Zwei Schatten in Glanzpapier

Cover
wie-luft-zum-atmen
Veröffentlicht: 03.01.2019 13:38
Aktualisiert: 03.01.2019 13:38
Bewertung:
Deine Stimme wird abgegeben.
Bewertung: 5.0 von 5. 2 Stimme(n).
Klicke auf die Sterne, um den Text zu bewerten.
Kurzbeschrieb:
Gesellschaftskritischer Text zum Thema Weihnachten und Konsum

Text

Zwei Schatten in Glanzpapier

Sie trat hinaus auf die schattenhafte Straße. Ihr Gesicht war hinter einem mächtigen Schall aus fröhlich roten Karos versteckt. Nur die Nase hatte sie nicht recht verdecken können, welche kränklich gegen die Kälte zu rebellieren versuchte. Passanten eilte an ihr wie ein endlos fließender Strom vorbei, während sie noch einen Moment vor der Tür des Geschäftes verweilte, um die daraus strömende Wärme zu sammeln und gegen den schneidenden Dezemberwind zu ziehen.
Was hätte sie in diesem Moment nur für eine kleine Pause getan? Doch sie musste weiter, der nächste Tag würde nicht länger auf sich warten lassen und das Parkett unter dem geschmückten Weihnachtsbaum glänzte noch unberührt voll schamloser Erwartung. Die Liste, noch nahezu unbearbeitet, wog schwer in ihrer Handtasche.

Weiter. Weiter durch die Massen schieben. Weiter Schnäppchen suchen. Weiter kaufen.

Sie tauchte ein; in den rauschenden Strom voll betrunkenem Gelächter und schimpfenden Wörter, gestressten Rufen und einem schrillen Wehklagen über vergriffene Geschenke. Ihr Körper schob sich weiter, zerrte die beiden Einkaufstüten zwischen den vielen Stimmen hindurch. Je näher sie dem Marktplatz kam, desto dichter verschloss sich die Masse vor ihr. Presste sie in eine eiserne Form, welche mit wolligen Mänteln und winzigen Schritten gefüllt zu sein schien.
Nichts Neues, sagte sie sich. Mühsam versucht, ihre innere Stimme vernünftig klingen zu lassen. Wie jedes Jahr musste sie anhalten und höflich fragen. Vorsichtig aus glühenden Gefäßen trinkende Menschen zur Seite schieben.
Nichts Neues, du kennst das schon. Es ist jedes Jahr dasselbe. Ein sich schlängelndes Mantra ihrer Gedanken.

Rechts und links, Holzhäuschen folgte auf Holzhäuschen. Weihnachtliche Verfütterungsstände rangen mit Glühwein- und Sektschenken um die beliebtsten Plätze. Bemüht darum, dem anderen die Kunden abzuwerben. Ihr Blick glitt von den Massen getrieben über die grell beleuchteten Werbeschilder.

„Weihnachtlicher Glühwein- vom Weihnachtsmann höchstpersönlich!“ „Echter Dresdnerstollen- nur bei uns das Original!“.

Sie erkannte die vermenschlichten Schlangen hungriger Weihnachtsliebhaber, all die runden Münzen glänzten golden im rot-grünlichen Tanz der Lichterketten, während sie über die Tresen geschoben wurden. Der verwirrte Duft unterschiedlichster Süßigkeiten eroberte die Luft. Verklebte sie mit Zimt und Waffeln, Fleisch und gefüllten Crêpes gleichermaßen. Schwer ließ er sich auf die Häupte der Menschen nieder.
Ein sonderbarer Geruch.
Ein Geruch, welcher nur zu Weihnachten die reine Verkörperung des Advents zu sein schien. An Wochentagen würden die Menschen ihre edlen Nasen rümpfen. Schimpfen. Meckern. Was stinkt denn hier nur so, würden sie rufen.
Weihnachten. Das nennt ihr im Dezember Weihnachten. Erkennt ihr es nicht?

Ihre Schritte wurden immer drängender. Eilten fort. Flohen. Gestalten aus unheilvollen Wollmänteln schienen sie zu erdrücken, mit ihren eigenen Einkaustaschen zu Boden zu pressen.
Sie bog in eine ruhigere Straße ab, welche in die Unterstadt führte. Ein unbeliebter Ort für Standverkäufer, doch perfekt für die Weihnachtskrippe. Schon allein bei diesem Gedanken zogen sich ihre Mundwinkel freudig in die Höhe. Grauer Esel mit sanften Augen, Ochse von mächtigem Gehörn geziert, junge Ziegen mit geschecktem Fell- und in der Mitte das geschnitzte Jesuskind.
 
Doch schon aus der Entfernung schlug ihr die Ernüchterung mit unbekümmerter Faust in das hoffnungsvolle Gesicht. Eine Schar kleiner Mädchen drängte sich aufgeregt um den verkümmerten Rest der einst stolzen Weihnachtskrippe. Ein graues Pferd und zwei alte Ziegen dösten unter kaltem Laternenlicht vor sich hin. „Streicheln: 50ct / Füttern: 1€“ Die Worte ließen sie abwenden, einen großen Bogen um das Geschehen machen. Sie wollte das Kinderlachen nicht hören, dem Gesang wertlosen Geldes nicht lauschen.

Sie lief weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Steuerte auf das nächste Geschäft zu. Ein kleiner Laden am Straßenrand, von den Lampen nur sanft beleuchtet. Die Schaufenster waren liebevoll gestaltet, in weihnachtliche Töne des dunklen Rotes und sanften Tannengrüns gehüllt. Goldene Sterne von der Decke baumelnd, von unzähligen Christbaumkugeln umrahmt, die Auslage mit Nistelzweigen bedeckt. Dieses Geschäft erschien ihr das ehrlichste von allen zu sein, das ehrlichste unter all den Weihnachtsheuchlern.
Ein Parfumladen, wie sie später erkannte. Die Klingel über der Tür läutete zart, als sie über den weichen Teppich schritt und leise Klaviermusik die restliche Welt verschluckten. Sofort kam eine junge Verkäuferin auf sie zugeeilt, geleitete sie zu den Auslagen der aktuellen Duftkollektion. Edle Fläschen türmten sich in den Regalen und lächelten vornehm mit unverschämten Preisen.

„Wie wäre es denn mit einem Duft für Sie und die Person Ihres Herzens? Ein Parfum gekauft, das Zweite nur zum halben Preis- das ist unser aktuelles Marry-Christmas-Angebot.“
„Marry-Christmas-Angebot?“ Sie war enttäuscht.
„Ja, genau! Schlagen Sie also schnell zu. Es gilt nur noch bis um neunzehn Uhr.“

Da hatte sie sich schon abgewandt, das Leuten der Glocke begleitete sie lächerlich schrill und unecht auf dem Weg in die Dezembernacht.

Was war das nur für ein Laden, welcher mit der Besonderheit des vierundzwanzigsten zwölften ein solch korruptes Spiel trieb? So offensichtlich falsch die Zuneigung der Menschen zu ihren Geliebten ausnutzte. Doch war es wirklich nur ein Laden? Egal, wohin sie blickte: Werbeangebote über Werbeangebote mit Werbeangeboten von noch mehr Werbeangeboten. Jedes Geschäft schien dem Weihnachtsbetrug zu unterliegen. Schlug mit rohem Konsum den Menschen in das liebliche Gesicht. Nutze aus, wo der Geist versagte. Er glaubte, überlegte, falsch dachte. Verwechselte, die Nächstenliebe mit irdischem Geld.

Da sah sie an sich selbst hinunter, betrachtete schweigend ihre gefüllten Einkaufstüten. Beinahe quollen sie über, dehnten sich schwer vor buntem Papier und der Last vergünstigter Liebesbeweise. Die geschriebene Liste wog noch immer schwer in der Manteltasche. Mahnte an. Erinnerte. Mit jedem Gramm geschriebener Worte. Sie setzte die Taschen auf der Straße ab, zog Notizblock und Weihnachtsfüller aus ihrer Handtasche.
Die Worte, welche sie auf das Papier notierte, sollten eine Botschaft für jene sein, welche noch nach ihr die Straße passieren würden.
Das trunkene Gelächter würde auch ihnen folgen, Weihnachtsketten wie Warnlichter über ihnen schreien, der verschwommene Geruch eines falschen Festes in der Nase hängen.

Sie ging nach Hause. Nur zwei Schatten blieben zurück. Zwei Einkaufstaschen und ein kariertes Stück Papier.
Einsam.
Verlassen.
Mitten auf der Straße gelassen.
„Wenn Weihnachten wieder Weihnachten ist.“

 

Kommentare

Noch keine Kommentare vorhanden. Kommentiere den Text über den Kommentieren-Button.