Geschriebene Worte

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pfifoltra
Veröffentlicht: 22.09.2017 18:20
Aktualisiert: 22.09.2017 18:24
Kategorie: Dies & Das
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Kurzbeschrieb:
Es soll bitte beachtet werden, dass diese Erzählung in der Vergangenheit spielt. (Sie ist durch ein altes Gemälde inspiriert.)

Text

Seit Stunden schon sitze ich hier in diesem Cafè und warte. Ich warte auf ihn. Er wird zurückkommen, das hat er mir versprochen an dem Tag, an dem er ging. Und ich glaube daran. Es ist mehr als nur ein Glaube, ich weiss es ganz sicher.

Gestern war ich auch schon hier, genauso am Tag zuvor. Ich werde auch morgen wieder hier sein. Hier, in diesem Cafè, in welchem er mir vor einem Jahr auf Wiedersehen sagte. Auch dann sass ich an diesem gleichen Tisch in der Nische. Als er damals hereinkam, blieb er erst im Eingang stehen und blinzelte. Er entdeckte mich nicht gleich, da es im Cafè dunkler war als draussen, fast schon etwas schummrig. Auf diese Weise konnte ich ihn noch einmal ganz genau ansehen, sodass ich ihn in diesem Jahr seiner Abwesenheit nicht vergessen würde. Seine Haltung, selbstbewusst und gerade. Seine breiten Schultern, sein Gesicht, welches im Schatten seines Hutes lag, seine schönen Hände, welche den Staub von seinem Mantel klopften.

Als er dann schliesslich auf mich zukam, wurde mein Herz immer schwerer. Er legte seinen Hut auf den Tisch und lehnte sich vor. "Weine nicht", sagte er und wischte sanft eine Träne von meiner Wange. "Ich verspreche dir, wiederzukommen!" Und dann lächelte er mich an und ich musste zurücklächeln, denn sein Lächeln hatte nun einmal diese Wirkung auf mich. Nur fühlte sich mein Lächlen viel trauriger an als sonst. "Ich brauche einen Beweis!", platzte ich heraus. "Damit ich vollständig sicher sein kann, dass du zurückkommst. Dass du nicht verloren gehst, dass du nicht stirbst..." Meine Stimme war bei den letzten Worten immer leiser geworden. Traurig sah er mir in die Augen. Lange Zeit sassen wir nur da und sahen uns an. "Wir könnten einen Vertrag aufsetzen", schlug er schliesslich vor und sein Lächeln blitzte wieder auf. Er wusste genau, wie sehr ich Verträge mochte. Geschriebene Worte sind viel ehrlicher als gesprochene, das sagte ich ihm immer wieder.  

Also nahm ich ein Blatt und er gab mir seinen Stift, den er immer bei sich trug. Ich schrieb zwei Versionen, eine für ihn und eine für mich. Als er den Vertrag unterschrieb, wurde mir gleich viel leichter zu Mute. Auch ich unterschrieb, um zu versprechen, dass ich auf ihn warten würde.  Hier in diesem Cafè, in dem ich ihn vor einem Jahr zuletzt sah. Ich habe ihn nicht bis zum Hafen begleitet. Ich hätte es nicht ertragen, zu sehen, wie er sich auf dem Schiff immer weiter entfernte. Das letzte Bild, welches ich von ihm habe, ist das von seinem Abschied. Er strich mir noch einmal über die Wange, stand auf, setzte seinen Hut wieder auf und gab mir einen sanften Kuss auf die Haare. Dann schloss ich die Augen und als ich sie schliesslich wieder öffnete, war er verschwunden. Geblieben war mir nur meine Version unseres Vertrages, welche vor mir auf dem Tisch lag.

Auch jetzt liegt sie wieder vor mir auf dem Tisch. Ich warte auf ihn. Er wird kommen. Genau wie damals wird er durch die Türe treten und erst einmal stehen bleiben, denn im Cafè ist es immer noch so schummrig wie vor einem Jahr. Nachdem er seinen Hut abgezogen haben wird, wird er mich an diesem Tisch entdecken und auf mich zukommen. Er wird mir sein Lächeln zeigen und ich werde wie immer zurücklächeln. Er wird mir einen Kuss auf die Stirn geben und dann sagen: "Siehst du, ich habe dir doch versprochen, dass ich zurückkommen würde." Und ich werde ihn ernst ansehen und antworten: "Natürlich, das wusste ich. Geschriebene Worte sind viel ehrlicher als gesprochene." 

Kommentare

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Am 20.10.2017, Buchstabensalat
Liebe Pfifoltra
Ich habe deinen Text gerade mehrmals gelesen und mag ihn von mal zu mal mehr. Dein Hinweis, dass die Geschichte in der Vergangenheit handelt wäre für mich gar nicht nötig gewesen. Mit den feinen Details, (dem Mantel, dem Hut, dem Schiff) wird auch so deutlich, das es nicht in der heutigen Zeit spielt.
Du beschreibst die Szene so herrlich bildhaft, dass ich mir sie ganz genau vorstellen kann und in meinem Kopf erscheint ein Film. Es ist eine sehr stimmungsvolle Szenerie, die du da entworfen hast, die in sich stimmig und schön ist.
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Am 23.09.2017, welcome home
Sehr schön geschrieben! Der Aufbau der Situation und das abrundende Ende gefallen mir sehr gut. Weiter so :)