Die Treppe

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Cyrill.P.Kerry
Veröffentlicht: 16.06.2018 18:32
Aktualisiert: 25.06.2018 10:44
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Kurzbeschrieb:
Eine Treppe...Doch wohin führt sie?

Text

Ich trage ein weisses T-Shirt, welches mir viel zu lang ist und man eigentlich schon fast als Laken bezeichnen kann. Meine Hosen sind ebenfalls weiss und reichen bis zu meinen Knöcheln. Meine Füsse finden ihren Platz in schwarzen, neu aussehenden Turnschuhen wieder. In schnellen und grossen Schritten versuche ich verzweifelt die Spitze dieser unendlich erscheinenden Treppe zu erreichen. Ich weiss nicht einmal mehr, wie lange ich das hier schon mache, wie lange ich mich diese öden, langweiligen Stufen hinaufmühe, wie lange ich schon Fuss vor Fuss setze, um immer weiter, immer höher zu gelangen. Schritt für Schritt wird es anstrengender. Wie Gewichte, die an meinen Beinen hängen, fühlt es sich an. Doch ich muss weiter, immer weiter und weiter. Ich darf nicht aufgeben. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, auch das Atmen fällt mir schwerer. Und diese Müdigkeit. Diese Müdigkeit macht mich fertig. Am liebsten hätte ich einfach angehalten, mich hingelegt und für einen kurzen Moment ausgeruht. Aber das war keine Option. Niemals dürfte ich einfach anhalten, das geht einfach nicht. Das machen nur die Verlierer. Schon viele habe ich gesehen. Ältere Männer, die liegen geblieben sind, aber auch schwache Kinder und Jugendliche, für die dieser lange Weg zu anstrengend war. Alle haben sie mich ausgelacht. «Was für ein Idiot, er glaubt er könne das ewig durchziehen», haben die einzelnen gesagt. Aber ich höre ihnen nicht zu. Nie. Niemals, das würde mich nur runterziehen und mich dazu verleiten, einen Fehler zu machen. Einen Fehler, den ich wohl bereuen würde. Würde ich ihn wirklich bereuen?

So frage ich die beiden mutig: «Weshalb läuft ihr denn hier hoch?» «Na wir wollen die Spitze erreichen!», antwortet der Füllige. Auf dessen Satz reagiert sein Kumpel mit einem kurzen «Ja…». Dies beantwortet meine Frage aber nicht, so hacke ich nach. «Ja, aber was ist euer Beweggrund dazu?» «Keine Ahnung, wir haben gehört, da wartet ein neues Leben, voller Reichtum und Vollkommenheit. Da oben wartet alles, was du dir je erträumt hast auf dich!», sagt er begeistert. Mich überkommen Zweifel. «Wie wollt ihr euch da sicher sein? Was wenn es da noch viel schlimmer wird, als hier? Was wenn es gar kein Ende gibt?» Die beiden sahen sich kurz an. «Es ist aber so, beeil dich lieber, du bist uns schon zwei Stufen im Rückstand!» Der überanstrengte Typ bringt erneut ein knappes «Ja…» hervor. Langsam werde ich wütend. Warum wollen die beiden nicht auf mich hören? Sind sie wirklich so erpicht darauf, das Ende dieser Treppe zu erreichen? «Und wenn da wirklich nichts ist und ihr euch schlussendlich für nichts abmüht, diese Stufen zu erklimmen?» «Weisst du was? Dann gib doch auf und leg dich hin, so wie alle anderen Verlierer da unten irgendwo!» Ich stolpere über eine Stufe. Verkrampft versuche ich wieder aufzustehen, doch es gelingt mir nicht. Die Umrisse der anderen beiden verschwimmen langsam in der Ferne und verschmelzen mit der Dunkelheit. Ich versuche noch nachzurufen, doch meine Stimme erstickt in verzweifelndem Keuchen. Ich lehne mich gegen die Wand, strecke die Beine aus und geniesse die Ruhe, die mich jetzt durchströmt. Wofür soll ich mich mit diesen Stufen abmühen, wenn ich einfach daliegen kann und nichts tun?

Hey, wartet!» Sie drehten ihre Köpfe um, blieben aber nicht stehen, das hätte sie nur Zeit gekostet. So nehme ich gleich vier Stufen auf einmal, um zu ihnen zu gelangen. «Auch auf dem Weg, hm?», fragt einer ausser Atem. Der andere hat bereits einen knallroten Kopf von der ganzen Lauferei. Er hechelt vergebens nach Luft und versucht, irgendwie ruhig zu atmen, hält dabei sogar zwischendurch die Luft an. Ich antworte so knapp, wie ich nur kann, um Sauerstoff zu sparen: «Ja, auch.» Auf eine Art und Weise beruhigt es mich, Mitstreiter gefunden zu haben. Hingegen kommt in mir ein immer grösser werdende Gedanke auf. Weshalb geben sich die zwei so dermassen Mühe, um die Treppe hinauf zu gelangen? Was war dort oben? Was war so wichtig? Gab es überhaupt ein «oben»?

 

So frage ich die beiden mutig: «Weshalb läuft ihr denn hier hoch?» «Na wir wollen die Spitze erreichen!»

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