Spiegelschatten

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Phoenixx
Veröffentlicht: 13.10.2017 10:38
Aktualisiert: 14.10.2017 13:53
Kategorie: Dies & Das
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Text

Einfach weiterlaufen, einfach weiterlaufen, sage ich mir selber, als ich um die Ecke biege und aus der Ferne die blondhaarigen Köpfe von Luisa und Kylie erkenne. Ich senke den Kopf zu Boden als wäre er extrem interessant und laufe schnell an ihnen vorbei. Kylie steht mit dem Rücken zu mir und sieht mich glücklicherweise nicht, doch Luisa hat mich natürlich sofort erkannt.
„He, Fetti“, ruft sie mir hinterher, „falls du vom Fitnesscenter kommst; schmink es dir ab, es nützt eh nichts! Oder bist du etwa so naiv?“ Sie lacht ihr dämliches Lachen und auch Kylie stimmt ein. Ich verdrehe die Augen und laufe stumm an ihnen vorbei. Mum sagt, ich soll ihnen keine Beachtung schenken, doch eigentlich haben sie recht. Ich komme tatsächlich aus dem Fitnessstudio und ja, vielleicht bin ich wirklich etwas naiv. Glaube ich wirklich daran, dass sich meine Fettschicht irgendwann einmal in Luft auflösen könnte? Gerade eben war ich noch motiviert, endlich abzunehmen, doch jetzt fühle ich mich wie ein dicker Kartoffelsack.
Ich öffne die schwere Schulhaustür und trete ins Freie. Eine leichte Brise weht mir entgegen und ich würde am liebsten die Arme ausbreiten wie ein Vogel seine Flügel, aber ich halte mich zurück, weil Bernd Taylor und Leo Thomson rauchend neben ihren Wagen stehen. Bernd lehnt lässig an der Hube seines Mercedes du wirft mir einen kurzen Blick zu. Dann fängt er an zu grinsen und stupst Leo an, der irgendetwas in sein Handy tippt. Auch er schaut auf und verzieht seinen Mund zu einem Lachen, als Bernd mit dem Zeigefinger auf mich zeigt und etwas sagt, was ich von hier aus nicht verstehen kann. Beide fallen in ein schallendes Gelächter.
Mein alter Ford, den ich von meinen Eltern geliehen habe, steht blöderweise genau neben Leos schicken Wagen. Schlecht gelaunt schlurfe ich an den beiden Typen vorbei und lasse  mich auf den Fahrersitz plumpsen und rase vom Parkplatz davon, Richtung Hills Road, Richtung Zuhause. Dort parke ich die alte Karre in unsere Vorfahrt ein und schlage die Türe so fest zu, dass man meinen könnte, sie würde gleich abfallen. Mum kommt schreiend zur Haustür hinausgerannt und fragt mich wütend, ob ich die neue Autotür bezahlen will, wenn sie dann wirklich mal kaputt gehen sollte. Ich schreie zurück, dass mir das eigentlich ziemlich egal ist, drücke mich an ihr vorbei und renne in mein Zimmer.
 Schluchzend lasse ich mich auf mein Bett fallen und vergrabe das Gesicht in einem Kissen. Dieser Tag war echt mies. Wobei, gestehe ich mir ein, hat er ziemlich gut begonnen. Am Morgen stand ich freudig auf und rannte freudig zum Schrank, um meine neue schwarze Jeans herauszuziehen, die ich gestern bei Taylor&Renson gekauft habe. Ich bin davon ausgegangen, dass sie den anderen gefallen würde, aber damit habe ich wohl kreuzfalsch gelegen. Gleich als ich das Klassenzimmer betrat, kam Luisa zu mir und meinte, ich sähe darin aus wie eine fette Pute. Ab da an sank meine Laune in den Keller. Die ewigen Sticheleien der anderen gehen mir auf den Keks. Haben sie keine eigenen Probleme neben ihrem luxuriösen Leben voller Parties und haufenweise Taschengeld?
Ich drehe mich zur Seite und lege eine Hand unter meinen Kopf. Wie ich in dünn wohl aussehen würde, ohne die vielen Kilos auf den Rippen?
„Besser“, flüstere ich und stehe auf und tapse zum Spiegel, der an meiner Tür hängt. Das Mädchen, welches mir entgegen starrt, schaut aus wie ein Geist. Blass und dick, keine Ausstrahlung, schwarze, fettige Haare, die schlaff von ihren Schultern hängen. Und plötzlich komme ich mir in der neuen Jeans ebenfalls völlig plump vor. Meine Beine sehen aus wie dreissig Baumstämme aneinandergereiht und der Hosenbund drückt so stark in meine Hüfte, dass meine Haut drüber stösst. Mit einem Seufzen wende ich mich von meinem Spiegelbild ab,  setze mich an den Schreibtisch und beginne mit den Aufgaben, die uns Mrs Federrson auf Freitag aufgegeben hat. Meine Hände kritzeln irgendwelche antworten auf das weisse Papier, ohne dass mein Gehirn nachdenkt. Verdutzt sehe ich nach einer halben Stunde angestrengtem Schreiben und schmerzenden Fingern auf und überprüfe mit dem Taschenrechner, den ich irgendwo in dem Chaos auf meinem Pult ausgegraben habe, meine Antworten. Sie sind falsch, aber ich habe nichts anderes erwartet. Wenn ich jetzt  nicht von neuem beginne, wird mich Mrs Federrson morgen vor der ganzen Klasse nach vorne an die Tafel bitten und mich blamieren lassen. Genervt reisse ich die Seite aus meinem Heft hinaus und schmeisse sie in den Eimer.
Ich kann mich nicht mehr lange auf die Zahlen und Zeichen konzentrieren und werfe die Aufgaben frustriert in meine Schultasche. Mum ruft mich zum Abendessen und obwohl ich fürchterlichen Hunger habe, sage ich, dass mir nicht wohl sei und ich deshalb in meinem Zimmer bleiben würde. Als eine SMS auf meinem Handy aufploppt, greiffe ich blitzschnell danach. Das leuchtende Display zeigt mir Annays Namen und ich lese die Nachricht schnell. Sie fragt mich, wie Rechnug Nummer dreizehn geht und ich tippe eine kurze Antwort, von wegen ich hätte keine Ahnung, ein. Mit einem Klick auf senden schicke ich sie ab. Mein Blick schweift über die Fotos an meiner Wand. Annay und ich im Kindergarten auf einer Schulerreise, ich auf einem Karrusel, Annay und ich mit dem Hundefilter von Snapchat in die Kamera grinsend. Ihre langen, blonden Haare liegen schwunghaft auf ihren Schultern, meine hingegen würde ich am liebsten aus dem Bild streichen. Von mir aus auch mein ganzes Gesicht. Annay ist meine beste Freundin. Schon seit dem Kindergarten. Sie ist wahnsinnig nett, lieb und sie steht genauso auf Erdbeeren und Schokolade wie ich. Wie durch ein Wunder macht Ann die Schokolade aber nichts aus. Von ihrer Figur träumt jedes Mädchen. Seufzend halte ich mir die Hände auf den Bauch, als er zu knurren beginnt. Sei still, sage ich ihm in Gedanken, du und ich, wir müssen das jetzt durchhalten. Mit einem zufriedenem Lächeln stelle ich mich genauso perfekt wie Annay und all die anderen hübschen Mädchen an der Herbert Hoover High vor.

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