Ein Stück verlorene Kindheit

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Milla Livingstone
Veröffentlicht: 03.03.2018 16:12
Aktualisiert: 03.03.2018 16:12
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Kurzbeschrieb:
Verantwortung war schon immer ein grosser Begriff für mich. Als Kind wollte ich so viel Verantwortung übernehmen, wie ich nur konnte, ohne wirklich zu verstehen, was das Wort bedeutete.

Text

 Mein Taschenmesser: ein Stück verlorene Kindheit.

Verantwortung war schon immer ein grosser Begriff für mich. Als Kind wollte ich so viel Verantwortung übernehmen, wie ich nur konnte, ohne wirklich zu verstehen, was das Wort bedeutete. Es war ein erwachsener Begriff, weshalb er mich umso mehr reizte. Als ich 2005 eingeschult wurde, dachte sich mein Vater, es wäre sinnvoll, mir ein Stück Verantwortung zuzumuten. Neben einem wöchentlichen Taschengeld von einem Franken durfte ich mir ausserdem ein Taschenmesser aussuchen. Ja, ein Taschenmesser! Vielleicht muss ich dazu sagen, dass mein Vater eine Messersammlung besitzt und ich deshalb nicht sicher bin, wer beim gemeinsamen Aussuchen mehr Spass hatte. Doch als zur Krönung mein Name auf das Messer eingraviert  wurde, gab es kein stolzeres Mädchen in Liechtenstein. Es gehörte nur mir und all die Verantwortung, welche mir hiermit zugetraut wurde, machte das ganze unglaublich aufregend. Meine Ungewissheit, was Verantwortung bedeutete, verschwand  langsam beim ersten Ausprobieren. Denn es folgten die ersten Schnitzereien im Garten und natürlich schnitt ich mich genügend oft, um zu begreifen, wie hart Verantwortung sein kann. Ich schnitt mich, doch es machte mir nichts aus. Das gehörte dazu – zum Erwachsen werden.

Elf Jahre später stehe ich mit Tränen in den Augen vor einem Security-Check –Officer am Flughafen Barcelonas. Er hält mein Taschenmesser in der Hand. Wie konnte ich vergessen, es umzupacken? Hinter und vor mir warten meine Klassenkameraden, denn wir sind auf dem Rückweg unserer Maturareise. Völlig übermüdet, stehe ich um 5h vor zwei Optionen: entweder zurück zu meinem Gepäck, dass bereits aufgegeben war, oder das Messer, ein Teil meiner Kindheit, aufgeben. Keine wirklich faire Wahl. Und so präge ich mir mein Taschenmesser ein letztes Mal genau ein und gab es schliesslich dem Officer.

Erst langsam realisiere ich meine Tat. In den letzten Monaten beschäftigte ich mich, wo und was ich demnächst studieren will. Die letzten Sommerferien verbrachte ich mit meiner besten Freundin nicht mit meiner Familie, genauso meinen letzten Geburtstag. Ich stehe am Ende meiner Entwicklung zur Selbständigkeit. Bald bin ich auf mich alleine gestellt. Vielleicht war genau das der Grund, wieso ich meine Tränen nicht zurückhalten konnte. Ich liess ungewollt einen Teil meiner Kindheit gehen, denn das Leben zwingt dich früher oder später, erwachsen zu werden. Der Begriff Verantwortung ist kein abstrakter Begriff mehr, sondern Teil eines erwachsenen Alltags. Ich kann nicht mehr mit Verantwortung spielen bis ich mich schneide, um dann ganz einfach das Messer wegzulegen.

 

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