Unforgivable (Kapitel 2 + 3)

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Morvena
Veröffentlicht: 05.06.2016 11:33
Aktualisiert: 05.06.2016 11:34
Kategorie: Krimi
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Kurzbeschrieb:
Anja will nach ihrem Umzug ein unabhängiges Leben führen. Aber um ihr neues Zuhause scheint ein Geheimnis zu ranken und sie bekommt Briefe von einem kranken Mann. Dann deckt sie einen tragischen Tod auf und fragt sich, wie weit sie gehen will....

Text

Auf der Spur

Ich stand vor dem Spiegel und versuchte die Tatsache, dass ich wenig geschlafen hatte, wegzutuschieren. Ich sah aus dem getönten Badezimmerfenster, als mir vor Schreck die Wimperntusche abrutschte und einen dicken schwarzen Strich auf meiner Wange hinterliess. Von hier oben  konnte ich erkennen, dass ein Mann mit einer grauen Kapuze etwas in einen Briefkasten meines Blockes warf. So früh am Morgen? Ohne zu überlegen rannte ich barfuss die Stockwerke hinunter und platzte zur Ausgangstüre hinaus. Mein Kopf schnellte nach links und nach rechts, doch es war niemand mehr zu sehen. Mist! Enttäuscht liess ich die Schultern hängen. Das wäre die Gelegenheit gewesen! Ich musste mir selber eingestehen, dass ich mehr über diesen Luiz, der seiner verstorbener Freundin Briefe schrieb, herausfinden wollte. Ich ging wieder zu den Briefkasten zurück  und sah durch den Briefschlitz ein weisses Couvert. Zum Glück war der Briefschlitz so breit, dass ich den Brief hinausklauben konnte. Ich hastete die Treppen hinauf, setzte Kaffee auf und öffnete den Brief. Dabei streifte mein Blick die Uhr an meinem Handgelenk und vor Schreck japste ich nach Luft. Ich kam zu spät! Ich stürzte den heissen Kaffee hinunter, packte meine Unterlagen und die Geige und rannte zu meinem Auto. Wenn ich in eine Geschwindigkeitskontrolle gekommen wäre, hätte ich bestimmt ziemlich viel Zaster liegen gelassen. Dennoch kam ich zu spät und unter dem eisigen Blick des Schulleiters schrumpfte ich zusammen. „ Frau Förster!“, bellte er, „ von Ihnen hätte ich ein wenig mehr Disziplin erwartet!“ Ich nickte betreten und wollte an ihm vorbeihuschen, als er mich an der Schulter zurückhielt. „ Und putzen Sie den hässlichen Strich aus ihrem Gesicht!“ Als ich das lärmende Klassenzimmer betrat, wurde meine Laune  schlagartig besser.

 

Nach  der Arbeit war ich ziemlich erledigt, doch ich hatte den Brief noch nicht vergessen.

Liebe Andrea“, las ich, „ bitte sei mir nicht böse. Ich kann dir alles erklären.  Ich halte es nicht mehr aus ohne dich. Ich werde bald zu dir kommen, denn ich lebe nicht mehr lange. Ich liebe dich. Dein Luiz

Ich sog tief Luft ein. Dieser Luiz hatte anscheinend deftige psychische Probleme. Und wollte er sich sogar umbringen? Spätestens jetzt wurde mir klar, dass ich Hilfe brauchte. Als erstes fiel mir meine Mum ein. Ich wählte die Nummer und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Kopf ein, während ich die Schmutzwäsche in die Maschine warf. „ Anja!“ , krähte meine Mutter in den Hörer, „ schön dich wiedermal zu hören!“ Ich verdrehte die Augen und sprach eindringlich: „ Hör mir zu, Mum, es ist so…“

 

Das Gespräch mit meiner Mutter brachte so ziemlich nichts. Sie wollte sogar die Polizei alarmieren, was ich ihr aber zum Glück austreiben konnte. Was war, wenn sich jemand nur einen Scherz daraus machte? Doch mein Bauchgefühl sagte mir etwas anderes. Instinktiv wusste ich, dass ich in eine Sache hereingeraten war, die mich nicht mehr losliess. Den ganzen Abend lang schwirrten mir Gedanken über diesen geheimnisvollen Luiz durch den Kopf. In meinen Gedanken versunken stolperte ich über den Absatz der Türe und schlug mit dem Kopf auf. Der Schmerz trieb mir Tränen in die Augen und ich rieb meinen Kopf. Doch was noch viel doofer war, dass  der Absatz sich etwas gelöst hatte und zur Seite geschoben wurde. Bei dem Versuch, ihn wieder geradezulegen ertasteten meine Finger etwas Hartes. Ich schob die Diele etwas zur Seite und darunter fand ich eine Ausbuchtung, in der ein ledereingebundenes Buch zum Vorschein kam. Mit zitternden Finger klaubte ich es heraus und öffnete den Umschlag. Dort stand ich in feinen Buchstaben: „Andrea Davis.“ Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Ich hatte das Tagebuch von Luiz` Frau gefunden! Ich blätterte durch die Einträge und stoppte beim letzten Tag. 23. März 2015. War dies ihr Todestag gewesen? Ich hielt den Atem an und begann zu lesen: Ich spüre, dass heute etwas anders ist. Luiz ist so komisch, anders als sonst. Ich wünschte, er würde mich an seinen Geheimnissen teilhaben, docht er ist verschlossen und der Schlüssel scheint verloren zu sein.  Ich liebe ihn so sehr. Ich bin auch ein wenig aufgeregt, denn heute wäre eigentlich der errechnete Geburtstermin von unserem Baby. Wir möchten ihn Lukas taufen. Ich freue mich soooooo!!!! Wieso muss Luiz ausgerechnet heute  was erledigen? Hoffentlich kommt der Kleine noch nicht heute. Luiz hat zwar gesagt, dass ich mit Ben mitfahren könnte, wenn es trotzdem so weit wäre. Ich weiss nicht, ich möchte eigentlich nicht mit Ben ins Krankenhaus fahren. Er ist irgendwie widerlich. Er war ja mal mein Ex, wenn Luiz das wüsste...  Also Kleiner, komm erst morgen!! ;)

Ich klappte das Buch vorsichtig zu. Ich konnte mir darauf kein Reim machen, was bei der Geburt falsch gelaufen war. Andrea hätte offensichtlich diesem Ben anrufen können?  Ich lag wach im Bett, hörte wie es zwölf Uhr schlug und schliesslich konnte ich mit dem Gedanken einschlafen, dass ich morgen gleich nach der Arbeit meine Untersuchungen weiterführen wollte.  

 

Die Nacht war wieder einmal viel zu kurz gewesen und ich fühlte mich wie  von einer Kuhherde niedergetrampelt. Auch zwei Kaffees brachten mein Gehirn nicht so richtig auf Touren und ich vergass prompt meine Geige. Im Unterricht musste ich wohl in Gedanken ziemlich abgeschweift gewesen sein, denn ich schreckte mitten in einem lärmenden Klassenzimmer auf. Ich war so müde, und so beschloss ich, den Kindern heute zehn Minuten früher aus zu geben. Ich hörte, wie einer der Jungen sagte: „ Frau Förster ist ein Segen! Was die wohl veranlasst hat, dass sie uns so früh ausgegeben hat?“ Die Kinder strömten nach draussen und ich musste über die Frage des Jungen nachdenken. Ich musste kaum überlegen, dass ich auf die Antwort kam: Luiz. So schnappte ich mir die Jacke und verliess die Schule im Eiltempo. Ich fuhr mein Auto drei Runden um das Areal spazieren, bis ich wusste, wohin ich eigentlich wollte. Die Fahrt dauerte ziemlich lange, dafür  wurde ich  mit einem schönen Ausblick auf den Zürichsee belohnt. Doch ich war nicht deswegen gekommen, sondern wegen dem schmucken Restaurant am Ufer. Seerose hiess es und ich hatte mich dort vor langer Zeit als Küchenhilfe beworben. Ich hatte nur unbewusst wahrgenommen, dass der Kerl im  unteren Stock von meinem Block erwähnte, dass Luiz in diesem Restaurant arbeitete. Jetzt kam es mir in den Sinn und dankte meinem Vater, der mir sein gutes Gedächnis vererbt hatte.

Zielstrebig ging ich durch die Eingangstüre zur Rezeption. Eine aufgetakelte Frau lächelte mir entgegen und fragte, für wie viele Personen ich reserviert hätte. Als ich ihr erklärte, dass ich nicht zum Essen gekommen sei, verschwand ihr  Lächeln. „ Luiz Davis arbeitet schon seit längerem nicht mehr hier“, antwortete sie auf meine Frage. Schon wieder Fehlanzeige.            „ Haben Sie denn eine Adresse von ihm?“, fragte ich sie und drückte heimlich die Daumen. Die Frau runzelte unwillig die Stirn und hämmerte auf die Tastatur.  „ Ich darf keine Personalien weitergeben!“, sagte sie schliesslich. „ Könnten Sie nicht eine klitzekleine Ausnahme machen weil...“ Doch die Frau würgte mein Redeschwall ab und liess etwas aus dem Drucker. Ich durfte ihre Zeit wohl nicht länger beanspruchen. Sie händigte mir das Blatt aus und gab mir zu verstehen, dass ich nun das Feld räumen musste. So ein unfreundlicher Mensch! Ich konnte ihr aber nicht länger böse sein, denn die Freude über die gewonnene Adresse verdrängte die unfreundliche Tusse. Als ich jedoch ein Blick auf die Adresse warf, sah ich, dass es hundertpro eine sehr veraltete war. Denn es waren die Angaben von meinem Wohnort. Exakt die von meiner Wohnung. Vor Wut und Enttäuschung hämmerte ich auf das Lenkrad des VWs. Nun stand ich wieder vor dem Nichts!

 

Der Zufall hilft

      Es dunkelte langsam ein. Noch immer stand ich auf dem Parkplatz und versuchte, meine Enttäuschung zu verdauen. Schliesslich liess ich den Motor an und drückte schweren Herzens aufs Gaspedal, um wieder nach Hause zu kommen. Die Fahrt kam mir ziemlich lange  vor. Als ich wieder  im Viertel war, spendeten einzig die Strassenlaternen spärliches Licht. Ich war müde. Konnte kaum noch klar denken. Sah erschrocken, wie etwas frontal auf meinen Wagen zukam. Versuchte auszuweichen, der VW schlingerte und das entgegenkommende Motorrad tuschierte den Wagen am linken Blinker. Mit aufgerissenen Augen und wild klopfendem Herzen stieg ich aus, wohl wissend, dass ich nun zum ersten Mal einen Unfall gebaut hatte. Im Strassengraben lag das Motorrad, welches sich beim Unfall überschlagen hatte. Wo war der …? Unter dem Motorrad schauten zwei Füsse hervor. Ich stürzte zum Gefährt und nahm wahr, wie auch andere Personen ausstiegen und neugierig näher kamen. Mit vereinten Kräften richteten wir die schwere Maschine auf. Der Mann stöhnte und wischte sich mit dem Ärmel über die blutige Nase. „ Bitte“, sagte er, „ kein Krankenwagen, keine Polizei!“ Ich wollte protestieren, doch wie zum Beweis stand der Mann auf ohne zu stürzen. Er hatte sich anscheinend nur eine blutige Nase geholt. Himmel nochmal! Mir steckte der Schock noch tief in den Knochen. Die Menschenmenge verflüchtigte sich langsam und ich rollte den VW in eine Seitenstrasse hinein. Ich sah mich nochmal zu dem verletzten Mann um, dem das Blut in Strömen über das Gesicht lief. „ Sind Sie sicher, dass Sie keinen Arzt brauchen?“, erkundigte ich mich. Der Mann presste ein Taschentuch auf seine Nase. „ Nein, nein“, krächzte er, „ hab noch verdammt viel Glück gehabt. Bin wohl auf die falsche Spur gekommen.“ Sein Taschentuch war schon durchtränkt von Blut. „ Lassen Sie mich wenigstens ihre Blutung in der Nase stoppen!“, drängte ich, weil ich mich irgendwie um den Mann sorgte, „ Ich wohne gleich hier in der Nähe! Sie können so wohl nicht weiterfahren!“ Der Mann nickte widerstrebend und rollte sein Motorrad aus dem Graben. Vor meinem Block blieb er jedoch wie angewurzelt stehen. „ Nein!“, keuchte er, seine Augen weit aufgerissen, „ nicht hier!“ Ich wurde langsam ärgerlich. „ Kommen Sie!“ Doch der Mann starrte auf das Haus und reagierte nicht auf mein Drängen. Schliesslich zerrte ich ihn an seinem Arm, doch er schüttelte mich ab. Plötzlich spürte ich, wie sein Widerstand gebrochen wurde und er vor mir zusammensackte. Bewusstlos lag er auf dem Asphalt. Ich nahm mein Handy mit zitternder Finger aus der Hosentasche. Nun musste ich aber wirklich den Krankenwagen rufen! Ich wählte 144 und bestellte einen Krankenwagen. Die Frau am Telefon gab mir Anweisungen, wie ich dem Bewusstlosen helfen konnte, bis der Wagen da war. Ich brachte ihn in die Seitenposition und roch neben Schweiss auch noch etwas anderes. War das… Alkohol? Ich betrachtete das braun gebrannte Gesicht des Mannes, während ich die blutende Nase stoppen zu versuchte. Er hatte hübsch geschwungene Augenbrauen und braunes Haar, das eine Weile nicht mehr geschnitten worden war. Seine Augen waren hinter den geschlossenen Lidern nicht zu sehen. Er trug eine schwarze Lederjacke und abgetragene Jeans, die zu weit für den dünnen, ausgemergelten Körper des Mannes wirkten. Während ich die endlos lange Zeit totschlug, versuchte ich zu schätzen, wie alt er wohl sein mochte. 25? 26? Es liess sich nur schwer sagen. Endlich vernahm ich das Heulen der Sirene. Mit Blaulicht bog der Krankenwagen um die Ecke. Ein Mann stieg aus der Fahrertüre aus und kümmerte sich gleich um den Verletzten, während die mitgefahrene Frau auf mich zulief. Als ich ihre Hand schüttelte, merkte ich, dass sie noch immer zitterte. Sie stellte sich als Angela vor und schrieb alles auf, was ich ihr berichtete. Den Unfall. Dass er kein Krankenwagen wollte. Sein Zusammenbrechen, und der Umstand, wie er bewusstlos wurde. Schliesslich luden die beiden den Mann in den Wagen. „ Ich wäre froh, wenn Sie mitfahren würden. Sie brauchen etwas gegen den Schock und die Polizei will vielleicht ihre Zeugenaussage.“ Ohne Widerstreben parkte ich mein VW, der glücklicherweise nur ein paar Schrammen  abbekommen hatte, und stieg in den Krankenwagen. Die beiden Ärzte konnten noch nicht sagen, wie schlimm es um den Mann stand, doch er war auf jeden Fall nicht in Lebensgefahr. Auf dem Schragen wurde er nach der Fahrt aus dem Wagen geholt und direkt in die Notaufnahme gebracht. Ich bekam ein Beruhigungsmittel und schlief in einem freien Zimmer des Spitales ein. Ich träumte, dass der Schulleiter mich anschrie und ihm wilde Büschel aus den Ohren wuchsen. Dann wechselte das Bild zu dem verletzten Mann, der immer und immer wieder die Augen aufriss und versuchte, mir etwas zu sagen.

 

Am nächsten Morgen erwachte ich von den sanften Strahlen der Sonne, die durch das Fenster fielen. Mein T-Shirt  war schweissnass. Die Türe öffnete sich und eine Schwester gefolgt von einem uniformierten Polizisten kam herein. Die Schwester prüfte meinen Zustand und liess mich dann mit dem Polizist allein. „ Patrik Werder, Polizeibeamter“, stellte er sich vor und setzte sich gegenüber. Wieder musste ich den Unfall erklären. „ Aus Zeugenaussagen geht hervor, dass Sie keinerlei Schuld am Unfall betrifft. Möchten Sie eine Anzeige gegen den Mann erheben? Es ist bekannt, dass er nicht nüchtern wahr.“ Ich dachte nach. „ Nein, er hat meinem Auto kein Schaden angerichtet. Aber ich würde doch gerne wissen, wer dieser Mann ist.“ Ich war von Natur aus neugierig. Der Polizist setzte sich gerader hin und öffnete eine Mappe.      „ Darüber wollte ich mit Ihnen auch noch sprechen. Sind Sie sich sicher, dass sie diesen Mann nicht kennen?“ Ich schüttelte den Kopf.  „ Dieser Mann ist der Polizei bekannt. Wie der Zufall es will, wohnte er in derselben Wohnung, wie Sie aktuell wohnen.“ Vor Schock bekam ich keine Luft mehr und ich meinte, an dem Hustenanfall zu ersticken. „ Sie meinen… dieser… dieser Mann ist Luiz Davis?“

Der Polizist hob eine Augenbraue. „ Sie kennen ihn also doch?“ „Nein, also doch, schon!“, stammelte ich. Nun hatte ich diesen Luiz also doch gefunden. Ich fragte nach, wie es Luiz ging. Der Polizist räusperte sich und setzte sich abermals gerader hin. „ Ich muss Ihnen leider sagen, dass die Ärzte nebst einer gebrochener Nase und gequetschten Rippen zu viele weisse Blutkörperchen bei Herrn Davis gefunden haben. Auch die Tatsache, dass seine Nase nicht mehr aufhören wollte zu bluten, deutete auf Leukämie hin. Heute morgen wurde diese Diagnose bestätigt.“ 

Kommentare

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Am 17.06.2016, Nederlandfreak
Hallo Morvena

Ich habe mal die ersten Kapitel gelesen. Ich finde deine Geschichte sehr spannend und es steckt eine interessante Idee dahinter. Du beschreibst die Situationen sehr lebhaft, sowie auch die Gefühle der Personen. :)

LG Nederlandfreak