Elena schwebe drei Meter über dem Boden.

Allerdings nicht über einem Fleck. Ihre Flügel schlugen hektisch vor und zurück während sie sich schnell vorwärts bewegte. Aber kein einziges Staubkorn wirbelte von dem sandigen Boden auf. Elena verfluchte sich innerlich, weil sie eine Sekunde nicht aufgepasst hatte, eine Sekunde geträumt hatte. Und nun musste sie sie suchen. Elena war an einer Kreuzung angekommen, sie bewegte sich direkt auf ein kleines, hübsches Einfamilienhaus zu.

Der Garten stand in sommerlicher Blüte, der gründe Rasen war frisch gemäht und auf dem kleinen Acker wuchsen Salate und Kräuter. Elena sah nichts davon. Sie bewegte sich auf die Tür zu, die rotlackiert war, und deren Lack schon leicht abblätterte. Ohne sie zu öffnen stürmte sie darauf zu, und mitten hindurch. Sie nahm einen leichten Hauch war, als ihr Körper durch die dicke Holztür glitt. Ohne ein Geräusch, und völlig schmerzlos. Innen angelangt stand sie auf dem Boden und ihre Schwingen falteten sich zusammen. Trotzdem stürmte sie voller Hast und ohne zu zögern an der jungen Frau vorbei, die im Flur stand. Sie hatte langes dunkelblondes Haar, das im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden war, ihre Gesichtszüge waren weich und sie blickte unbekümmert zur Haustür. Gerade durch Elena hindurch. Elena lief mitten in sie hinein. Die Frau sah sie nicht aber die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf, als Elena sie wie ein kleiner Windzug kurz streifte.

Wenige Sekunden später betrat Elena das kleine Kinderzimmer am Ende des Flurs. Wieder ging sie durch die Tür hindurch. Das Zimmer war fröhlich eingerichtet. Links an der Wand stand ein Kinderbett, das vollgestopft mit Plüschtieren war. Von Elefanten bis zu Krokodilen lagen dort alle möglichen Tiere aufeinander gestapelt. An der Wand daneben befand sich nur ein grosses Fenster, das von kleinen rosa Vorhängen geschmückt wurde, auf denen kleine Tiergestalten abgebildet waren. Auf der Fensterbank stand ein kleiner Blumentopf in dem sich eine grüne Zierpflanze befand. Rechts neben dem Fenster stand ein buntes Regal, dass vor Büchern fast platze. Auf dem Boden kniete auf einem rosaroten Blumenförmigen Teppich ein kleines Mädchen. Sie versuchte ein unscheinbares kleines Heftchen unter einem riesigen Stapel Bücher hinauszuziehen, der sie dreifach überragte. In dem Moment, in dem Elena das Zimmer betrat fingen die Bücher an zu wackeln, weil das Mädchen immer noch hartnäckig versuchte, das Heftchen zu bekommen. Elena blieben nur noch wenige Sekunden als das erste Buch fiel. Weich landete es auf dem Teppich und verursachte kein lautes Geräusch. Das kleine Mädchen keuchte vor Anstrengung und umklammerte das Heftchen mit ganzer Kraft. Elena sprang als das zweite Buch einige Zentimeter neben dem anderen auf den Teppich fiel. Im Sprung wurde sie für kurze Zeit sichtbar, solange bis sie das Mädchen packte, das erschrocken aufschrie und es vorsichtig auf die andere Seite des Zimmers beförderte. Das Mädchen sah Elena mit grossen Augen an, dann wandte es den Blick wieder ab, als mit einem grossen Knall alle Bücher aus dem riesigen Stapel aus dem Regal fielen. Als es wieder zu der Stelle guckte, an der kurz davor noch jemand gestanden hatte war Elena verschwunden. Mit einem quietschen ging die Zimmertür auf und die Mutter des Mädchens kam herein.

"Was hast du jetzt schon wieder angestellt??", fragte sie mit hörbarer Sorge in der Stimme.

"Mommy, ich wollte dass du mir vorliest!", antwortete das Mädchen und zeigte vorwurfsvoll auf den grossen Stapel Bücher vor dem Regal. Die Mutter bückte sich um sie einzusammeln und flüsterte halb zu sich selbst;

"Du musst wirklich einen grossen Schutzengel haben."

Elena, die immer noch unsichtbar im Raum stand lächelte, breitete ihre grossen, weissen Flügel aus und flog durch die Wand hinaus, der untergehenden Sonne entgegen.