Mondscheinsonate und Ohrlappenmütze

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Mary Jane
Veröffentlicht: 18.02.2015 13:27
Aktualisiert: 18.02.2015 13:27
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Das Gewicht des Cellos auf meinem Rücken erscheint mir plötzlich untragbar. Warum musste er tatsächlich hier sein? Ich hatte wirklich gehofft... Aber ich habe mir auch gesagt, wenn er hier ist, das macht mir nichts aus, ich kann damit umgehen, ich habe mit der Situation doch wirklich gerechnet! Aber es ist dann doch etwas völlig anderes wenn es tatsächlich passiert. Schau nicht rüber!, sage ich mir. Als ob ich dazu in der Lage wäre. Ich verrenke den Hals um am weissgedeckten, mit Blumen verzierten Tisch vorbeizuschauen, auf dem sich Champagnergläser und kleine Schalen mit Erdnüssen und anderen Snacks aneinanderreihen. Er trägt ein mir allzu vertrautes hellblaues Hemd. Ich habe ihm immer gesagt dass es wunderbar zu seinen Augen passt. Verdammte Scheisse, denk nicht dran! Wenn ich es richtig erkenne hält er ein leeres Champagnerglas in der Hand. Seit wann trinkt er vor einem Konzert ein ganzes Glass Champagner? Alkohol war doch nie sein Ding. Er hat sich eben verändert, Mensch! Reiss dich zusammen! Ich sollte hier weg bevor er mich sieht. Es ist ohnehin höchste Zeit dass ich mich umziehen gehe und mich vorbereite. Weiss er überhaupt dass ich heute hier spiele? Oh Gott, was ist wenn er es nicht weiss? Wenn es ihn völlig überraschen würde mich auf der Bühne zu sehen? Würde er sehr erschrecken? Würde er vielleicht sogar das Konzert verlassen? Nein, nein, nein, er ist erwachsen genug. So was würde er nicht tun! Oder? Irgendjemand ruft meinen Namen. Ich muss wirklich los. Ich kann auf dem Weg zur Garderobe an nichts anderes denken. Dieses Bild wie er da steht, grösser vielleicht, neuer Haarschnitt, aber dasselbe Hemd, mit dem leeren Champagnerglas in der Hand. Beinahe stolpere ich über einen umgekippten Notenständer. Ein fremder Herr im Anzug greift nach meinem Arm, hilft mir mich aufzurichten. Er sagt irgendwas nettes, ich verstehe ihn nicht, nicke nur und murmle „Danke“. Irgendwie gelange ich in die Garderobe, stelle mein Cello ab und fange vollkommen unbewusst an mich umzuziehen. Ist er vielleicht sogar wegen mir hier? Nein, nein, hör auf mit solchen Gedanken. Er mag Musik, er geht öfters an Konzerte, vor allem hier. Mit ihm war ich ja zum ersten mal hier. Das war ein schöner Abend. Ich lächle bei der Erinnerung daran unwillkürlich. Ich habe ganz vorsichtig meine Hand über seine gelegt, sie haben sich kaum berührt aber trotzdem ist ein warmer Schauer durch meinen Körper geschossen. Verdammt, hör auf, hör auf! Ich krame in meiner Tasche nach der Wimperntusche und dem Lippenstift und trage beides mit zitternden Fingern ungeschickt auf. Okay, ich habe jetzt ein Konzert zu meistern. Mein erstes grosses Konzert, ich habe mich gefälligst zu konzentrieren. Er sieht gut aus. Er sah immer gut aus, aber er sieht noch besser aus. Älter. Reifer. Trägt er noch diese alberne Norwegermütze mit den Ohrlappen im Winter? Versucht er immernoch alles Essbare das kleiner ist als ein Keks mit dem Mund aus der Luft aufzufangen? Hat er immernoch diesen seligen Ausdruck im Gesicht, mit den geschlossenen Augen und den halb geöffneten Lippen wenn er die Mondscheinsonate hört? Ich schüttle wütend den Kopf und löse das Haargummi aus meinem Haar. Mit wem ist er eigentlich hier? Jetzt fällt mir wieder ein dass er mit jemandem geredet hat. War es eine Frau oder ein Mann? Alt oder jung? Ich war zu sehr damit beschäftigt ihn völlig perplex anzustarren. Warum tut das weh? Das sollte nicht wehtun. Natürlich ist er nicht alleine hier. Warum sollte er? Früher ging er oft alleine an Konzerte. Aber jetzt ist alles anders. Er hat bestimmt Freunde von der Uni, wahrscheinlich eine Freundin. Eine begnadete Sängerin, eine leidenschaftliche Liebhaberin... Warum denkst du sowas? Ich setze mich hin und fahr' mir mit den Händen durchs Haar. Warum nimmt mich das so mit? Ich habe doch an die Möglichkeit gedacht.

„Marlene?“

Erschrocken schaue ich auf. Dana steht in der Türe in ihrer schwarzen Arbeitskleidung und einem besorgten Blick.

„Ist alles in Ordnung bei dir?“

„Ja, ja alles bestens! Ist schon Zeit?“

Meine Stimme zittert. Alles zittert.

„Ja, du bist gleich dran. Sehr nervös?“

Sie schaut mitleidig.

„Ein bisschen, ja“, sage ich und versuche es mit einem zaghaften Lächeln. Dana nickt verständnisvoll.

„Komm, lass mich das machen!“

Sie greift nach meinem Haar und schlingt es sanft in meinem Nacken zu einem Knoten.

„Danke“

Sie betrachtet lächelnd unser Spiegelbild.

„Du siehst wunderschön aus, Marlene.“

Dann führt sie mich und mein Cello hinaus zur Bühne. Hinter dem Vorhang umarmt sie mich noch einmal sanft und drückt mir das Cello in die Hand.

„Viel Glück“

Zuerst sehe ich nur Licht und kann geblendet kaum den Stuhl ausmachen der für mich bereitsteht. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Helligkeit und ich finde meinen Sitzplatz. Ich kann nun auch den Flügel sehen und den Pianisten der mich begleiten soll. Er gibt mir ein A. Ich stimme routiniert mein geliebtes Cello. Der Klang beruhigt mich ein wenig. Ich ziehe das Stimmen möglichst in die Länge. Dann wage ich es endlich ins Publikum zu schauen. Ich habe mich schon soweit an die Scheinwerfer gewöhnt, dass ich die Menschen im Zuschauerraum ausmachen kann. Ich lasse meinen Blick durch die vielen vollbesetzten Reihen gleiten, kann ihn jedoch nirgends sehen. Jetzt muss ich mich konzentrieren. Anfangen. Nicht dass die Leute ungeduldig werden. Ich setze den Bogen auf die Saite und schliesse die Augen. Atme tief ein. Es spielt keine Rolle ob er da draussen sitzt oder nicht. Es gibt nur mich, mein Instrument und die Musik. Wie immer. Er ist nicht Teil davon, das ist meine Welt, meine Bühne, er gehört hier nicht rein. Und dann fange ich an zu spielen. Ich wage es lange nicht meine Augen zu öffnen. Hier fühle ich mich wohl. Die Klänge sind vollkommen. Und dann öffne ich sie doch und blicke direkt ins Publikum, sende die Musik hinaus, lasse sie teilhaben an meiner Welt. Da. Da sitzt er. Er schaut mich direkt an, die Augen weit geöffnet, sie erscheinen mir heller denn je. Ich kann das Gefühl das sie vermitteln nicht einordnen. Sieht er traurig aus? Glücklich? Wütend? Oder sogar gleichgültig? Ich spüre wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Denn ich fühle all das zugleich. Du fehlst mir! Du fehlst mir so sehr! Ich sende diese Botschaft durch den Bogen in die Saiten und mit dem Klang hinaus in den Zuschauerraum, zu ihm. Du fehlst mir, du fehlst mir, du fehlst mir!

Ich weiss nicht wie ich von der Bühne gekommen bin. In einem rauschenden Applaus, mit verschleiertem Blick und Danas Hand auf dem Rücken und ihrer enthusiastischen Stimme im Ohr. Ich muss so schnell wie möglich raus. Ich ignoriere die Stimmen die meinen Namen rufen, durchquere mit schnellen Schritten das Foyer und trete durch die Glastüre hinaus. Fahrig ziehe ich meine Zigaretten aus der Hosentasche und zünde mir eine an. Ich atme den Rauch gierig ein. Erst jetzt spüre ich die Kälte. Das ärmellose Kleid das ich trage taugt wirklich nicht viel an einem Abend Ende November.

„Kann ich dir meine Jacke anbieten?“

Dieses seltsame Gefühl, ich weiss nicht ob ich es liebe oder hasse, wenn das Herz einen Riesensprung mach und dann langsam hinabsinkt, beinahe bis in die Oberschenkel herab.

„Ja, gerne.“

Meine Stimme klingt erstaunlich fest. Ich spüre wie er einen schweren Mantel auf meine Schultern legt. Jetzt muss ich mich umdrehen. Er ist einer der wenigen Menschen zu denen ich ein bisschen hochschauen kann, das habe ich immer genossen. Er hat sich immer beschwert darüber, dass er so gross und schlaksig ist. Er ist wunderschön. Einen Moment schauen wir uns einfach nur an. Ich kann seinen Blick nicht lesen, nicht wie früher.

„Du hast wunderschön gespielt.“

„Danke.“

Er ist sehr ernst. Warum ist er so ernst? Irgendwie sieht er traurig aus. Geht es ihm nicht gut? Ich habe die ganze Zeit nicht ein einziges Mal daran gedacht dass es ihm nicht gut gehen könnte. In meiner Vorstellung war er immer glücklich.

„Drinnen gibt es Erdnüsse. Du weisst schon. Die kannst du mit dem Mund fangen.“

Er schaut erst etwas perplex und dann lächelt er, ein breites, strahlendes Lächeln, das seine Augen noch heller werden lässt. Ich muss auch lächeln. Hier ist ein bisschen Mondscheinsonate. Ein bisschen Norwegermütze mit Ohrlappen und ein bisschen erstes gemeinsames Konzert mit Hädehalten dass nicht wirklich als Händehalten gilt.

Kommentare

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Am 07.03.2015, pfifoltra
wunderschön geschrieben! Wirklich! Du musst unbedingt weiter solche Texte schreiben.
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Am 22.02.2015, Celly Nancoe
okay, es hat mich daran erinnert :D Aber der Film an sich war auch schön und ich glaube deren erstes Date war auch ein klassisches Konzert, deswegen komme ich drauf. Gibt es eine Fortsetzung?
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Am 22.02.2015, Mary Jane
Vielen Dank!
Haha, ja ich habe den Film gesehen. Musik ist für mich sehr wichtig, und ein Thema das ich in meinen Texten auch immer wieder verwende, als Ausdruck von Gefühlen... Ich hätte allerdings vielleicht nicht das Cello nehmen sollen, das ist vielleicht zu ähnlich. Ansonsten wurde ich aber wirklich nicht von dem Film inspiriert, es sind eher persönliche Erlebnisse und Begebenheiten.
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Am 22.02.2015, Celly Nancoe
Schreib bloß weiter, du schreibst fantastisch!
Die Eindrücke und Gefühle der Person sind sehr lebensnah eingefangen und wiedergegeben. Allerdings erinnert mich dein Text an den Film "If I stay". Hast du ihn vielleicht auch gesehen?