Der Nachtzug

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Cyrill.P.Kerry
Veröffentlicht: 16.07.2018 23:52
Aktualisiert: 17.07.2018 07:00
Kategorie: Abenteuer
Tags: Nacht, Zug
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Kurzbeschrieb:
Mit etwas Verspätung hier das Release meiner Geschichte "Der Nachtzug". Für konstruktive Kritik bin ich immer offen. :)

Text

Ich sitze an meinem bescheidenen, kleinen Küchentisch, während ich versuche, meine Gedanken und meine Erlebnisse in Worte zu fassen und sie auf meinem noch leeren, karierten Notizblock nieder zu schreiben. Keine leichte Aufgabe, wie ich feststellen muss. Wie schon erwähnt, mein Name ist Brendon und ich befinde mich auf einer Geschäftsreise, die mich beinahe um die ganze Welt geführt hatte. Meines Erachtens, habe ich bereits ein etwas höheres Alter erreicht. Mitte Vierzig bin ich und trotzdem, wie ich zumindest finde, recht agil und fit auf den Beinen.

Ich blicke hinaus in die Weite. Landschaften, bestehend aus grossen Feldern, bespickt mit angebautem Weizen oder Mais, ziehen an mir vorbei. Auch Wälder schleichen sich ab und zu in die Szenerie. Seltener tauchen grössere Städte auf, anstelle von ihnen sind da kleine Bauerndörfchen, welche grösstenteils verlassen wirken. Die aufgehende Sonne taucht den Himmel in ein feuriges Orange. Einzelne Sonnenstrahlen suchen ihren Weg direkt in mein Abteil, blenden mich, spiegeln sich in der Vase, in der die welkenden Rosen stehen. Es ist bereits Morgen geworden und ich sitze in meinem Geschäftsanzug in meinem Abteil.

Wenn ich so zurückdenke, ist es erstaunlich, wie vielen Leuten ich in diesem Nachtzug bereits begegnet bin. Menschen aus dem weiten Norden, mit ihren Faserpelzen, dicken Fellmützen und ihrer schneeweissen Haut. Menschen aus dem Süden, leicht bekleidet, manche einfach, mit T-Shirt und kurzer Hose, manche andere wiederum trugen wunderschöne Kleider, bespickt mit Perlen und Diamanten aus dem Orient. Die jungen, etwas dunkleren Damen waren sich nicht zu schade, ihre geschmeidigen Körperformen durch enge Seidenstoffe zu betonen. Auch Menschen aus noch südlicheren Regionen traf ich in diesem Zug. Händler, Schriftsteller, Gastronomiebetreiber und viele andere, natürlich allesamt gekleidet in traditionellen, afrikanischen oder asiatischen Kleidern. Fussballer, Leute aus der Ober- wie auch aus der Unterschicht, Börsenmakler, Schwarzmarkthändler, Therapeuten, Architekten, es gab nichts, was es nicht gab.

Eines späten Abends, es war der zweite Tag, an dem ich mich im Zug befand, klopfte es auf einmal an der Tür meines Abteils. Ich war keineswegs überrascht, denn der Portier kam des Öfteren vorbei, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war und ob der Gast auch alles hatte, was er für die lange Reise brauchte. Dieses Mal war es aber anders. Nicht der gewohnte, überfreundliche Portier im roten Anzug, geschmückt mit goldenen Ketten und einem flachen Hut, stand vor mir. Nein, eine kleine, braunhaarige, junge Dame südländischer Abstammung sah mich mit glänzenden Augen an. Sie kam aus Spanien, Italien oder Griechenland, dies sah man ihr direkt an, mit ihrem südländischen Groove, denn sie hatte, wenn sie sprach oder durch ihren positiv eingestellten, fröhlichen Charakter. Natürlich zögerte ich nicht lange und bat sie um Eintritt. Als sie sich hineinbegab bot ich ihr, so gastfreundlich ich bin, einen Kaffee an. Mit einem geschmeidigen «Gracie», nahm sie das Getränk an. Meine Vermutung hatte sich also bewahrheitet, sie kam aus Italien.

Glücklicherweise spreche ich ohne Probleme Italienisch, so führten wir also eine lange, nette Unterhaltung. Wir sassen auf der rotledrigen Zugbank, welche sich vor meinen Schränken befand und redeten fast ohne Unterbruch. Jedenfalls bis sie sich etwas vorneigte, meinen Kopf an ihren heranzog und sich unsere Lippen berührten. Auf den weiteren Verlauf dieser Begegnung gehe ich jetzt nicht ein. Den Rest des Tages verbrachten wir zusammen. Ich spürte eine solch immense Verbindung zwischen uns, dass ich ihr fast alles aus meinem Leben erzählte. Wie konnte ich nur wiederstehen, bei solchen hellscheinenden Augen, die einem versprachen, ihnen alles anvertrauen zu können? Dass dies ein Fehler war, konnte ich zu dieser Zeit noch nicht wissen.

Sie ging, so schnell sie gekommen war. Als unser Zug am dritten Tag in Triest hielt, stieg sie aus und liess mich wieder alleine. Doch so alleine blieb ich nicht. Nach einigen kleinen, aber anstrengenden Geschäftsgesprächen in Triest und einer Erholungspause in meinem Abteil am Abend, klopfte es erneut an meiner Tür. Wie am Tag zuvor erwartete ich den Portier, wie er mir vielleicht ein Gläschen Sekt anbot oder ein Häppchen im Speisewagen. Ihr könnt euch natürlich denken, so war es nicht. Eine schwarzhaarige, vor Schönheit strahlende Österreicherin in einem engen, feurig roten Kleid stand vor mir. Ihr Lächeln zog mich auf der Stelle in den Bann. Auch sie lud ich in mein Abteil ein, nicht auf einen Kaffee, sondern auf ein Glas eines starken Glenfiddichs, welchen ich von einem schottischen Händler geschenkt bekommen habe. Es reichten drei Gläser bis es zur Sache ging. Von da an wurde die Sache merkwürdig.

Nachdem sie sich am nächsten Morgen in Wien von mir verabschiedet hatte, verspürte ich ein grummeliges Gefühl in der Magenregion. Von allen Seiten her fühlte ich mich beobachtet. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie die Möglichkeit, zwei Nächte hintereinander mit zwei unterschiedlichen Damen zu verbringen. Und dies schaffte ich in den letzten zwei Nächten ohne grossen Aufwand. Beschliessend, den Gedanken abzutun, begab ich mich in die Grossstadt von Wien, um dort weiter meinen Geschäften nachgehen zu können. Erst spät begab ich mich zurück zum Zug, der beinahe schon Richtung Budapest Abfuhr. In dieser Nacht war es am schlimmsten. Auf meinem Weg durch die Korridore verspürte ich vereinzelte Blicke im Nacken, an den Wänden taumelten Schatten. Ich war wieder einmal meiner schlimmsten und einzigen Angst begegnet, meinem Verfolgungswahn. Ich wusste, von nun an war ich angreifbar, mehr denn je.

Mein von der Arbeit schlaffer Körper schlängelte sich neben den Abteilen hindurch. In den Silhouetten erkannte ich kleinere Gelage, die noch im Gange waren, fröhliche Liebesspiele, oder junge Damen und Herren, die sich schmerzverzerrend ihre Seele aus dem Leib weinten. Diese Mischung aus all den Geräuschen, diesen Wirrwarr, liess meinen Verstand noch mehr verwirren. Mein Kopf drehte sich, mein Herz raste, ich drohte zu kollabieren. Da kam ich endlich an meinem Abteil an. Ich war dermassen überrascht, von der Person, welche sich bereits da befand und anscheinend auf mich wartete, dass ich mich meiner Paranoia nur noch halb bewusst war und sie schlussendlich ganz verflog. Vor mir stand eine eher kleine, blonde Dame, enge Augen besitzend und mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Sie sah aus, wie eine Katze, eine wilde, flinke Katze.

Auch diese Begegnung endete wie die bisherigen. Nur dass sie, bevor sie ging einen zwei Sätze mit ihrer rauchigen Stimme von sich gab, die ich lange nicht vergessen werde: «Lauf weg, bei deiner nächsten Gelegenheit, aber nicht in Zagreb! Bei der nächsten Haltestelle darfst du den Zug nicht verlassen, versprich es mir!» Sie sagte diese Sätze mit Sehnsucht in den Augen, als ob sie sich wirklich Sorgen gemacht hätte. Ich könnte schwören, dass sie sich danach eine Träne von der Wange wischen musste. So genau kann ich das aber nicht sagen, da sie sich gleich danach umdrehte und den Zug verliess. Hätte ich nur auf sie gehört. Der nächste Halt war in der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Dort sollte ich also nicht raus? Ich konnte unmöglich am Abend meines wichtigsten Geschäfts einfach im Zug bleiben.

Der Zug fuhr weiter, durch den Regen, der von der Adria über den Balkan getragen wurde. An diesem Tag schlüpfte ich in meinen teuersten Smoking, den ich besass. Er war schwarz, vom Kittel bis zur Hose. Darunter trug ich ein weisses Hemd, verziert mit einer Fliege. Die Haare habe ich zurückgekämmt und natürlich durfte das beste Parfum welches ich besass, nicht fehlen. Das Treffen fand erst mitten in der Nacht statt. Zum Glück machte der Zug in Zagreb eine Ruhepause, so konnte ich ohne Probleme meinen Geschäften nachgehen. Dachte ich zumindest.

Ich wollte mich gerade auf den Weg machen, als es an meiner Tür klopfte. Ich machte die Tür des Abteils auf und sah eine junge, klein aber feine Kroatin vor mir stehen. Von da an wurde mir bewusst, irgendetwas stimmte hier nicht. Sie hatte blond, braun gemischtes Haar und grüne Augen. Ihre Lippen waren dunkelrot mit Lippenstift eingefärbt, als hätte sie gewusst, dass ich auf solche Dinge stehe. Ohne uns irgendwie kennenzulernen, begann sie mich direkt zu berühren, zu streicheln und auf mich einzureden. Dann packte sie mich, schloss hinter uns die Türe zu und begann, mich zu küssen. Ich war über die schnelle Vorgehensweise dieser Frau so perplex, dass ich sie wegstiess, aus dem Abteil rannte und schliesslich aus dem Zug. Da standen sie. Drei Autos, neun Männer in Anzügen. Meine ganze Reise über hatte ich gehofft, dass sie mich nie finden würden. Voller Panik und Ratlosigkeit, was ich denn nun hätte tun sollen, sprintete ich wieder zurück in den Zug und zu meinem Abteil. Die junge Dame war glücklicherweise bereits verschwunden. Ich schob mein Sofa an die Tür und verbarrikadierte sie zusätzlich mit Stühlen, Büchern und Kleidern, alles was ich fand. Diese Nacht war unruhig für mich. Immer wieder hörte ich Schritte im Korridor oder draussen am Fenster. Auch wenn ich die Vorhänge gezogen habe, litt meine Paranoia sehr darunter. Trotzdem schaffte ich es dann irgendwie einzuschlafen.

Seit dieses Vorfalls sind jetzt mehrere Tage vergangen und der Zug war bereits wieder auf dem Weg Richtung Süden. Ich sitze an meinem bescheidenen, kleinen Küchentisch, während ich meine Worte, die ich hier auf Papier gebracht habe, sorgfältig durchlese. Keine leichte Aufgabe, der ich mich gestellt habe. Ich blicke hinaus in die Weite. Landschaften, bestehend aus grossen Feldern, bespickt mit angebautem Weizen oder Mais, ziehen an mir vorbei. Auch Wälder schleichen sich ab und zu in die Szenerie. Seltener tauchen grössere Städte auf, anstelle von ihnen sind da kleine Bauerndörfchen, welche grösstenteils verlassen wirken. Ich geniesse den Geschmack meines starken Espressos in meinem Mund, während ich dem Spektakel der Natur zusehe. Da klopft es plötzlich an der Tür.

Kommentare

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Am 17.08.2018, Cyrill.P.Kerry
Hallo ihr beiden

Vielen Dank für euer tolles Feedback, das freut mich wirklich sehr. :)


LG Cyrill.P.Kerry
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Am 09.08.2018, Taff8
Hey Cyrill.P.Kerry

Eine sehr interessante Geschichte.
So wie die Geschichte geschrieben ist, hat man als Leser das Gefühl direkt dabei zu sein.
Ich finde, die Atmosphäre mit dem Zug ist ebenfalls sehr gut gewählt :)

Lg Taff8