Unforgivable (Prolog + Kapitel 1)

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Morvena
Veröffentlicht: 01.06.2016 08:41
Aktualisiert: 01.06.2016 18:55
Kategorie: Krimi
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Kurzbeschrieb:
Anja will nach ihrem Umzug ein unabhängiges Leben führen. Aber um ihr neues Zuhause scheint ein Geheimnis zu ranken und sie bekommt Briefe von einem kranken Mann. Dann deckt sie einen tragischen Tod auf und fragt sich, wie weit sie gehen will....

Text

Prolog 

 Er stolperte die Treppe hinauf, die Welt drehte sich einmal um sich selbst, bis er den dritten Stock erreichte. Ein Blick aus dem Fenster zeigte stockfinstere Nacht, die nur von dem Mondschein und den Strassenlaternen beleuchtet wurde. Er trug eine Armbanduhr, konnte aber trotzdem die genaue Uhrzeit nicht bestimmen. Das lag nicht allein an daran, dass er an diesem Abend zu tief ins Glas geschaut hatte, auch unter normalen Zuständen verwechselte er die beiden Zeiger. So leise wie möglich drückte er die Türklinke zu seiner Wohnung hinunter. Abgeschlossen. Schon jetzt hätte ihm etwas auffallen müssen. Der Alkohol vernebelte sein Verstand und machte ihm das Denken unmöglich. Umständlich nestelte er den Schlüsselbund aus den Jeans, fand nach ein paar Versuchen das Schlüsselloch und schloss auf. Die Wohnung war nicht beleuchtet, was ihn nicht verwunderte. Er trat hinein ohne Licht zu machen und stellte seine abgelatschten Treter unter die Garderobe.  Leise trat er ins Bad, plötzlich stolperte er über etwas auf dem Boden und knallte seinen Kopf an den Türrahmen. Fluchend drückte er den Lichtschalter. Schlagartig wurde er nüchtern. Da war Blut. Viel Blut. Eine leblose Person lag auf dem Boden. Sein Herz drohte aus seiner Brust zu springen und erst auf den zweiten Blick erkannte er sie. Die Welt sah er nur noch durch einen roten Schleier, er begann zu schreien und seine Seele sprang in diesem Moment in zwei Teile.

 

Kapitel 1: Neuanfang

 Ich fuhr mit meinem alten VW die Ausfahrt hinunter, kurbelte das Fenster hinunter und winkte ein letztes Mal, bevor meine Eltern aus meinem Blickwinkel verschwanden. Ich drehte das Radio auf und fühlte, wie das Adrenalin durch meine Armen schoss, mit denen ich das Lenkrad umklammerte. Endlich. Es hatte Tränen gegeben, als ich meinen Eltern erklärt habe, dass ich in Zürich eine Wohnung gefunden habe und somit ausziehen werde. Bei aller Liebe, mit meinen 24 Jahren war es höchste Zeit, das Nest zu verlassen. Der Fahrtwind fuhr durch meine blonden Haare und liessen sie auf meinem Rücken Samba tanzen. Ein Gefühl von Freiheit und Glück durchfuhr mich und ich wusste, dass meine Entscheidung richtig gewesen war. Ich würde ein Leben beginnen, unabhängig und perfekt.

Ich parkte mein Auto in den gelb markierten Parkstreifen, exakt in die Mitte. Von hier aus sah man auf die gegenüberliegende Strassenseite einen Wohnblock, der mit greller pinker Farbe gestrichen war. Mein zukünftiges Zuhause. Ich stieg aus, knallte die Tür eine Spur zu laut zu und überquerte die Strasse. Vor dem Block stand eine Reihe silberner Briefkasten, die alle adressiert waren. Der zweitunterste Briefkasten ganz rechts war angeschrieben mit  „A. Förster“. Ich musste grinsen und öffnete den Briefschlitz mit zwei Fingern. Tatsächlich war der Kasten bis oben gefüllt mit weissen Briefen. Ob dies ein Willkommensscherz der Nachbarn war? Da der Hausschlüssel auch ins Schloss des Briefkastens passte, schloss ich auf und nahm der Inhalt heraus. Die Briefe waren weder adressiert noch war eine Briefmarke darauf. Die Eingangstür war nicht verschlossen und so gelangte ich ungehindert in den 3. Stock. Meine Wohnungstür wirkte im Gegensatz zu der Nachbarstüre regelrecht kahl. Auch im Innern der Wohnung bot sich eindeutig noch Verbesserungspotential. Sie war spartanisch eingerichtet, weil mein Nebenjob während der Schulzeit nicht genügend Geld einbrachte für grösseren Luxus. Ich schmiss die Post aufs Bett, das durch  eine dünne Trennwand von der kleinen Küche getrennt war. Noch standen in ihr unverräumte Sachen des Umzuges, doch bald würde ich in ihr meine Kochkünste präsentieren. Meine Spezialitäten bezogen sich aber eher auf Ravioli aus der Dose, denn Kochen zählte nicht so zu meinen Stärken.

Am Abend schmiss ich mich auf mein neues Bett, als ein unangenehmes Picksen in meinem Rücken mich aus meinen Träumen riss. Stimmt, die Briefe! Ich öffnete eine der weissen Laschen und nahm ein Notizpapier heraus. Dann faltete ich es auf und begann zu lesen.

 

Liebe Andrea,

Mein Schmerz lässt mich kaum noch atmen und ich weiss, dass ich ein Problem mit Alkohol habe. Ich würde sofort mit dem Trinken aufhören wenn ich dich zurückbekäme. Meu tesouro. Ich mache alles für dich, wenn du wieder lebendig wirst. Ich bin schuldig, und mit dieser Schuld kann ich nicht leben. Es tut mir so leid, wenn ich nicht so ein idiota gewesen wäre, würdest du jetzt leben, nah bei mir. Ich merke, wie ich verrückt werde ohne dich, ich schreibe dir Briefe, obwohl du nicht mehr lebst. Ich hoffe, dass diese Briefe dich trotzdem erreichen, und ich werde so bald wie möglich dir nachkommen. Muss nur noch ein paar Sachen klären.

Eu te amo

Luiz

Ich schüttelte den Kopf. So ein verrückter Brief. Offenbar hatte ein Mann seine Frau getötet. Aber er schrieb mit ihr? Ich musste über mich selbst lachen, wie ernst ich diesen Brief nahm. Es handelte sich ziemlich sicher um einen ausgeklügelten Jungenstreich. Die anderen  Briefe hatten ungefähr denselben Inhalt, immer beteuerte den Mann, er wolle seiner Freundin nachkommen und sich für alles entschuldigen.  Dieser Jemand, der sich dieser Scherz erlaubt hatte, gab sich aber ziemlich Mühe! Bei dieser Gelegenheit viel mir ein, dass ich mich den Nachbaren vorstellen sollte, bevor am Montag die Arbeit wieder begann. Ach was, Arbeit, es war ein Vergnügen! Nach dem ich die Schule endlich abgeschlossen hatte,  unterrichtete ich Musik in Schwamendingen. Ich zog mich um, kuschelte mich in meine Decke und versuchte, trotz der unheimlichen Briefe zu schlafen. Wie waren diese überhaupt in meinen Briefkasten gelangt?

Am nächsten Morgen machte ich mein Versprechen wahr und klingelte bei den Nachbarn. Gleich gegenüber wohnte eine nette kleine Familie, die aber etwas chaotisch wirkte. Im Stock darunter dauerte es etwas, bis die Tür geöffnet wurde. Ein magerer Kerl Mitte dreissig stand im Türrahmen und dem Zustand der Wohnung nach wohnte er bestimmt alleine. „ Tag, ich bin Anja Förster, ihre neue Mitbewohnerin“ , stellte ich mich vor und versuchte, seinen riesigen Fleck an der Latzhose nicht anzustarren. Der Mann nickte desinteressiert und wollte die Türe wieder schliessen, als ihm doch noch etwas einfiel. „ Unten rechts musst du nicht klingeln. Die Leute dort sind nach dem Unglück hier ausgezogen.“ , brummelte er. „ Wieso, stimmt etwas nicht?“ , fragte ich verwundert. Der Mann trat einen Schritt zurück und antwortete: „ Sie waren die Eltern der Andrea, die vor einem halben Jahr gestorben ist. Tragisch, sage ich dir.  Ihr Mann hat sie wohl hochschwanger in der Wohnung vergessen, und dann ist sie bei der Geburt gestorben.“ Ich war geschockt. „ Und das Kind?“ Der Kerl schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung.  Der Mann, ein Portugiese, der bei dem Restaurant Seerose arbeitet , ist völlig ausgetickt, als er seine Freundin tot in der Wohnung fand. Er brüllte, dass sogar hier unten die Wände wackelten. Die Polizei musste ihn fortbringen. “ Ich spürte, wie ein kalter Schauer meinen Rücken herunterlief. Krampfhaft versuchte ich zu lächeln und quietschte: „ Vielen Dank! Man sieht sich!“ Selbst als der Mann seine Haustüre wieder geschlossen hatte, stand ich wie ein begossener Pudel davor und starrte ins Leere. Meine Gedanken drehten sich immer schneller. In meiner Wohnung war jemand gestorben? Ich bekam Briefe von einem durchgedrehten Mann? Was ist, wenn er wiederkommt und… „ Halt!“, schrie ich meine Gedanken an und ich merkte, wie ich das Wort wirklich gesagt hatte. Schnell rannte ich ein Stockwerk hoch und schlüpfte in meine Wohnung. Mein Herz raste nicht nur von dem kurzen Sprint und kalte Panik ergriff mich. Wie von Sinnen nahm ich die Briefe und zerriss sie in kleine Fetzen und spülte das Ganze das Klo hinunter. Nun ging es mir gleich ein wenig besser und ich setzte mich an den kleinen Couchtisch, um die morgige Stunde vorzubereiten.

 

 

Kommentare

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Am 01.06.2016, Morvena
Hallo Lissan!
Danke für deine Rückmeldung!
Zu deiner Frage:
Ja, es spielt in einem Wohnblock mit mehreren Stockwerken und einigen Nachbarn;) Da es in der Geschichte tatsächlich nicht so klar ist, werde ich das noch verbessern, danke für den Tipp!

LG
Morvena
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Am 01.06.2016, Lissan
Hallo Morvena

Ich finde den Pronolog, plus den Beginn dieser Geschichte sehr spannend. Die Bildhaften beschreibungen, welche du machst, gefallen mir besonders :)
Noch eine kleine Frage: Ist es eine Wohngemeinschaft oder einfach ein Wohnblock, dort wo sich die Geschichte abspielt? Du erwänst nämlich einmal das es Nachbarn sind und kurz darauf, dass sie eine Mitbewohnerin ist... Oder mache ich da ein durcheinander?

Das ist aber nur ein Detail, ansonsten hast du toll geschrieben. Mach weiter so!

LG Lissan