Ihre Haare sind wild und beginnen sich, unterhalb des Kinns bis knapp über ihrer schmalen Taille zu locken. Ihre grünen Augen, die Pupillen geweitet wie schwarze Löcher, strahlen Leidenschaft aus, wie ich sie nie zuvor bei jemandem gesehen habe. Die restlichen Menschen in diesem Raum, in diesem Gebäude, ja, in dieser Stadt, sind grau, aber sie, sie ist leuchtend pink, blassblau und waldgrün. Sie sind fade, aber Lavinja ist wie ich. Anders. Sie ist die Explosion, auf die ich schon meine gesamte Daseinszeit gewartet habe. Sie ist der Sonnenschein nach dem Regen und ich kann nicht anders als sie anzustarren. Sie widerspricht gerade unserer Lehrerin, aber nicht so, wie es alle tun, sondern so, dass Eigner denkt, sie habe gar nie recht gehabt. Selbst widersprechen kann sie anders. Sie hat die Lippen geöffnet und ich erhasche einen Blick auf ihre Zunge, die sie gegen die weissen, geraden Schneidezähne gedrückt hat. Sie verkneift sich wohl einen Kommentar. Eigner starrt sie böse an und Lavinja starrt zurück. Ich kann meinen Blick nicht von ihren grossen mandelförmigen Augen wenden. Ihre Finger, bleich, klein und schlank, streichen über die Maserung der Tischplatte, als würden sie dort etwas lesen.

"Psssst! Jared!“, mein Tischnachbar rammt mir seinen Ellenbogen in die Seite „Was tust du da, stehst du auf die?“

"Nein.“, gebe ich gedämpft zurück, ich mag Melson nicht, er ist irgendwie immer so aufdringlich, wir sind keine Freunde. Das würde mindestens ich sagen.

"Sie ist ein Freak.“

Sie ist wunderbar.

"Hm.“

"Denkst du nicht?“

Sei still.

"Sie ist hübsch.“

"Nein.“, gibt er gedehnt zurück „Sie ist ein Kleider tragender Zombie.“

Sprich nicht weiter! Sprich nicht so von ihr.

"Hast du dir schon mal ihre Augen angesehen?“

"Ja, wie sonnengetrockneter Schlamm.“

Er macht mich rasend. Ich schlage mit der flachen Hand auf den Tisch vor mir.

"Ja, Jared?“, Eigner „möchten Sie etwas betragen, zu diesem Gespräch?“

Ich habe nicht zugehört, worum geht es? Melson neben mir kichert. Wie ein Kleinkind. Ich starre Eigner an. Die Tür schlägt zu, sanft, wie von einem Windstoss erfasst. Ich blicke hinüber und beobachte durch das im rot gestrichenen Holz eingelassene Plexiglas wie Lavinja den Gang runtergeht. Die Schritte elegant und zielstrebig, die weichen Locken federnd. Etwas durchfährt mich und auf einmal weiss ich es:

Sie ist es.

Ich stehe auf und renne ihr nach. Hinter mir werden Stimmen laut, die Tür klappert wieder zu und dann sind nur noch meine Schritte auf dem leeren Flur zu hören. Ich biege nach links ab und sehe sie, geradewegs auf den Ausgang zusteuernd. Als sie mich hört, bleibt sie direkt vor der grossen, gläsernen Flügeltür stehen und blickt mich über ihre schmale Schulter hinweg an.

"Wie lange weisst du es schon?“, fragt sie leise aber bestimmt

"Es ist mir eben erst aufgegangen. Deine Augen“..., ich breche mitten im Satz ab, sie hat es also schon gemerkt. Vorfreude flackert in mir auf. Ich bin nicht mehr alleine. Doch dann dreht sie sich aprupt um, stösst die Türen auf und läuft die breiten Stufen hinunter, ihr kurzes weisses Kleid weht hinter ihr her. Ich denke nicht lange nach, sondern folge ihr. Ohne uns abzusprechen steuern wir den dichten, dunkelgrünen Wald gegenüber der Schule an. Unsere weichen Schritte lautlos auf dem harten Beton.