Versuchung

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Kliane
Veröffentlicht: 06.09.2012 19:24
Aktualisiert: 06.09.2012 19:24
Kategorie: Dies & Das
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Kurzbeschrieb:
Der Entwurf einer Kurzgeschichte über eine Diebin.
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Text

Ich erstarrte. Mein Herz begann immer lauter zu pochen und mein Atem beschleunigte sich. Wie hypnotisiert starrte ich auf die Manteltasche. Der Mantel war aschgrau und bestand aus dünnem Leder. Die schwarzen Fäden der Nähte waren gut erkennbar. Fasziniert musterte ich die leichte Ausbuchtung  direkt  unterhalb des letzten schwarzen Knopfes auf der rechten Seite. Sie war viereckig. Ich konnte erkennen, wie gross der Gelbeutel darin sein musste, und er sah sehr schwer aus, weil er sich regelrecht in das Leder grub. Die Tasche war nicht einmal mit einem Knopf oder einem Reissverschluss verschlossen. Ich war sicher, wenn ich mich leicht nach rechts beugen würde, könnte ich den Geldbeutel sehen. Ich stellte mir vor, dass er aus Leder war, passend zum Mantel. Mit leichtem Glanz, wenn man ihn in die Sonne hielt.  Und wenn man ihn bewegte klimperte das Kleingeld darin. Geld … was man damit alles tun konnte. Es regierte die Welt.

Die Versuchung war zu gross. Ich hatte ihr noch nie wiederstehen können.  Jedes Mal, wenn sich mir so eine Situation bot war es um mich geschehen. Ich hatte keine Chance es zu bekämpfen oder gar zu besiegen. Der Anblick weckte das Monster in mir, das ständig nach Gefahr gierte, das sich nicht um Gesetze scherte und dem es egal war, was andere dachten.  In diesen Momenten verfiel ich ihm ganz, meine Bewegungen passten sich der Situation an und mein Ziel war das einzige, auf das ich mich konzentrierte. Ich konnte diesen Vorgang nicht abbrechen, war er einmal begonnen musste ich ihn beenden, musste meine Beute in den Händen halten, und wissen, dass ich den anderen überlistet hatte, dass er total ahnungslos war und dass ich die Macht hatte, mit meiner Beute das zu tun, das ich tun wollte, alles. Ich konnte darüber bestimmen. Es war meine grosse Schwäche.

 Ich beugte mich in einer grazilen, beinahe lautlosen Bewegung nach vorne, liess meine Hand in die Tasche gleiten, ertastete die Ränder des Geldbeutels und fühlte, dass er tatsächlich aus Leder bestand. Ich lächelte. Und mit einem schnellen, sanften Zurückziehen meines Unterarmes zog ich den Gelbeutel aus dem Mantel. Der Mann, der ihn trug stand seelenruhig weiter am Kaufstand und betrachtete die Zeitung, die er in den Händen hielt. Die Gefahr war aber noch nicht vorbei. Unauffällig bewegte ich mich rückwärts. Als ich einige Meter gelaufen war drehte ich mich um, und lief geradeaus, das Trottoir entlang. Auf der anderen Strassenseite sah ich in einem Schaufenster mein Spiegelbild, eine junge, leicht gehetzte Frau, deren braunschwarze Haare ihr bis über die Schultern fielen, sie trug einen Fellmantel und darüber einen dicken Wollschal. Den hatte ich einer Frau mit teuren Designerkleidern abgenommen. Bei der Erinnerung daran, wie sie gekreischt hatte, als sie sein Fehlen bemerkt hatte huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Doch als das laute, verzweifelte Kreischen der Frau über den Platz geschollen war, war ich schon längst mit ihrem schicken Schal in der Menge verschwunden. 

Langsam kam nun die Reue. Schonwieder hatte ich es getan. Ich konnte es nicht verhindern, wenn ich die Versuchung erst einmal sah, und in diesem Moment wollte ich dann nichts anderes. Aber sobald ich es hatte begann ich, zu zweifeln. Wieso tat ich das eigentlich? Ich hatte lange darüber nachgedacht. Tage hatte ich damit verbracht zu grübeln, und alle Seiten auszuwägen. Doch ich war zu keinem Entschluss gekommen.  Und so gesehen war es mir auch egal… vollkommen. Ich musste das Beste daraus machen, damit leben, davon leben. Ich war überzeugt, dass es schlimmeres gab als mich. Und eines hatte ich mit der Zeit eingesehen. Egal wer ich war, egal wieso ich das war, es war gewiss, was ich war.

Ich war eine Diebin.

 

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