Das Telefonbuch

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Nasibus300
Veröffentlicht: 03.06.2014 13:14
Aktualisiert: 03.06.2014 13:15
Kategorie: Humor
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Kurzbeschrieb:
ER und sein Telefonbuch. Eine Kurzgeschichte mit Humor und Tragik.

Text

Das Telefonbuch und ER

07.03.14

Der Whiskey brannte in seiner Kehle. Das Buch mit dem ER sich heute fast den ganzen Tag beschäftigt hatte, lag vor ihm.  Ein Buch welches für ihn spannender war,  als jeder neumodische nordische Krimi. Ein Buch mit welchem ER, sich die Frage nach dem Warum stellte. Ein Buch. Ein Buch welches wohl jeder zuhause besitzt. Ein Buch. Das Telefonbuch.

Meistens gönnte ER sich nach seinem Whiskey, nur noch einen Anruf. Für ihn waren die Anrufe wie für andere eine Zigarette oder ein gutes Glas Wein. Nein, falsch. Mehr wie eine Droge. Eine Droge mit der ER, nach Sinn suchte. Heute Nachmittag hatte ER sich mit Freuden in seine Welt gestürzt und hatte sich schliesslich entschlossen es heute mit einem gewissen   ,,Urs Leber“ zu probieren. Wie ER zu so einem, freilich nicht gerade naheliegendem Namen gekommen war? Nun ja, heute hatte ER zu Mittag ein Stück Leber und ein paar Spätzle verspeist. War das nicht passend? Ein Name. Kein Mann der grossen Worte. Ein vernünftiger Bursche. So klang es zumindest. Das war ihm das grösste Vergnügen. Sich vorstellen, was wohl hinter einem so verheissungsvollen Namen steckte.

Das Drehen der Wählscheibe. Es beruhigte ihn. Zurr, tatadam, zurr, tatadam. Neun Mal. Das Telefon ratterte. Und irgendwo in der Schweiz, begann ein Telefon zu klingeln. Nichts. ER wartete immer, bis der Anrufbeantworter ansprang. Wartete auf das Piepsen. Dann legte ER jeweils auf und ging unzufrieden nach oben. Dring…Dring…Dring…Dring…

Doch heute hatte ER Glück. Eine helle Stimme meldete sich:

Helle Stimme: ,, Hallo, wer ist da?“

ER: ,, Ich.“

Helle Stimme: ,, Wen suchen sie?“

ER: ,, Urs Leber.“

Helle Stimme: ,, Also mich. Kann ich ihnen helfen?

ER: ,, Nein.“

Helle Stimme: ,, Was suchen sie?“

ER: ,, Lebenssinn.“

Helle Stimme: ,, Wer will das nicht!?“

ER: ,, Ich.“

Helle Stimme: ,, Vorher haben sie doch gesagt…“

ER: ,, Meinungen ändern sich schnell.“

Helle Stimme: ,, Meine auch. Ich glaube ich lege jetzt auf.“

ER: ,, Wollen sie meine Meinung dazu hören.

Helle Stimme: ,, Nein.“

Tut, tut…

Stille. Die Treppe knarzt. Die Toilettenspülung wird bedient. Das Licht geht aus.

 

08.03.14

Fahrpläne. ER gönnte sich jeweils zusammen mit seinem Frühstücksei eine Verbindung aus dem SBB Fahrplan. Heute suchte ER sich die Verbindung von Bütschwil nach Bronschhofen heraus. ER war seit ungefähr 30 Jahren nicht mehr Zug gefahren. ER hatte seit 20 Jahren nicht mehr einen Tag ohne Telefonbuch verbracht. ER hatte seit 10 Jahren nicht mehr von Angesicht zu Angesicht geredet.

Sein Essen hatte er sich jeweils bestellt. Per Telefon. Der Bote musste die Waren und den Block für die Unterschrift jeweils vor die Türe legen und sich nach draussen verziehen bis ER die Waren in Empfang genommen, die Unterschrift getätigt und das Geld hingelegt hatte.

Krank geworden war ER seit Jahren nicht mehr. Und wenn ER einmal ernsthaft erkranken würde dann so hatte ER sich entschlossen würde ER sich zusammen mit seinem Telefonbuch in sein Bett legen und das Zeitliche segnen. Wahrscheinlich würde ER dort eine Weile liegen bleiben. Irgendwann würde der Essenslieferant dann Alarm schlagen. Vielleicht. Irgendwann. Es würde eine Beerdigung geben die der Pfarrer des Dorfes allerdings alleine bestreiten würden müsste. Oder ER würde liegen bleiben und sich irgendwann zusammen mit seinem Telefonbuch in Staub auflösen. Vielleicht. Irgendwann. Dann würden neue Mieter in dieses Haus einziehen wollen. Und sie würden erst einmal eine Putzfrau engagieren um dem Staub auf dem Bett den Geraus zu machen. Nächste Station Abfallverbrennung. Zusammen mit seinem Telefonbuch.

 Inserate. Heute wollte ER sich einen imaginären Hund suchen. Der Freude um des Suchen wegen. Die Zeitung raschelte. Der Rest der Zeitung interessierte ihn nicht. Das ganze Leben. Ein Theater. Das auf einer anderen Bühne als ER spielte. Das Weltgeschehen war ihm egal. ER würde wahrscheinlich nicht einmal merken wenn die Schweiz zu einer Diktatur würde. Doch dieser kleine Hund in dem Inserat sprang ihm gleich ins Auge. Ein passender Fall für seine Sammlung. Sein Buch. Auch die Zugverbindungen hatte ER dort eingetragen. Sorgfältig schnitt ER das Inserat aus und klebte es in das rote Buch mit dem Ledereinband.

Sentimentalität. Nichts anderes. Oder doch? Ein Festklammern an Fakten? Vielleicht war es genau das was ihn an diesen faszinierte. Die Zugverbindung. Eine feste Verbindung mit Fakten und Zahlen. Wann? Wo? Keine Frage nach dem Warum. Auch das Inserat. Fakten. Stichworte. Braunes Fell. Gross. Fakten die alles und doch nichts aussagten. Sie beantworteten nicht die Frage warum die Besitzer den Hund weg geben wollten. Warum der Hund überhaupt existierte. Doch warum dann die Telefongespräche? Brauchte ER ein Gegengewicht? Vielleicht. Dann die Gespräche beantworteten ihm die Fragen nach dem Warum. Meistens. Liebevoll streichelte ER den rot glänzenden Einband des Buches. Sentimentalität.

Neuer Tag, neuer Anruf. Passend zu seinem heutigen Tag suchte ER das Telefonbuch ab Und fand. Karin Kläfiger. Wie passend. ER drehte an der Drehscheibe. Dring…Dring…Dring…

Frau:,, Karin Kläfiger am Apparat.“

ER: ,, Warum?“

Frau:,, Was? Wer ist am Apparat?“

ER: ,, Immer noch ich.“

Frau:,, Aha.“

ER:,, Warum?“

Frau:,, Warum sie am Telefon sind und mich nerven? Meinen sie das?“

ER: ,, Ja genau das.“

Frau:,, Wollen sie mir etwas verkaufen?“

ER:,, Nein.“

Frau:,, …“

ER:,, Nun?“

Frau:,, Suchen sie etwas?“

ER:,, Das Warum.“

Frau:,, Ich glaube da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“ 

ER:,, Daran zweifle ich nicht.“

Frau:,, Einen schönen Tag noch.“

Tut… Tut…

Stille. Die Treppe knarzt. Die Toilettenspülung wird bedient. Das Licht geht aus.

Warum?

 

  

 

   

 

    

 

  

 

               

  

 

Kommentare

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Am 11.06.2014, Snoopy007
Sehr gut! Ich wünschte ich könnte so schreiben.
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Am 05.06.2014, dreamy
Echt super Kurzgeschichte mit Tiefgang, die mich aber auch zum Schmunzeln brachte ;) Ich kann echt nicht verstehen wieso der Text nur so wenig Sterne hat! Von mir gibts 5!!
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Am 03.06.2014, Eywlïnn
Ein wirklich hübscher, stimmiger Text mit viel Hintergrund und Augenzwinkern!
Wirklich gelungen :)