Code:Cloud (Teil 1)

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INSTU
Veröffentlicht: 18.10.2018 20:30
Aktualisiert: 18.10.2018 21:00
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Kurzbeschrieb:
Cloud wacht auf. Er weiss nicht wo er ist und vor allem nicht, was er ist. Was klingt wie der Anfang einer beliebigen Geschichte, entpuppt sich nicht nur als Reise an einen mysteriösen Ort, sondern auch als Tauchgang ins menschliche Selbst.

Text

1

Und da war ich. Ich wachte auf. Meine Lider öffneten sich, ließen einen schwachen Lichtstrahl auf meine Netzhaut fallen. Ich blinzelte. Mein ganzer Körper bebte vor Schmerz. Wo war ich nur gelandet? Ich blinzelte abermals und versuchte, meine Augen zu öffnen, die Umgebung um mich herum zu erforschen. Mein Rachen war ausgetrocknet, die Luft, die mich umgab, roch seltsam steril. Außerdem herrschte Totenstille. Nichts, aber auch gar nichts versetzte die Leere, in der ich mich befand, in für meine Ohren wahrnehmbare Schwingungen. Ich fühlte mich schrecklich. Es war ein seltsamer Schmerz. Obwohl ich meine Gliedmaßen deutlich spüren konnte, fühlten sie sich völlig anders an als gewohnt. Als wären sie gar nicht da! Da war es wieder! Licht! Meine Augenlider begannen, sich allmählich vollständig zu öffnen. Um mich herum: Nichts. Nur Licht. Nicht zu beschreiben. Diese Stille, diese Leere. Wo war ich? “Wer bin ich?”

„Cloud.“

Ich erschrak fürchterlich. Mein ganzer Körper zuckte zusammen. Wieder verspürte ich schreckliche Schmerzen. Als würde ein Feuer - so heiß wie tausend Sonnen - in meinem Brustkorb lodern und mich von meinem Innersten her verbrennen.

“Wer bin ich?” fragte ich mich diesmal bewusst, gespannt auf die Antwort.

“Cloud.”

Cloud. Cloud. Was mochte dieses einfache, aber doch seltsame Wort wohl bedeuten? Eines war mir klar: Mein Name war nicht Cloud. Ich wusste es einfach. Aber wie hieß ich dann. “Cloud?”

“Cloud-171b.”

Diese Stimme. Sie ließ mir einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen und all die tausend, winzigen Härchen auf meinen Armen zu Berge stehen. Es fühlte sich jedenfalls so an. Denn sehen konnte ich weiterhin gar nichts. Nur Licht. Nur Weiß.

“Cloud-171b.”

Wieder diese Stimme. Sie war unbeschreiblich schön und perfekt. Aber gerade durch diese Vollkommenheit klang sie unnatürlich, unheimlich.

Dann geschah gar nichts. Nichts im Nichts. Ich wollte gerade zu einer Frage ansetzten, als ein ohrenbetäubend schriller und hoher Ton die unheimliche Stimme, welche sich über das Nichts gelegt hatte, durchbrach. Ich hielt mir die Ohren zu, so fest es ging. Oder tat ich es doch nicht? Wieder konnte ich etwas fühlen, aber nichts sehen. Da war er wieder. Dieser schrille Ton! Und der Schmerz. Als würden tausend Messerstiche mein Trommelfell zum Platzen bringen und bis tief in meinen Kopf vorstoßen. Die Szenerie verstummte abermals. Die unendliche Stille eroberte langsam, aber sicher, wieder ihren angestammten Platz zurück. Dann plötzlich, aus dem Nichts, aus dem Nirgendwo, Blau!

Blau!

Ein unscheinbarer, tiefblauer Punkt, mitten im Weiß des Nichts. Er wurde immer größer und heller. Seine Umrisse waren absolut perfekt, ohne jeden Makel. Nach wenigen Augenblicken verzog sich der Punkt auf magische Weise zu einer absolut geraden Linie. Als hätte jemand den Ring um die blaue Fläche herum zerschlagen, um eine neue Form zu bilden. Die Linie wurde immer dünner und schmaler, bis sie schließlich verharrte, als wäre sie festgefroren. Festgefroren im Niemandsland. Im Nichts.

“Hallo!”

Die gleiche Stimme wie vorher. Nur dieses mal wusste ich, woher sie kommen musste: Die blaue Linie vor mir bewegte sich, synchron mit den Worten der Stimme, wie eine Welle auf und ab.

“Cloud-171b. Bestätigen!”

“Be… stätigt!”, stotterte ich.

Ich hatte keine Ahnung, was ich hätte sagen sollen. Was würde nun geschehen?

Stille. Nichts. Weiß. Oder doch nicht?

 

Um mich herum löste sich das weiße Nichts langsam, aber sicher, auf, während die blaue Linie nach wie vor ihre wellenförmige Bewegungen ausführte und gleichzeitig an ihrer angestammten Position, direkt vor meinem Gesicht, verharrte. Plötzlich stand ich inmitten eines absolut runden Zimmers. Es hatte makellose, glatte und weiße Wände, die nur an einer Stelle von einer rechteckigen, gebogenen Fensterscheibe durchbrochen wurden. Der Boden bestand aus seltsam durchsichtigen, bienenwaben-förmigen Glasplatten. Eine Lichtquelle schien sie von unten anzuleuchten und tauchte das ganze Zimmer in einen unheimlich anmutenden Blauton. Die Decke des Ganzen war, wie zu erwarten, weiß.

“Willkommen. Sie befinden sich in Sektor 1079c. Program-Termination enabled.”

Die blaue Linie vor mir, verdichtete sich zu einem Punkt, welcher sich anschließend, wie von Zauberhand, in Luft auflöste. Da war ich also. Alleine in einem Zimmer. Mehr wusste ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war, wer ich war oder sogar was ich war. Ich fühlte jedes meiner Körperteile ganz deutlich, aber sie waren nicht da, ich konnte sie nicht sehen. Ich versuchte mich zu bewegen. Ich dachte an die Fensterscheibe, die vor mir in die Wand eingebaut worden war, und ehe ich mich versah, stand ich unmittelbar vor ihr.

Die Fensterscheibe war äußerst seltsam: Sie eröffnete mir einen Blick, auf unendlich viele… Zahlen. Überall Einsen und Nullen, inmitten einer riesigen, weiß und blau gefärbten Halle. Wo war ich bloß gelandet? Plötzlich erklang wieder dieser hohe Ton, dieses schreckliche Geräusch. Mein ganzer Körper zitterte, für einen Moment konnte ich mich nicht bewegen. Es fühlte sich an, als wäre ich an einer Stelle festgefroren. Die schöne, perfekte Stimme, die aus dem, inzwischen verschwundenen, blauen Punkt gekommen war, verkündete völlig emotionslos: “Fehler. Fehler. Alarm. Fehler.”

Um mich herum löste sich der Raum, in dem ich mich befand, allmählich auf.Ich schwebte. Ich schwebte, inmitten von Zahlen, Ziffern in allen erdenklichen Farben. Sie schimmerten mal blau, mal grün, mal rot. Eins, Null, Eins, Null, Eins, Null. Ich begann, wie von alleine durch diesen Raum, diese riesige Halle, an den vielen Zahlen vorbei, zu bewegen, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes gemacht. Es war ein unglaubliches Gefühl. Als könnte ich fliegen. Genau gesagt tat ich das ja auch. Vor mir verformten und verfärbten sich die unzähligen Nummern praktisch im Sekundentakt. Sie bildeten Tunnel, Quader, Kreise, Kegel… ganz einfach jede Form, die man sich vorstellen konnte. Obwohl jede einzelne Null, jede einzelne Eins, etwas anderes machte, sich anders durch die unendliche Weite bewegte, sah es aus, als wäre jede einzelne Ortsveränderung, jeder Farbwechsel geplant, von irgendwoher gesteuert. Ich hatte komplett die Übersicht verloren, hatte keine Ahnung, wo ich war. Ich blieb stehen, sah mich um, versuchte eine Regelmäßigkeit, einen bestimmten Punkt ausfindig zu machen, an dem ich mich orientieren konnte. Doch ich konnte nichts entdecken. Vor mir baute sich langsam eine Plattform auf. Sie schien sich aus den unendlich vielen Ziffern zu bilden. Langsam verdichtete sie sich und begann weiß zu schimmern. Sofort stand ich auf der Plattform.

Ich war so verwirrt, ich konnte kaum atmen.

Langsam bildeten sich weitere Objekte, die sich mit der Plattform zu verbinden schienen. Ich hatte keine Ahnung, was es für Objekte waren, geschweige denn, welche Funktion sie wohl haben mochten. Nun begann sich auch eine menschliche Silhouette mitten auf der weißen Plattform zu bilden. Seltsamerweise wurden für diese Form lediglich die blauen Ziffern verwendet. Außerdem schwebten seltsam geformte Sonderzeichen plötzlich aus allen Richtungen der unendlichen Weite heran, um sich mit den vertrauten Einsen und Nullen zu verbinden.

Ich hatte das Gefühl, dass genau diese Sonderzeichen den Unterschied zwischen den unzähligen anderen Objekten und der menschlichen Umrissform definierten. Allmählich begann sich, aus der anfänglich flachen Silhouette, ein dreidimensionales Abbild eines Menschen zu formen. Er schimmerte blau und war weder weiblich noch männlich. Sein Geschlecht, sein Aussehen, sein Schimmern, all das wirkte seltsam unnatürlich. Gewiss war es ein Mensch, aber kein Individuum mit eigenem Charakter, mit Alleinstellungsmerkmalen. Mein Gegenüber sah aus wie ein absolut makelloses Exemplar der Rasse “Homo Sapiens Sapiens”. Nur fehlte ihm das Menschliche.

“Cloud-171b. Willkommen!”

Er hatte die absolut gleiche, schöne, perfekte Stimme, die mir schon vorher begegnet war. Auch jetzt lief mir wieder ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

“Leider ist dem System ein Fehler unterlaufen. FehlerCode:ac13jhh8. Gehen Sie durch das Portal und Sie werden zu ihrem Bestimmungsort transportiert.”

“Mein Bestimmungsort?” fragte ich verdutzt.

“Tetrania. Wie jedes Programm werden sie an einen guten Ort zum Leben geführt. Schreiten sie einfach durch das Portal vor ihnen!”

Einige der Objekte auf der Plattform öffneten sich. Dutzende Lichtstrahlen bahnten sich ihren Weg nach draußen und schlossen sich zu einem gleißenden, weißen Punkt zusammen, der von einer blauen Linie umrahmt war. Das Innere des Punktes schien sich wellenförmig zu bewegen.

“Los. Haben Sie Mut. Cloud-171b. Schreiten Sie einfach durch das Portal vor Ihnen.” sagte der Mensch vor mir, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

Was sollte ich tun? Sollte ich durch das Portal schreiten? Sollte ich zu diesem Tetrania? Oder sollte ich besser flüchten? Weg von dieser Plattform. Hinein in die tiefen Weiten der Ziffern und Farben. Wo war dieses Tetrania? Oder was war es überhaupt? Ein Ort?

Unendlich viele Fragen schwirrten in meinem Kopf herum. Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte. Ich war hilflos.

 

Kommentare

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Am 03.02.2019, tamara18
Hallo INSTU,
Deinen Text finde ich sehr gut,
Aber er erinnert mich zu sehr an den Film Tron.
Sont alles gut!
LG,
tamara18
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Am 23.10.2018, mopsi
Hallo INSTU
Deine Geschichte gefällt mir sehr gut. Sie ist sehr spannend geschrieben. Genauso gefällt es mir, wie du alles beschreibst.

Freue mich schon auf den nächsten Teil.

Gruss mopsi