Dreambrothers (Kapitel 16)

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Cyrill.P.Kerry
Veröffentlicht: 28.06.2018 22:07
Aktualisiert: 09.07.2018 01:59
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Kurzbeschrieb:
Ein Anruf seiner Freundin reisst David aus seiner Tagträumerei, nicht ahnend, bald vor einer schwierigen Entscheidung zu stehen.

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Text

«Ja, hallo?», fragte David vorsichtig in den Hörer hinein. Lauryn redete nicht lange um den heissen Brei herum und begann direkt loszubrüllen: «Wo zum Teufel bist du jetzt schon wieder, David? Komm sofort nach Hause, ich muss mit dir reden!» David gab seine genauen Koordinaten an, worauf er sich ein «Was zum Geier machst du denn an der Werfner Street?» von Lauryn einfing. Er entschuldigte sich abermals für seine Verspätung und hoffte, dass seine Freundin nicht allzu angereizt war. So legte er auf, drehte sich um 180 Grad und bewegte sich in die andere Richtung, der Werfner Street entlang, zurück in die Stadt.

Vor ihm erstreckte sich die Strasse, dicht befahren von Autos, welche versuchten, von der Autobahngeschwindigkeit herunter zu bremsen, um nicht geblitzt zu werden. Viele von ihnen hupten ungeduldig, wartend darauf, dass das Licht an der Ampel wieder auf grün wechselte. Nur um schlussendlich nach 100 Metern wieder an der nächsten Ampel halten zu müssen. So war das nun mal im Feierabendverkehr. Auch die Sonne neigte sich dem Feierabend zu und glitzerte zwischen den Hochhäusern, Bäumen und historischen Bauten hervor. Sie sah aus wie eine feuerrote Kugel, stehend in Flammen, die wild um sie herumtanzten. Hin und wieder waren Möwen zu hören, die sich in den letzten Sonnenstrahlen auf den hohen Dächern sonnen wollten. Eine kühle Abendbrise strich durch Davids Haar. Da fragte er sich plötzlich: War er wirklich so lange weg? Die Zeit schien an diesem Tag kaum vorüber zu gehen, so viel hatte er erlebt. Er hatte schon fast vergessen, wie kaputt seine Beine von den ganzen Strapazen mit dem Fluss waren. Vorsichtig zog David die Hosenbeine seiner neuen Jogginghose hoch, die er von Hallway bekommen hatte. Ein Schmerz durchfuhr ihn, als er das Bild seiner mit weissen Binden umwobenen Beine betrachtete, aus denen eingetrocknetes Blut quoll. Von diesem Moment an bezweifelte David, dass Hallway tatsächlich ein Arzt war.

Halb humpelnd schritt er weiter die, immer dunkler werdende Strasse entlang. Dabei entdeckte er sogar Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Ein riesiger Kinokomplex, eingepfercht in einem hohen Wolkenkratzer schien ihm entgegen, daneben diverse Kunsthallen, welche irgendwelche Steinplatten und Gemälde ausstellten. Auch Discos, Bars und Restaurants reiten sich am Rand der Werfner Street auf, aus denen bereits Musik und johlendes Gelächter strömte. Hier musste David unbedingt mit Lauryn vorbeikommen, ihr hätte dies bestimmt gefallen. Aber auch nur, wenn sie ihn noch wollte.

Die letzten Meter seiner Heimreise bestritt David im Halbspurt. Zum einen hatte er kein grosses Interesse daran, in der kommenden Dunkelheit von einem Delirium-Agenten angegriffen zu werden und zum anderen, hatte er ein merkwürdiges Grummeln im Bauch, wenn er daran dachte, dass Lauryn mit ihm reden wollte. Seiner Erfahrung nach zu urteilen, hiess das bei ihr nichts Gutes, nie. Schon nur beim Gedanken an das auf sich wartende Gespräch, bekam David Herzrasen. So bewegte er sich zwischen den grossen Hochhäusern hindurch, halb gehend, halb rennend. Die Sonne verschwand immer mehr am Horizont und hinterliess immer grösser werdende Schatten hinter jedem Gebäude. Sie zogen sich lang, bahnten ihren Weg durch die Strassen, bis sie schliesslich innig miteinander zusammenschmolzen und den Beton in ihre Dunkelheit einhüllten. Auch der Mond war bereits in Form einer Sichel am Himmel zu sehen. Er leuchtete hell auf die Stadt hinab, wie ein Beobachter, der alles sehen, beobachten und wissen konnte.

David bog in die Einfahrt seines Quartiers ab. Der letzte Bus kam ihm gerade entgegen. Aus dem Fenster winkte ihm jemand energisch zu. Es war Fred vom Champagnerladen neben seiner Wohnung. Um seinen Gruss noch kurzfristig erwidern zu können, hob David kurz die Hand, ohne seine Miene zu verziehen. Es war nicht viel, aber er konnte erkennen, dass sich Fred dessen genug gab, friedlich lächelte und weiterhin stehend aus dem Fenster starrte. David fragte sich, wohin denn Fred zu dieser späten Uhrzeit noch hinwollte. Er musste es ja nicht verstehen. Sein Nachbar machte ab und zu so oder so merkwürdige Dinge. Einmal hatte David ihn dabei beobachtet, wie er sich nach draussen begab, einfach dastand und nichts tat. Er stand einfach da. Er hatte nicht einmal eine komfortable Stellung eingenommen. Ganz verkrampft stand Fred da und beobachtete das Geschehen auf der Strasse. Es tat schon fast weh, ihm dabei zu zusehen. Dann ging er hinein, legte seinen Morgenmantel ab, zog seinen Anzug an, den er für das tägliche Geschäft brauchte, und stand erneut hinaus. Dieses Mal mit einer dicken Zigarre, die er ruhig angelehnt an das Geländer paffte. Sein Anzug war komplett schwarz, sogar das Hemd und die Krawatte, die er dazu trug, hatten diese triste, langweilige Farbe. Nur seine Hosen hatten neben dem schwarzen Stoff noch hell glitzernde, weisse Streifen. Fred behauptete immer, dies seien waschechte Diamanten gewesen. Kein Wort glaubte David ihm. Schon nur wie er ihm das erzählte, mit seinem ungeheuren, verschmitzten Lächeln. Hingegen konnte einwenig Wahrheit dahinterstecken. Schliesslich musste er ein Vermögen mit seinem Geschäft verdienen. Ein Vermögen, welches er mit niemandem teilen konnte. David sah seinen Nachbarn Fred nämlich selten unter Gesellschaft. Weder Frau noch Mann betraten sein Haus und dennoch verspürte der Mann nicht die geringste Einsamkeit. Manchmal aber sah David ihn mit frisch aussehenden weissen Rosen aus dem Haus spazieren und den nächsten Bus nehmen. Dann sah er ihn für einige Tage nicht mehr. Ein merkwürdiger Typ, fand David. Er fragte sich welchem seiner merkwürdigen Gedankenstränge Fred wohl entspringen mochte.

Mit zittrigen Knien stieg David die Treppe zur Haustür hinauf. Er hoffte dieses Mal einen Schlüssel dabei zu haben. Prüfend und gleichzeitig hoffend, dass dies der Fall war, steckte er seine Hand in den Hosensack und tappte ins Leere. Mit seiner Hand fasste sich David an Kopf. Wie konnte er nur so bescheuert sein und immer alles vergessen? Zugegebenermassen, waren die letzten Tage nicht gerade einfach für ihn. Da konnte man schon mal etwas vergessen. David klingelte, denn schliesslich war Lauryn zuhause, um ihm die Türe aufmachen zu können. Es dauerte nicht lange, bis sie den Knopf drückte und David eintrat, ohne irgendein Wort von Lauryn durch die Fernsprechanlage. Während David die Treppe zu seiner Wohnung hochlief, zitierten seine Hände. Er ahnte, dass das Gespräch mit Lauryn nicht gut ausgehen konnte. Bestimmt hatte er irgendeine Möglichkeit, das Gespräch zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Denn schliesslich entsprang sie seines selbst. Nur verstand er noch zu wenig davon, um diese Angelegenheit so regeln zu können. Wo waren seine Freunde nur, wenn er sie mal brachte?

Vorsichtig öffnete er die Tür. Lauryn sass mit dem Kopf in die Hände gestützt am Esstisch. Vor ihr lag ein halb ausgegessener Teller, daneben ein Topf halbvoll gefüllt mit bereits kalter Lasagne. Normalerweise wartete sie immer auf ihn, doch an diesem Tag war alles anders. Als er nähertrat, blickte sie auf. Ihr Gesicht war von Tränen übersät und ihr Makeup war verschmiert. Trotzdem sah sie wunderschön aus. Ihre blonden Haare leuchteten durch den Raum. Sie hatte ihre Strähnen nach hinten gebunden und einen kleinen Zopf aus den Haaren gemacht, die sonst zu viel auf ihrem Kopf gewesen wären. Der kleine Zopf hing ihr neben dem offenen Haar herunter. Sie war nie zufrieden mit ihrer Frisur. Wahrscheinlich nicht einmal an diesem Tag, obwohl ihre Haare noch nie so schön aussahen. Langsam und mit zittrigem Körper, stand sie auf. Sie trug ein weisses Top, welches ihren Vorbau markant betonte. Auch die engen Jeans, die sie einmal von David geschenkt bekommen hatte, betonten die Form ihrer Beine. Am liebsten wäre David wieder aus der Wohnung rausspaziert. Wie sollte er sich bei einer solch wunderschönen Frau konzentrieren können?

«Wo warst du nur?», fragte sie und schritt auf ihn zu. Ihre dunklen, grünen Augen funkelten. David durfte ihr um keinen Preis die wahre Geschichte erzählen. Nicht nur, weil Lauryn ihm immer noch nicht geglaubt hätte. Wenn sie es begriffen hätte, wäre das ganze Delirium in Gefahr und er wäre vermutlich gestorben, nicht nur im Delirium, sondern komplett. Verzweifelt dachte er also nach, was er seiner Freundin vorgaukeln konnte. Er hasste es, sie anzulügen. Doch es war bitter nötig, schliesslich ging es um sein Überleben und die Hoffnung auf Normalität, wenn David überhaupt wusste, was Normalität für ihn bedeutete.

«Ach komm, lass es!», rief Lauryn aus, als David seine Lippen bewegte und versuchte, irgendetwas hervor zu stammeln. Verwirrt blickte er ihr in die Augen. Dann schnaubte sie verächtlich, kehrte ihm den Rücken zu und lief in Richtung Esstisch zurück. David schaffte es gerade noch, sie festzuhalten, doch sie schlug mit einem Hieb seinen Arm weg und setzte sich erneut an den Tisch. Behutsam griff David nach einem Stuhl, um sich neben Lauryn zu setzen. Neue Tränen füllten ihre Augen und rannen ihr über die Wangen. Schluchzend sagte sie zu ihm: «Wenn du eine andere hast, dann sag es einfach. Die letzten Tage warst du so seltsam zu mir. Nie warst du da, nie hast du mir erklärt, was eigentlich los ist. Dann kamst du mit dieser Lüge mit diesen Anzugmännern. Sag mir die Wahrheit David!» Doch alles was er auf ihre Anschuldigungen antworten konnte, war ein stumpfes «Ich kann es dir nicht sagen.» Lauryn legte die Hände vor ihr Gesicht und begann noch einmal richtig zu weinen. Da sah es David ein. Auch wenn er diese bitterharte Realität nicht wahrhaben wollte, es war vorbei. Er musste es beenden, damit er aus dem Delirium ausbrechen konnte. Er fasste diesen Entschluss, um zu überleben, musste er ausbrechen, aufwachen aus diesem endlos erscheinenden Traum. Sobald er die Sache mit Lauryn beendet hatte, gab es so niemanden mehr, dem es veranlasste, da zu bleiben.

Lauryn wollte nicht aufhören in ihre kleinen, schön weichen Hände zu weinen. Sie sah kaum noch hoch und hielt ihr Gesicht weiterhin in den Händen verborgen. Es war ein Bild, welches sich David nicht länger antun konnte. Jede Träne, die ihr runterlief, versetzte ihm einen Stich, mitten ins Herz. David hasste es sie so zusehen. Immer hatte er gehofft, dass der Auslöser für ihre fast wöchentlichen Krisen nicht er war. Doch dieses eine Mal, dieses eine Mal, musste er diesen schmerzvollen Anblick ertragen, mit all seiner Stärke. Mit dem Rest der Stärke, die er nach den letzten Vorkommnissen noch aufbringen vermochte.

Einige Minuten sassen die beiden Zerstrittenen da. Die Eine weinend, der andere zurückgelassen auf seinem Stuhl, wissend, etwas zu verlieren, was eigentlich gar nie da war. Alles, Lauryn eingeschlossen, gehörte seines eigenen, fand den Ursprung in Davids Kopf. Es war nicht echt, nichts davon. Nicht die Liebe, nicht die zärtlichen Nächte, die er mit Lauryn verbrachte, nicht die ganze Hingabe, die beide füreinander aufbrachten. All die schönen Momente mit ihr, fanden nur in Davids Kopf statt. Dies zum ersten Mal richtig zu realisieren, liess David in einen Schockzustand versetzen. So sass er wie gelähmt da und lauschte dem schmerzverzerrenden Weinen.

Als es für David unerträglich wurde, beschloss er, diese theatralische Szene zu beenden. Er schloss kurz die Augen, atmete tief durch, griff nach ihren Händen, welche sich nun wieder auf dem Tisch befanden, und brach die Stille: «Lauryn, ich liebe dich über alles. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich diese Entscheidung schmerzt. Aber es gibt da eine Sache, die muss getan werden. Du kannst es nicht verstehen, da darfst es nicht verstehen. Es ist vorbei.» Der zweitletzte Satz war zu viel, das ahnte David schon, als er ihn aussprach. Lauryn stand auf, scheuerte ihm eine mit der Handfläche und fügte ein «Bitte geh jetzt» an. Dann lief so davon, in ihr eigenes Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

Frustriert aber auch erleichtert, begab sich David auf die Suche nach seinen wichtigsten Sachen, stopfte diese in den nächstbesten Plastiksack, den er gerade fand, und schritt zur Wohnungstür hinaus. Wehmütig und sich überlegend, ob er doch noch hätte versuchen sollen, alles gerade zu biegen, blickte er noch einmal zurück, hinein in die Wohnung. Er sagte einem Leben Lebewohl, welches eine komplett andere Wendung nahm, als David sich das vorstellte. Ob dies nun gut war oder nicht konnte er immer noch nicht für sich entscheiden. Auch wenn er sicher war, dass es bestimmt eine günstigere Ausgangslage darstellte, wenn er einfach ging. Immer noch in Gedanken versunken und ringend mit seinen Gefühlen, stieg er die Treppe hinab, bis hin zur Eingangstür des Gebäudes. Sich fragend, wo er nun hätte die Nacht verbringen sollen, trat er hinaus. Tobender Wind fegte ihm ins Gesicht. Kalter Wind, der sich beissend den Weg um Davids Körper bahnte und ihn frösteln liess. Der Himmel hatte sich zu einem kräftigen Schwarz verdunkelt und bereits die ersten Donnergrollen waren in der Ferne zu hören. Gleich mehrere Tropfen landeten auf Davids Stirn, als er seinen Blick nach oben richtete. Daraufhin verschnellerte er seinen Schritt in Richtung Strasse, denn bald würde es regnen.

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