Und sag kein Wort
Leralya |
Veröffentlicht: 05.11.2016 18:56 |
Aktualisiert: 17.08.2017 12:08 |
Kategorie: Dies & Das |
Bewertung: |
Text
Ich hatte es nicht anders erwartet. Die Nacht brach langsam an und sie hatte sich immer noch nicht gemeldet. Es wäre ja nicht so, als würde es mich überraschen. Ich erinnere mich daran, wie sie mich entsetzt angestarrt hat. Wie sie versucht hat, ihre Unsicherheit zu verstecken. Sie kannte diese Situation nicht. Natürlich kannte sie sie nicht.
Sie hat es nicht kommen sehen. Wir waren im Kino verabredet, es sollte ein entspannender Nachmittag werden. Nur wir zwei, Popcorn und ein neuer Film. Nebenbei: Der Film war scheisse.
Ich habe mich nie getraut, es ihr zu sagen. Wie sollte man dieses Gespräch denn auch beginnen? Und ich hatte ja niemanden, der mir hätte sagen können, was zu tun ist. Also habe ich mich anfangs selbst angelogen, habe mir eingeredet, dass es einfach meine Verzweiflung war. Mein verzweifelter Wunsch nach Zuwendung. Doch mit der Zeit wurde es intensiver; jedes Mal, wenn sie mich berührte, zuckte ich zusammen, spürte die Berührung noch Stunden später. Ich hatte den Wunsch, sie zu umarmen, doch fürchtete, dass ich mich nicht mehr lösen könnte, dass es zu offensichtlich wäre. Also habe ich weiterhin darüber geschwiegen, habe dieses Geheimnis gehütet.
Aber an diesem Abend im Kinosaal - es übermannte mich einfach - konnte ich es nicht mehr aufhalten. Sie hatte zuvor ganz nebenbei meine Wange gestreichelt, mein ganzer Körper prickelte. Ich musste es einfach tun. Ich legte meine Hand an ihre Wange, drehte das Gesicht in meine Richtung. Als sie bemerkte, dass ich mich langsam in ihre Richtung lehnte, sah ich kurz einen Moment der Verwirrung in ihrem Gesicht, bevor sie sich mit entsetztem Blick von mir zurückzog. Ich sah das Entsetzen, den Schock, aber auch die Verwirrung, ihr Gesicht sagte mir alles.
Beängstigt und verletzt rannte ich aus dem Saal. Sie hat es nicht geahnt. Sie konnte nichts dafür. Aber dieses Entsetzen in ihrem Blick verletzte mich, sie hatte Angst vor mir. Ich rannte durch die Strassen zum Bahnhof, nahm den nächsten Zug, rannte in mein Zimmer, sobald ich zu Hause war. Ich war so dumm. Ich hätte es ihr sagen müssen. Oder mich wenigstens nach dem Vorfall im Kino entschuldigen. Aber ich traute mich nicht, sie anzurufen, wollte ihr Zeit geben, sie nicht einschüchtern.
Und ich hatte es nicht anders erwartet. Sie hatte sich immer noch nicht gemeldet.
Wie dir wahrscheinlich schon aufgefallen ist, lege ich viel wert auf die Gefühle, die mit Worten übermittelt werden und da freue ich mich sehr, wenn auch andere das bemerken... Ich habe hier auch versucht, eine Situation ohne grossen Kontext überzeugend zu übermitteln - anscheinend habe ich es geschafft.
Larey
Ein sehr dramatischer aber schöner Text! Mir gefällt, wie du die Handlungen und die Gefühle beschreibst. Ich konnte die Verzweiflung und die Unbehaglichkeit der Situation schon richtig spüren.
LG Nederlandfreak :)