Ein ganz besonderes Interview

Journalist

Passant

„Hallo? Dürfte kurz ich um ihre Aufmerksamkeit bitten?“

(Seufz) „Dauert’s lange?“

„Ich bitte Sie! Man muss sich doch heutzutage Zeit füreinander nehmen!“

„Ich kenne Sie doch nicht mal!“

„Das müssen sie auch nicht. Ich bin schliesslich Journalist.“

(Seufz, Seufz) „Was muss ich denn tun?“

„Mir nur ein paar Fragen beantworten.“

„Ach so. Das Übliche.“

„Ts, ts, ts. Meine Interviews sind nie üblich.“

„Aha. Für welche Zeitung arbeiten sie denn?“

„Mister! Ich arbeite doch für niemanden. Ich lasse mich nicht behandeln wie ein Diener. Ich bin ein freier Mensch.“

(Augenbrauhochzieh) „Also...verstehe ich das jetzt richtig? Sie sind gar kein richtiger Journalist?“

„Was bedeutet schon richtig oder falsch? Ich bin einfach da und journalistiere.“

„Das sagt man nicht so.“

„Was?“

„Journalistiere. Das ist falsch. Man sagt, ich interviewe Sie oder stelle Ihnen Fragen.“

„Wie ich schon gesagt habe, was ist schon richtig oder falsch? Ich habe meine eigenen Regeln. Du musst dich nach mir richten.“

(Zweitaugenbrauhochzieh) „Du?“

„Was?“

(Aufreg) „Seit wann sind wir per du?“

„Aber Jochen! Erkennst du mich nicht? Wir haben doch vor dreissig Jahren zusammen die Schulbank gedrückt. Weißt du das etwa nicht mehr?“

(Bösblick) „Erstens heisse ich nicht Jochen, sondern Mario und Zweitens ist es unmöglich, dass wir vor dreissig Jahren zusammen in der Schule waren, da ich noch nicht mal dreissig Jahre lebe.“

„Ein schöner Name.“

„Was?“

„Mario.“

(Verwirrblick) „Äh...wie bitte?“

„Ich hatte mal eine Schildkröte. Die hiess auch Mario.“

„Okay, okay, kommen sie zur Sache. Was wollen Sie von mir?“

„Er frass am liebsten Salat. Und manchmal auch Karotten.“

„Hä? Wer?“

„Oft ist er ausgebüxt, kam aber nie weit.“

„Hallo? Was reden sie da?“

„Er war einfach zu langsam. Aber einen schönen Panzer hatte er. Ja, ja, wunderschön.“

„Hören Sie, falls sie immer noch von diesem Hamster sprechen, dann...dann!“ (Grunz)

„Schildkröte.“

„Wie bitte?“

„Mario war eine Schildkröte.“

„(Grrr) Was wollen sie nun von mir? Wenn Sie mir hier nur die Zeit stehlen wollen, dann herzlichen Glückwunsch. Jetzt haben Sie mir schon siebeneinhalb Minuten geklaut.“

„Zeit kann man nicht klauen.“

„Was wissen Sie denn schon!“

„Hmm...Also ganz viel. Beispielsweise, dass wir nicht mehr per Sie sind.

„Vergessen Sies! Ich muss jetzt sowieso nach Hause.“

„Nein! Warte! Meine Interviewfrage!“

(Umdreh) „Genau eine Frage, nicht mehr und nicht weniger.“

„Danke, Marius.“

„Ich heisse Mario.“

„Da fällt mir ein, ich hatte mal eine Schildkröte, die –...“

„Ich weiss! Eine Schildkröte, die Mario hiess, am liebsten Salat, manchmal auch Karotten ass, die oft ausgebüxt war und die einen schönen Panzer hatte.“

(Verblüffblick) „Woher weißt du das?“

„Sie haben es mir vor zwei Minuten erzählt.“

„Aha, kann sein.“

„So! Jetzt ihre Frage und dann auf Wiedersehen!“

„Okay, okay. Meine einzige Interviewfrage lautet...kannst du es dir denken?“

„Nein! Sagen Sies mir einfach.“

„Gut, gut.“

„Na?“

„Soll ich mir eine neue Schildkröte anschaffen oder eine neue, blaue Hose im Secondhandshop kaufen?“

(Verblüffblick)

(Verblüffblick)

(Verblüffblick)

„Ich glaube, Sie sollten, das tun, was Sie schon immer tun wollten:

Ihren Job aufgeben und sich ganz den Schildkröten im Zoo zuwenden...“