Sonntag morgens in Olten

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ast
Veröffentlicht: 25.06.2017 19:31
Aktualisiert: 25.06.2017 19:31
Kategorie: Dies & Das
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Grübelnd über die vergangenen Tage und Nächte steige ich ein. Camille Saint-Saën’s „Danse Macabre“, welches über die Kopfhörer in meine Ohren spielt, versetzt mich in eine gemütlich erquickte Stimmung. Höflich, wie es die Schweizer Mentalität verlangt, frage ich, ob der offensichtlich noch nicht besetzte Platz in dem 4er-Abteil noch frei sei. Mit einem etwas überraschtem Blick kommt die zu erwartende Antwort: „Selbstverständlich!“.

Die über Jahre einstudierte und perfekt abgestimmte Choreographie – Rucksack deponieren, hinsetzten, min. 2-Mal auf dem Platz zu recht rücken, Laptop und Handy raus, verbinden, überlegen, was ich am Laptop machen könnte, um wichtig zu wirken – wird prompt unterbrochen, als ich Sie erblicke. Sie sitzt mir gegenüber, vertieft in ihre Musik, den Kopf im Tackt nickend und leicht mit der Hand gestikulierend. Egal was andere darüber denken möchten, geniesst sie ihre Musik in vollen Zügen. Es sieht verzückend aus. Ihre nach hinten gebundenen Haare, die leichten Sommersprossen um ihre Nase, die hellen funkelnden Augen ziehen mich in ihren Bann. Mir wird bewusst, dass ich gerade die Grenze von zufällig hinschauen zu unangebrachten starren überschreite. Doch das ist mir egal. Mein Dans Macabre erreicht gerade den Höhepunkt und ich zerfliesse von den auditiven und visuellen Eindrücken die ich gerade erlebe. Vielleicht hört Sie ja auch klassische Musik. Vielleicht sogar Camille Saint-Saën. Kann das sein?
Ich befürchte, dass sie meine Blicke spürt, wende den Blick ab und bemerke im Augenwinkel gerade noch, das sie mich nun auch mustert. Schmunzelnd betrachte ich meine Fingernägel und fühle mich als wäre ich wieder 14 Jahre alt. Lächerlich...
Mit einem leichten aber klar bemerkbaren Ruck macht sich der Zug auf seine Reise. Ich fahre dahin gen Solothurn und ihr Zug rollt los Richtung Zürich. Aber man sagt ja: „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben“. Ich freue mich jetzt schon... :D 

Kommentare

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Am 26.06.2017, Nederlandfreak
Hey ast
Ein sehr schöner Text, wie ich finde, der den "langweiligen" Alltag mal von einer anderen Seite zeigt.
Kenne diese Situation nur zu gut... ;)

Freue mich auf weitere Texte von dir. :)

LG Nedi