin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nach einem kurzen Flirt mit dem Kassierer ging es schon ab in die Umkleidekabine und zu meiner Verwunderung, fiel es mir wesentlich einfacher, Blickontakt mit ihm zu halten, während zwei andere Männer sich interessiert meinen Brüsten zuwandten. Die Frage nach Intimität stellt sich in der Saune komischer Weise sehr selten. Nacktheit wird akzeptiert, jegliche Form des Körperkontaks, ausgenommen des Händchen Haltens wird mit einem herablassendem kurzen Einatmen durch die Nase kommentiert und sich fast aus den Augenhöhlen drehende Augen forden zum sofortigen Abbruch der jewiligen Handlung auf. Natürlich bediente auch ich mich dieser Methode, als sich beim vierten Saunagang ein Päarchen schmatzende die Zunge in den Hals steckte. Dass ich es unverschämt finde hatte ich ihm gesagt bevor ich, zusammen mit vier anderen Leuten schnell, kommentarlos, Augenrollenende und wild schnaufend die Sauna verließ. Unverschämter als das Päarchen war allerdings, dass ich sehr gerne das Päarchen gewesen wäre, was Leute zum Schnaufen und Augen drehen gebracht hätte. Päarchen ist gut. "Zwei Menschen"-Paket vielleicht. Was das ist, er und ich, das weiß ich immer noch nicht. So nah er mir war, umso schwerer war er zu greifen. Die Frage nach seinen Geburtstagsplänen kommentierte er mit lieblosem Geplänkel und auf meinen Kommentar, dass ich gerne was für ihn geplant hätte, wenn ich es früher gewusst hätte, kam nur ein liebloses, kurzangebundenes Nein, dass mit einem Kopfschütteln und dramatischem Augenschließen unterstrichen worden. Wie war das nochmal mit dem blamieren? Ach ja, nackt vor anderen Menschen sitzend auf die Rolle der selektiven Begleitung degradiert zu werden führt klar zum 3:0. Aufmunterung versprach ein Mann, ca. 45, der mir gegenüber saß und zwinkernd und grinsend seine Beine weit auseinander zog und mir einen Blick auf seinen Penis gewährte. Aufmunternd. Ich sag doch. Mit dem Gefühl, die Blamage durch meine extreme Ausstrahlung vollends kompensiert zu haben, blieb ich noch ein wenig den Mann anstarrend sitzen, immer darauf bedacht, gelegentlich wegzuschauen und meine Haltung zu verändern, um ihm einen Gesamteindruck meines Körpers zu geben. Als ich dann wenige Minuten später meine Begleitung an den Fußbad-becken antraf, war meine Ego bei 100%, denn besagter Mann kam mir entgegen und grinste mich an, als hätten wir ein Geheimnis, was allerdings von meiner Begleitung nicht wahrgenommen wurde. Am meisten störte mich jedoch eigenlich, dass meine Begleitung jeden Menschen, ob Frau oder Mann mit Blicken fixierte und anstarrte. Nicht aus einer sexuellen Motivation heraus, so versuchte ich mir das jedenfalls einzureden, sondern aus reiner Neugier. Obwohl das Wort Neugier die Gier auf Neues meint, versuchte ich so tolerant wie möglich mit allem umzugehen. Als dann jedoch eine Frau Ü50 die Sauna betrat und sie auf eine Art und Weise in die Richtung meiner Beleitung grinste, die nur vermuten lässt, dass das Grinsen zuerst von ihm kam, da war ich dann endgültig durch und überließ ihr meinen Platz, nachdem sie ein paar Sekunden suchend nach einem freien Platz Ausschau hielt. "Nichts wie weg hier, mit dem will ich nichts mehr zu tun haben, soll er doch die Alte ficken, ich fahr heute Abend nach hause und werde ihn nie wieder sehen. Der Penner soll mich am Arsch lecken und diesmal komme ich nicht mehr zurück. Das war das allerletze mal. Ich bin doch kein Depp!", fingen die Stimmen in meinem Kopf an zu schreien. Mein Körper bewegte sich in rasender Wut grazil auf das Heißwasser-Becken zu und sobald ich meinen Körper in das Wasser tauchte war es mir egal, dass die Tränen kullerten. Sie waren da. Meine Unsicherheit war da. Die Angst war da. Die Wut auf die Angst war da und nichts, aber wirklich nichts konnte mich aus dem Loch holen. Warum mich gerade dieses Starren und dieses Grinsen aus dem Konzept brachte, weiß ich nicht. Ich galube weil er immer sagt, dass er nur ältere Freundinnen hatte und ich fast 6 Jahre jünger bin als er. Ich glaube es liegt daran. In meiner Wut versunken gab ich mich meinen Fanatsien über die beste Art des Abgangs hin und debattierte, ob die Schweige-Nummer mit der Standard Aussage "Es ist nichts, ich muss jetzt nach hause. Ich kann es dir nicht erklären.", oder mit einem richtigen Anfall, gemäß dem Film Wutprobe und "Du verdammter Wichser, weißt du eigentlich was du hier machst! Du behandelst mich wie Dreck! Ich tu alles für dich und was bekomme ich von dir?! Nichts, du Idiot! Du bist nichts wert!" die Richtige wäre.

Als mir dann selber klar wurde, dass das eigentliche Problem darin lag, dass ich ihn ihn verliebt bin und ich das Gefühl habe, dass er sich für mich vor seinen Freunden schämt und mich deshalb nicht als festen Teil in sein Leben lassen will, wurde ich noch wütender und noch trauriger. Wütend auf mich selbst, denn schließlich muss man sich nicht für mich schämen (Siehe Mann in der Sauna!) und traurig, weil ich ständig das Gefühl habe, dass es mir einfach nicht vergönnt ist, eine einfache Romanze anzufangen, in der die Schmetterlinge fliegen und auch mal gerne länger als drei Tage Leben dürfen, bevor alle Blumen welken und Schmetterlinge notgedrungen einen anderen Bauch besetzen. So saß ich da und debattierte im Stillen mit meinen Tränen doch bitte aufzuhören zu fließen und als mein Blick dann auf ihn fiel und er sich zu mir ins Becken setzte, gab es keine andere Möglichkeit, als Tränen hinter einen versteinerten Gesicht zu verstecken. Er bemerkte den Stimmungswandel, allerdings schob ich den Grund vor, dass es mir schwer fällt meinen Freunden dabei zuzuschauen, wie sie ihr Leben mit Dingen verschwenden die ihnen nicht gut tun. Sagt Moi, nackt im Becken mit dem Inbegriff von "Nicht gut tun". So beobachteten wir die Leute bzw er starrte sie an und als ich dann endlich wieder in die Sauna wollte, stand ein markelloser Frauenkörper an der Treppe des Beckens und er starrte und starrte und konnte nicht mehr aufhören. Ich küsste ihn, sagte ihm ich würde reingehen und mit einem Schmunzeln auf den Lippen sagte ich Ihm, er solle doch nachkommen, wenn er mit tarren fertig sei. Boom. 3:1.

Eine spätere Kuscheleinheit bekam ich dann doch noch, als ich ihn bat, mich in den Arm zunehmen, weil es mir einfach nicht gut ging. Das tat es ja auch. Eingewickelt in Frottee Bademantel und Plüschdecke war die Welt aber doch wieder in bisschen besser und so saßen wir in viel zu großen Bademänteln in einer thailändischen Strandhütte mitten in der Sauna. Nur kannte er den echten Grund meine Unruhe nicht. Dass er gesagt hatte, er wolle idealerweise jemanden in seiner Stadt und dass ich tun sollte, was ich mir guttäte. Das hatte ich mir zu Herzen genommen. Dieses Gespräch war zwei Wochen alt und währenddessen hatte ich auch mit jemand anderem geschlafen und nichts gefühlt. Ich hatte mich danach nicht schlecht gefühlt, eher selbstbewusster und stark, als hätte ich in unserer Beziehung jetzt die Oberhand und wüsste, dass ich andere Männer haben kann, wenn es mit ihm und mir nicht klappt. Während der Kuscheleinheit erzähte ich ihm, dass ich jemand anderen geküsste hatte bzw dass ich geküsst wurde. Fast richtig also aber trotzdem nicht die ganze Wahrheit. Muss ja auch mal drin sein, wenn wir schon nicht zusammen sind. Da wurde er stutzig. Ich erwähnte dann, dass er doch gesagt hatte, dass er idealerweise jemaden bei sich haben will und ich seiner Meinung nach tun soll was mir gut tut. Das gefiehl ihm ganz und gar nicht. Und da wusste ich dann, da sind Gefühle im Spiel. Nicht nur bei mir, sondern auch bei ihm. Es war schon am Abend vorher so gewesen als wir Sex hatten. Auf einmal wollte ich weinen. Es war so schön, ihn bei mir zu wissen und seine Augen auf meinem Körper zu spüren. Ich konnte das Gefühl bis eben nicht einordnen, aber ich glaube so fühlt sich Glücksein an. Und als wir dort lagen, er seinen Arm um mich geschlugen, ganz nah an ihn geschmiegt wusste ich, dass alles in Ordnung war und ich mal wieder alles nur in meinem Kopf verdreht hatte. Projektion nennt das meine Therapeutin. Ab da an war alles schön, er sagte mir, wie dankbar er mir ist, dass ich so für ihn da war bzw bin, dass ich ihn wirklich unterstütze und er sehr glücklich ist, dass ich da bin. Das Essen beim Italiener danach war einfach toll und der schönste Moment war, als wir zuhause waren und ich mich mit zu ihm auf die Couch setzte. Ich war noch nicht müde im egensatz zu ihm und scherzte, dass ich jetzt wohl mit seinen Nachbarn eine Sex haben müsste bis ich müde sei. "Sei lieb zu mir und sag sowas nicht. Ich möchte das nicht". Als ich ihm dann sagte, dass ich mit niemand anderem außer ihm schlafen möchte, hätte ich fast ein "Für Immer" dran gehängt, verschluckte es dann aber ganz schnell und verlor mich in seiner zufriedend grinsenden Umarmung. Später im Bett umartmte ich ihn von hintern in der Dunkelheit und dankte ihm dafür, dass er so geduldig mit mir ist. Die Antwort darauf kam promt: "Danke, dass du dich so um mich sorgst". Ich glaube wir ergänzen uns gut, auch wenn er sehr viel Aufmerksamkeit braucht, aber das hatte ich ihm auch während besagter Kuscheleinheit in der Sauna gesagt. Ich glaube mein Freund hatte recht als er sagte, dass ich es mit einem Mann und keinem Jungen zu tun habe. Er ist ein Mann und er macht mich glücklich. Vielleicht nicht für immer aber gerade habe ich das Gefühl, dass man unser kleines Betonei nicht aufschlagen kann. Oder aber meine Schale wird dünner. Die Angst zu zerbrechen und die Angst vor Rührrei auf dem Boden habe ich irgendwie trotzdem. Aber wer weiß, vielleicht ist das auch der freie Fall und der Knall kommt noch. Wie dem auch sei, ich hoffe dass der Fall nicht endet und sich unsere Füße nachts unter Decke im Dunkeln immer wieder finden. Allein dafür hat sich der teure ICE vielleicht schon gelohnt.

 

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