Damals...

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Nederlandfreak
Veröffentlicht: 19.04.2017 11:05
Aktualisiert: 19.04.2017 11:26
Kategorie: Dies & Das
Tags: Welt, Veränderung, Generation
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Kurzbeschrieb:
Wie sieht unsere Erde wohl in mehreren Jahren aus? Wie hat sie sich wohl verändert? Ein Text, der zum Nachdenken anregt...

Text

«Du, Papa, erzähl mal, wie war es eigentlich hier zu deiner Zeit?», fragte mich mein kleiner, neun Jähriger Sohn. Seine tiefschwarzen Augen leuchteten vor Neugier. Ich lächelte ihn an. Es war süss, wie neugierig er immer war und wissen wollte, wie die Zeiten früher waren. Etliche Geschichten habe ich ihm schon erzählen müssen. Er wollte keine Geschichten über Bambi das Reh, den sieben Zwergen oder über Schneewittchen hören. Nein, er war anders. Er wollte alles über die Welt wissen. Ob es nun mal schöne Sachen waren, oder halt eben traurige. So begann ich ihm halt schon sehr bald Geschichten zu erzählen, wahre Geschichten. Über Anne Frank, über das Schicksal vieler Soldaten im 1. und 2. Weltkrieg, über Pearl Harbor, über Einstein, über die erste Mondlandung, über den kalten Krieg. Mein Sohn wollte nie etwas Erfundenes hören. Für ihn zählten die wahren Geschichten, die wahre Welt. Ich habe ihm schon fast alles erzählt, bis auf die Zeit, die ich auf dieser Erde bis jetzt verbrachte.

Freudig, mal etwas aus meiner Zeit erzählen zu dürfen, setzte ich mich auf meinen alten Sessel, während der Kleine sich auf das grosse, weisslederne Sofa setzte. Wir hatten eine hochmoderne Wohnung, mit Steinwänden und sogar einem Kamin. Angestrengt versuchte ich zu überlegen, wo ich nur hätte anfangen sollen. Schliesslich war mein Gedächtnis mit meinen 49 Jahren auch nicht gerade mehr das neueste. Dann aber begann ich zu erzählen:

«Auch, wenn du es mir nicht glauben wirst, genau hier, wo jetzt unser Zuhause steht, wuchsen damals noch grosse, grüne Wiesen und riesige, lebendige Wälder. Genau da, wo jetzt dieses grosse Gebäude mit den vielen tollen Läden drinsteht, war früher ein schöner Fussballplatz, auf dem wir in deinem Alter jede einzelne freie Minute verbrachten.» Ich wies hinaus aus dem Balkonfenster, auf die in der Dunkelheit leuchtende Skyline der Stadt. Zwischen den hochragenden Wolkenkratzern schlängelte sich gerade eine Schwebebahn an den hellbeleuchteten Schienen hindurch. Ich verharrte eine Weile in Gedanken versunken auf dem vorbeiziehenden Zug, fasste mich dann aber wieder und fuhr fort.

Ich erzählte ihm von den vielen schönen Erlebnissen in den Wäldern, von den verschiedensten Spielen, die wir damals spielten. Ich erzählte ihm vom Klimawandel, vom syrischen Bürgerkrieg, von den grossen Nuklearschlägen der USA und Nordkorea vor zehn Jahren, welche einen ganzen Kontinent ausradierten. Auch erzählte ich von den ausgestorbenen Tierarten, von den Ländern, die vom ansteigenden Meeresspiegel verschluckt wurden. In Erinnerungen schwelgend sagte ich zu ihm: «An den Tag, an dem ich deine Mutter zum ersten Mal traf, kann ich mich wohl am besten erinnern. Es war an einem Nachmittag vor einer Eislaufhalle, als es bereits sehr viel Schnee draussen hatte.» Der Kleine unterbrach mich und fragte: «Papa, was ist Schnee?»

Wie konnte ich das nur vergessen? Mein Sohn hatte noch nie in seinem Leben Schnee gesehen und wird wohl auch nie Schnee sehen. Ich erklärte ihm kurz was dieser merkwürdige Schnee war, worauf er mir antwortete: «Ich hätte gern mal in diesem Schnee gespielt und so coole Sachen gebaut. Wie hiess das nochmal? Ein Iglu?» Ich nickte. Mit der Zeit, wo ich diese Geschichte meinem Sohn erzählte, merkte ich, wie nachdenklich ich wurde. All die Jahre, habe ich diese enormen Veränderungen einfach hingenommen, einfach akzeptiert. Jetzt merkte ich, dass das ein riesiger Fehler war.

Ich erzählte ihm weiter vom Ausnahmezustand in Afrika wegen der Hungersnot und der grossen Völkerwanderung in den 2030er Jahren. Dazu zeigte ich ihm eine Landkarte von Afrika, von den 2000er Jahren, bis zum heutigen Zeitpunkt. Was vorher war, mit all den Kolonien, der Apartheit und den Aufständen in Libyen, wusste der Kleine schliesslich schon. Zusammen mit ihm verglich ich die beiden Abbildungen der Kontinente. Bei der einen Abbildung, welche vom Jahre 2017 stammte, sah man deutlich den Urwald am Äquator. Der riesige grüne Fleck, der sich über etliche Länder hinweg erstreckte. Auf der anderen Abbildung sah man, wie der grüne Fleck deutlich geschrumpft war. Nur noch an der Küste Kameruns, hatte es vereinzelte Waldstreifen, welche umgeben von Schutzmauern waren.

«Was ist denn dort passiert?», fragte mein Sohn und zeigte mit dem Finger auf die Stelle. Ich erinnerte mich nur zu gut. Vor 20 Jahren brach ein mehrjähriger Waldbrand aus, ausgelöst durch eine Chemiefabrik im Kongo. Pflanzenarten und Tierarten starben nach kurzer Zeit aus, aber auch Stämme von Ureinwohnern fanden dadurch ein Ende. Die UNO baute als Schutz eine Mauer um die letzten Bäume des Urwaldes und erklärte es zum Umweltschutzgebiet. Der Rest des Kontinents Afrika vertrocknete, was dann die Völkerwanderung auslöste. Seit der Unbewohnbarkeit von Afrika, war Europa, sowie auch Amerika und Australien enorm überbevölkert. Kilometer um Kilometer an Wäldern mussten gerodet werden, um so vielen Menschen Platz zu bieten. Ich war erstaunt, mit welcher Ruhe mein Sohn all diese Geschichten, all diese wahren Geschichten, aufnahm. Hätte man mir das in diesem Alter erzählt, wäre ich womöglich durchgedreht.

Als ich merkte, dass die Augen meines Sohnes langsam schwer wurden, brachte ich ihn ins Bett, wobei ich noch kurz auf die Temperaturanzeige schaute. Sie zeigte über die 30 Grad an, im Dezember. Erschöpft aber noch nicht fähig einschlafen zu können, trat ich hinaus auf den Balkon, wobei mich eine gewaltige Hitzewelle erfasste. In Gedanken versunken beobachtete ich die Schwebezüge und die Sandpartikel, die langsam begannen in der Luft herum zu wirbeln. Bald würde es wieder einen Sandsturm geben, das wusste ich.

Die Geschichten, die ich meinem Sohn erzählt hatte, setzten mir mehr zu, als ihm. Betrübt schaute ich weiter auf die Skyline der Stadt, während der Sturm langsam begann, seinen Lauf zu nehmen. Ich wischte mir eine Träne aus dem Auge und dachte mir: «Oh Gott…Was haben wir bloss getan?!»

Kommentare

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Am 12.03.2023, Knjiga
Ich hoffe, wir können das verhindern… wir haben nur noch 7 Jahre Zeit. Du hast mich sehr zum Nachdenken gebracht.
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Am 25.04.2017, Nederlandfreak
Hey zusammen

Ich danke euch vielmals für euer Feedback :) Es freut mich immer sehr, wenn ich sehe, dass meine Texte auch einige zum Nachdenken bringen.

@Päscu: Ja, da kommen sicher noch einige, haha ;D

LG Nedi
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Am 23.04.2017, Päscu
lieber Nederlandfreak
Dein Text finde ich wunderschön geschrieben, er bewegt mich richtig zum Nachdenken und zum Studieren was wir eigentlich mit der Welt machen. Auch dein Wortschatz ist reichlich an Wörter dass merkt man sehr gut und ich freue mich schon auf weitere Texte die anregen und schön sind zum lesen
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Am 22.04.2017, welcome home
Hi Nederlandfreak :)
Ich finde deinen Text sehr gut, er hat mich zum Nachdenken gebracht.
Mir gefällt die Sichtweise (von Vater zu Sohn), in der du geschrieben hast, da wir viel zu wenig in die Zukunft denken. Mit diesem Blickwinkel fällt es leicht, sich in die Situation hineinzuversetzen.
Ab und zu bin ich beim lesen über Sätze gestolpert, die etwas komisch aufgebaut sind.
Ansonsten finde ich den Text sehr gut geschrieben und freue mich auf weitere nachdenkliche Texte :)

Lg welcome home